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Frage von Christian S. •

Frage an Wolfgang Beuß von Christian S. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Sehr geehrter Herr Beuß!

Bevor Sie diese Woche in der Bürgerschaft über die Einführung allgemeiner Studiengebühren entscheiden, möchte ich Ihnen noch einige Fragen stellen:

1. Zielgerichtet auf den individuellen Vorteil
Kern der Studiengebührendebatte sind sogenannte Steuerungs- oder Lenkungseffekte. Diese hätten verheerende Folgen: Wenn (Aus-)Bildung zur Ware definiert wird, werden aus Universitäten zunehmend Dienstleistungsanbieter. Studierende sollen nicht mehr als Mitglieder an der Weiterentwicklung ihrer Hochschule beteiligt sein, sondern als Kunden gelten und das Studienangebot indirekt über ihre Nachfrage beeinflussen. Der von Befürwortern gepriesene finanzielle Druck auf die Studierenden, der ein ‚zielgerichtetes’ Studierverhalten hervorbringen soll, ist damit in doppelter Weise schädlich: Erstens führen Studierende, die ihr Studienziel zunehmend in einem schnellen Abschluss sehen, tendenziell zu einer inhaltlichen Verflachung der Studiengänge, die immer weniger am wissenschaftlichen Inhalt und immer mehr an der reinen Berufsvorbereitung orientiert wären. Als zweite Folge ist zu befürchten, dass Gebührenzahler zunehmend in Studiengänge gezwungen wären, deren Abschlüsse eine gut bezahlte oder zumindest halbwegs sichere Berufsaussicht versprechen. Die wissenschaftliche Vielfalt würde in Breite, Tiefe und kritischem, auf die Lösung menschlicher Probleme orientiertem Inhalt zunehmend eingeschränkt und der gesellschaftliche Nutzen der Hochschulen damit immer geringer.

Was ist der Sinn von Hochschulen? Wem nützen Hochschulen?
Was halten Sie von Bildung als Emanzipation?

2. Studiengebühren verschlechtern die Studienbedingungen
Oft wird behauptet, man könne mit Studiengebühren die Studienbedingungen verbessern, sodass die Studierenden letztlich von den Gebühren profitierten. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass die Studienbedingungen nicht nur aus Bibliotheksöffnungszeiten und Betreuungsrelationen bestehen. Ein sehr wesentlicher Faktor sind die sozialen Bedingungen, unter denen wir studieren. Verschärfte Hetze und gesteigerte, zunehmend existenzielle Not verschlechtern die Studienbedingungen. Insbesondere verschlechtern sie die Bedingungen für ein Studium, dessen Horizont über die individuelle Optimierung für den Arbeitsmarkt hinausgeht.

Möchten Sie in Ihrer Küche so gerne einen Induktionsherd haben, dass Sie dafür auf die Nahrungsmittel verzichten würden?

Nebenbei bemerkt würden Studiengebühren keineswegs in vollem Umfang zusätzlich für die Lehre zur Verfügung stehen, wie in dem Gesetzentwurf behauptet wird. Nach universitätsinternen Berechnungen käme etwa ein Drittel wirklich an – der Rest geht im wesentlichen für teure Akkreditierungen und die Einrichtung des Ausfallfonds drauf, denn die Hochschulen sollen das Risiko für die Studienkredite tragen und müssen dafür schon jetzt bei ihren eigentlichen Aufgaben sparen.

3. Knappe Kassen – Studiengebühren alternativlos?
Die Hochschulen werden seit vielen Jahren massiv unterfinanziert. Darunter leiden alle Mitglieder der Universität, darunter leiden Forschung und Lehre, und besonders leidet darunter das gesellschaftskritische und damit gesellschaftlich produktive Potential der Hochschulen.

Sind Studiengebühren also der einzige Ausweg? Im Vergleich zum BIP gibt kein anderes OECD-Land so wenig Geld für Hochschulbildung aus wie Deutschland. Profit scheffelnde Unternehmen werden kaum oder gar nicht besteuert. Hamburg hat bundesweit die höchste Millionärsdichte. Der gesellschaftlich vorhandene Reichtum steht in einem krassen Missverhältnis zu den aktuellen sozial- und kulturpolitischen Armutszeugnissen. Kritische Wissenschaftsinhalte erfordern öffentliche Finanzierung.

Sind Studiengebühren etwas anderes als Umverteilung von unten nach oben?

Besonders pikant finde ich die Tatsache, dass das zur „sozialen Abfederung“ ersonnene Kreditmodell (dessen vertragliche Details meines Wissens nicht einmal Ihnen bekannt sind) dazu führt, dass die ärmsten Studierenden durch die mit dem Kredit verbundenen Zinsen letztlich am meisten zahlen müssen – bis zu doppelt so viel wie die, für deren Familien die Gebühren kein Problem sind.

