Frage an Wolfgang Beuß von Frankmartin W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Beuß,
vielen Dank für ihre klare Antwort. Allerdings ist es nicht ganz richtig, dass bei geltendem Recht die vorgegebene Listenreihenfolge ohne jede Relevanz sei. Bei Stimmengleichheit ist sie entscheidend. Außerdem ist es eine Ehrensache weit oben auf der Liste zu stehen. Dass sich ein Kandidat parteiintern einen guten Ruf erarbeitet, kann für parteiinternen Wahlen selbstverständlich relevant sein. Diesen Ruf zu bestätigen, ist ja gerade eine Sache von Abstimmungen. Bei den Wahlen zur Bürgerschaft sollen sich die Kandidaten dem gesamten Volk zur Wahl stellen. Sollten sich die Kandidaten nicht bei allen Hamburger Wählern um einen guten Ruf bemühen? Das ist ja gerade der Kern des durch den Volksentscheid geäußerten Volkswillens, dass nicht parteiinterne Zirkel die Zusammensetzung der Bürgerschaft bestimmen sollen, sondern alle politikinteressierten Wähler.
Insofern drängt sich hier natürlich die primäre Frage auf: Haben die Bürgerschaftsabgeordneten der CDU zur Zeit die Legitimation, das Wahlrecht allein im Gefolge parteiinterner Zirkel zu ändern?
Zwar bin ich der Überzeugung, dass wir ein durch den Volksentscheid ein hervorragendes Wahlrecht haben, aber neben der inhaltlichen Diskussion darüber, halte ich es für schädlich, das Wahlrecht ohne Not vor seiner ersten Anwendung zu ändern.Wäre es nicht für die CDU strategisch sinnvoller sich offensiv mit dem Wahlrecht auseinanderzusetzen? Seine Kandidaten zu positionieren und nach der ersten Anwendung des Wahlrechts, gemeinsam mit den anderen Parteien UND den Bürgern die Erfahrungen zu reflektieren und in eine Diskussion über das Wahlrecht zu kommen? Es gäbe noch einige der von der CDU in die "Diskussion" gebrachte Änderungen am geltendem Wahlrecht zu hinterfragen, doch sollte nicht erstmal das beschlossene Wahlrecht angewandt werden?
Mit freundlichen Grüßen
Frankmartin Wiethüchter
Sehr geehrter Herr Wiethüchter,
vielen Dank für Ihre Nachfrage. Bitte entschuldigen Sie, dass ich aufgrund meines Urlaubs erst jetzt dazu komme, Ihnen zu antworten.
Soweit Sie mir darin widersprechen, dass das Gesetz der Volksinitiative den Parteien jeden Einfluss auf die Listenreihenfolge nimmt, erlaube ich mir zu bemerken, dass die von Ihnen als Argument angeführte Möglichkeit der Stimmengleichheit zweier Kandidaten so unwahrscheinlich ist, dass man Sie getrost vernachlässigen kann. Ich bleibe dabei - nach geltendem Recht haben die Parteien keinen Einfluss auf die Listenreihenfolge.
Die Parteien sind aufgrund der Komplexität der politischen Entscheidungsprozesse unverzichtbar für das Funktionieren jeder modernen Demokratie. Sie haben die staatspolitische Aufgabe (Art. 21 GG) durch Vorformung von politischem Willen und Programmatik sowie politischer Repräsentanz, dem Wähler etwas anzubieten. Und der Einfluss auf die personelle Zusammensetzung des Parlaments gehört zu den Kernelementen einer Parteiendemokratie.
Zweitens müssen Sie beachten, dass die Bürgerschaft kein reines Kommunalparlament ist, sondern gleichzeitig als Landesparlament viele staatliche Aufgaben wahrnimmt und damit auch andere Anforderungen gestellt werden. Kumuliert und panaschiert werden kann in allen anderen Bundesländern nur auf Kommunalebene. Auf der Landesebene sucht man vergeblich, weil man hier vom Wähler eine politische Richtungsentscheidung erwarten kann.
Zu Ihrer letzten Frage: Das Prinzip "trial and error" ist für Zusammenhänge, in welchen Fehler unter Umständen mit großen Schäden verbunden sind, nicht geeignet. Da ich davon überzeugt bin, dass das geltende Wahlrecht sich sehr nachteilig auf die Funktionsfähigkeit des Parlaments auswirken kann, halte ich nichts von seiner Erprobung.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Beuß