4. Soziale Gerechtigkeit durch Studiengebühren?
Gebührenbefürworter fragen: Ist es nicht ungerecht, dass auch die wenig verdienende Krankenschwester, die nicht studiert hat, mit ihren Steuern das Studium des reichen Chefarzt-Sohnes bezahlt? Jeder Kindergartenplatz kostet Geld, und das Studium soll kostenlos sein?

Wissenschaft und Hochschulbildung haben einen hohen gesamtgesellschaftlichen Wert, der entsprechend auch gesamtgesellschaftlich – d.h. durch Steuern – zu finanzieren ist. Für etwa 99,99% der Menschen in diesem Land ist es faktisch unmöglich, keinen Nutzen aus der Existenz von Hochschulen und Wissenschaften zu ziehen.
Ferner ergibt sich ein direkter Nutzen für Unternehmen, die Absolventen anstellen und Forschungsergebnisse verwerten. Diese Unternehmen wären nach meinem Dafürhalten entsprechend ihrer Profite am Steueraufkommen zu beteiligen.
Drittens tragen bei einer progressiven Einkommenssteuer alle überdurchschnittlich gut verdienenden Hochschulabsolventen auch überdurchschnittlich zur Finanzierung der Bildungsinstitutionen bei.

Die Krankenschwester muss häufig als Argument für Studiengebühren herhalten. Dabei würden im Zweifel ihre Kinder, und nicht die des Besserverdienenden durch Gebühren vom Studieren abgehalten.

Auch das habe ich schon gehört: Weil ohnehin hauptsächlich Kinder wohlhabender Eltern studieren, könne man auch getrost Studiengebühren erheben. Ich nenne das Zynismus, wenn soziale Ungleichheit und ein extrem selektives Bildungssystem zur Begründung für weitere soziale Selektion herhalten soll. Zum Vergleich mit Kita-Gebühren und Schul- bzw. Büchergeld kann ich nur sagen: Ich bin durchaus dafür, auch diese Bildungs- und Gleichheitshemmnisse abzuschaffen.

Glauben Sie an die Herstellung sozialer Gerechtigkeit durch Studiengebühren?
Was ist mit dem Weihnachtsmann?

5. Weniger Selektion durch mehr Selektion?
Wenn Senator Dräger einen besonderes guten Tag hat, kann er Studiengebühren auch als Mittel gegen die soziale Selektion im Bildungswesen verkaufen. Das geht dann etwa so: In Deutschland ist „die Chance, ein Hochschulstudium aufzunehmen, für Kinder der Herkunftsgruppe „hoch“ mehr als sieben Mal größer als für Kinder, deren Vater der Herkunftsgruppe „niedrig“ angehört.“ (17. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks)
Bildungschancen werden vererbt. In Deutschland sind die staatlichen Hochschulen gebührenfrei. In manchen Ländern, die Studiengebühren erheben, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder von Nichtakademikern an einer Hochschule landen, höher als in Deutschland. Daraus wird gefolgert, man könne der sozialen Selektion mit Studiengebühren entgegenwirken, oder ihre Wirkung sei zumindest neutral.

Kommt das auch Ihnen komisch vor?

Der Trick besteht darin, alle anderen Faktoren (wie z.B. das Schulsystem) auszublenden und Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Selbstverständlich sind Studiengebühren nicht das einzige Problem für gleiche Bildungschancen. Es ist allerdings reichlich abenteuerlich, ihre ausgrenzende Wirkung zu leugnen. „Rund ein Viertel der Studierenden bestreitet den Lebensunterhalt mit Einnahmen, die geringer sind als der Bedarfssatz, der von der Rechtsprechung oder nach dem BAföG als angemessen angesehen wird.“ – Auch das ist in der 17. Sozialerhebung des DSW zu lesen.

Welche Wirkung hätte in diesem Zusammenhang die Einführung von Studiengebühren?

6. “Der Akademische Senat der Universität Hamburg bekräftigt angesichts des Senats-Entwurfs für ein `Studienfinanzierungsgesetz` seine mehrfach beschlossene Ablehnung von Studiengebühren. Der Akademische Senat fordert daher den politischen Senat auf, den Entwurf zurückzunehmen, die Privatisierung von Bildungskosten zu beenden und den Weg einer bedarfsgerechten, öffentlichen Finanzierung der Bildungseinrichtungen und des Lernens einzuschlagen.”

Der Beschluss ist wörtlich zu nehmen.

7. Mut zur Menschlichkeit
Studiengebühren sind falsch, Ihre Zustimmung wäre fatal. Gebührenfreiheit, soziale Absicherung, öffentliche Hochschulfinanzierung und kritische Wissenschaft sind richtig. Wenn Sie gegen das „Studienfinanzierungsgesetz“ stimmen, wird das sicher einen Teil Ihrer Fraktionskollegen gegen Sie aufbringen. Es erfordert einigen Charakter, sich so grundlegend mit seiner Partei anzulegen. Andererseits frage ich Sie: Welchen Wert hat es, sich mit einer Partei in Übereinstimmung zu befinden, die eine so unmenschliche Politik vertritt?

Ich wünsche Ihnen den Mut zur Menschlichkeit und grüße Sie erwartungsvoll!

Christian Sauerbeck

Portrait von Wolfgang Beuß
Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Sauerbeck,

vielen Dank für Ihr Schreiben, in dem Sie Ihre Bedenken zur Einführung von Studiengebühren äußern. Inzwischen ist das Gesetz verabschiedet und ich habe ihm persönlich zugestimmt, da ich es für die unter den gegenwärtigen Bedingungen beste Lösung halte. Die Hochschulen sind unterfinanziert und eine weitere Staatsverschuldung oder Umverteilung im Haushalt aufgrund allerorts knapper Mittel derzeit nicht möglich. Es ist das Ziel von Studiengebühren, die Studienbedingungen zu verbessern.

Zu Ihren einzelnen Einwänden:

1. Ein gewisser Steuerungseffekt von Studiengebühren ist gewünscht, da überlange Studienzeiten weder im Interesse der Gesellschaft noch im Interesse des Absolventen sein können. Ein zielgerichtetes und zügiges Studium ist jedoch nicht per se ein Widerspruch dazu, gleichzeitig fundiert zu studieren und dabei auch über den eigenen Tellerrand hinaus etwa in andere Fachbereiche zu schauen.

Da ein Darlehen nur ab einer bestimmten Einkommensgrenze zurückgezahlt werden muss, besteht kein Grund zu der Befürchtung, dass zukünftig nur vermeintlich lukrative Studiengänge gewählt werden.

2. Damit es nicht zu existenzieller Not kommt, besteht ja gerade der Anspruch auf ein Darlehen. Von verschärfter Hetze kann bei einem Studium, was in Regelstudienzeit absolviert wird, ebenfalls nicht die Rede sein. Voraussetzung dafür ist allerdings - und das soll durch die Einnahmen aus den Studiengebühren erreicht werden -, es stehen genügend Bücher, Praktikumsplätze etc. zur Verfügung.

Um zu gewährleisten, dass die Einnahmen aus den Studiengebühren auch tatsächlich zusätzlich zur Verfügung stehen und für die Verbesserung der Lehre ausgegeben werden, hat die CDU-Fraktion sich für die Festschreibung einer Rechenschaftspflicht der Hochschulen im Gesetz eingesetzt. Die Einrichtung des hochschulübergreifenden Ausfallfonds erfolgt ebenso wie die Begleichung der Kosten für Akkreditierungen aus dem allgemeinen Etat der Hochschulen.

3. Sicherlich wäre es wünschenswert, dass in Deutschland zukünftig ein noch größerer Anteil für die Bildung ausgegeben wird. Da Sie selbst andere Länder zum Vergleich heranziehen: In den USA etwa werden zwei Drittel der Ausgaben für Bildung privat finanziert. Auch in Deutschland muss noch ein größeres Verantwortungsbewusstsein in der Wirtschaft entstehen, sich z.B. durch Stipendien daran zu beteiligen. Das kann jedoch nicht allein Aufgabe des Staates sein.

Was das Kreditmodell betrifft: Da die ärmsten Studenten nicht zwangsläufig diejenigen sind, die auch nach dem Studium am wenigsten verdienen, halte ich Ihre Schlussfolgerung für unzutreffend.

4. Zwar hat ohne Frage die Gesellschaft ein Interesse an gut ausgebildeten Akademikern, dennoch begründet ein Studium auch für den Absolventen selbst einen finanziellen (und ideellen) Wert. Ein Studium ist eine Investition in die eigene Zukunft und stellt eine konkrete Leistung dar, die der Student erhält. Hierfür sollte vom einzelnen auch ein Teil der Kosten übernommen werden.

Studiengebühren sind nicht per se ungerecht, sondern es kommt auf die konkrete Ausgestaltung an. Durch den Anspruch auf ein elternunabhängiges Darlehen, sozial verträgliche Rückzahlungskonditionen und Ausnahmeregelungen z.B. für Studierenden mit Kind sehen wir die soziale Gerechtigkeit gewährleistet.

5. Wir sind ebenfalls der Meinung, dass sich nach den Erfahrungen in anderen Ländern die Einführung von Studiengebühren mittelfristig nicht negativ auf die Studierendenzahl auswirken wird. Es bleibt jedoch wichtig, die Entwicklung der Studentenzahlen sowie der Studienbedingungen nach dem Sommersemester 2007 kritisch zu begleiten.

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Beuß