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Wiebke Esdar
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Frage von Jean-Luc E. •

Wie können wir als Land gegen die massiven Verstöße gegen Menschen- und Kriegsrechte im Ukraine-Krieg vorgehen?

Liebe Frau Esdar,Viktor Orban schüttelt Vladimir Putin als Repräsentant der EU die Hand. Heute schießt Russland am helligten Tage u.A. auf ein Kinderkrankenhaus in Kyiv. Trotzdem sprechen wir immer wieder von "roten Linien" für die Ukraine. Welche roten Linien gelten für Russland? Warum verbieten wir als Bündnispartner den Angriff auf legitime militärische Ziele in Russland, während Russland täglich aus dem sicheren Hinterland Zivilisten töten darf?Ich habe Verständnis, dass man als Bundesregierung im Hinblick auf unsere Geschichte mit Zurückhaltung agiert, wenn es darum geht, eine aktive Rolle in diesen Konflikt einzunehmen. Ich finde es auch sehr gut, dass wir gerade in der Luftabwehr eine Vorreiterrolle einnehmen. Aber ist es nicht widersinnig, Milliarden für Patriots auszugeben, einen Angriff auf die Raketenabschussbasen aber zu verbieten? Russland wird nicht von alleine diesen Krieg beenden. Man muss es zwingen - und der Westen könnte das, zögert aber und lässt Kinder sterben.

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Lieber Herr E.,

danke, dass Sie sich mit Ihrer Frage an mich wenden. Ich möchte Ihnen meine Position hinsichtlich der Unterstützung der Ukraine erläutern, die viele meiner Kolleginnen und Kollegen in der SPD-Bundestagsfraktion teilen. Seit gut zwei Jahren tobt in der Ukraine nun schon der größte Landkrieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Täglich fordert Russlands Aggression unschuldige Opfer und verursacht enormen wirtschaftlichen Schaden. Trotz enormer eigener Verluste sind wesentliche Teile der russischen Streitkräfte intakt. Russland hat seine Armee seit vielen Jahren auf diesen Krieg vorbereitet und auf allen Ebenen neue gefährliche Waffensysteme entwickelt. Und nicht zuletzt schickt Putin immer mehr Soldaten an die Front. Die russische Volkswirtschaft arbeitet längst im Kriegsmodus. Putin hat Wirtschaft, Bildung, Wissenschaft und Kultur in Russland praktisch gleichgeschaltet. Wer sich für Freiheit und Demokratie einsetzt, muss um sein Leben fürchten. Was das bedeutet, zeigte der Tod von Alexej Nawalny Anfang diesen Jahres in russischer Haft. 

Putin hat bereits zahlreiche „rote Linien“ überschritten. Deshalb unterstützen wir die Ukraine dabei, sich gegen die russische Invasion zu verteidigen. Seit Beginn des Krieges haben die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten inklusive Deutschland der Ukraine zusammen bisher knapp 90 Milliarden Euro bereitgestellt. Hinzu kommen 50 Milliarden Euro allein an finanzieller Hilfe, die Ende Januar 2024 für die kommenden Jahre zusätzlich beschlossen wurden. Deutschland allein hat der Ukraine Hilfen im Gesamtwert von knapp 28 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, als humanitäre Unterstützung, direkte Zahlungen oder in Form von Waffen. Damit ist Deutschland für die Ukraine weltweit der größte Geber nach den USA. Außerdem haben wir mehr als vier Millionen ukrainische Flüchtlinge in der Europäischen Union aufgenommen, eine Million davon allein in Deutschland. 

Zum einen decken wir durch unsere Unterstützung hier und jetzt die dringendsten Bedarfe der Ukraine mit Waffen, Material und Ausbildung. Zum anderen geben wir der Ukraine das Versprechen einer langfristigen Unterstützung mit modernsten Systemen und der bestmöglichen Ausbildung für ihre Streitkräfte. Wie bereits im Jahr 2023 haben wir auch für das laufende Jahr zugesagt, 10.000 ukrainische Soldatinnen und Soldaten in Deutschland auszubilden.

Uns erreichen zahlreiche Zuschriften wie ihre, von denen die einen uns fragen, ob wir genug tun, um der Ukraine zu helfen und Putin in die Schranken zu weisen, und die anderen fragen uns, ob wir genug tun, um zu verhindern, dass sich der Krieg ausweitet und Deutschland zur aktiven Kriegspartei wird, bis hin zur Bedrohung unserer Sicherheit.

Meine Haltung ist folgende: Bundeskanzler Olaf Scholz hat zurecht gesagt: „Ohne Sicherheit ist alles andere nichts“. Aber unsere Sicherheit müssen wir in beide Richtungen verteidigen: 

Einerseits müssen wir einen russischen Sieg in der Ukraine verhindern, denn der würde das Ende der Ukraine als freier, unabhängiger und demokratischer Staat sowie die Zerstörung unserer europäischen Friedensordnung bedeuten. Das wäre die schwerste Erschütterung der UN-Charta seit 1945 und nicht zuletzt die Ermutigung an alle Autokraten weltweit, bei der Lösung von Konflikten auf Gewalt zu setzen. Der politische und finanzielle Preis, den wir dann zu zahlen hätten, wäre um ein Vielfaches höher als alle Kosten unserer Unterstützung der Ukraine heute und in Zukunft. Deshalb werden wir die Ukraine so lange wie nötig unterstützen. Und deshalb hat die Bundesregierung im Mai entschieden, dass die Ukraine deutsche Waffen unter bestimmten Umständen auch gegen Ziele auf russischem Territorium verwenden darf.

Andererseits müssen wir die von Ihnen erwähnte Zurückhaltung wahren und verhindern, dass Deutschland oder die NATO Kriegspartei werden. Denn davon würde ein unberechenbares Risiko ausgehen. Deshalb gilt für uns in allen Fragen bezüglich der Unterstützung der Ukraine, dass wir nur im Rahmen einer engsten Abstimmung mit unseren internationalen Partnern, vor allem den USA, handeln. Wir unterstützen die Ukraine nur mit dem Material, dessen Abgabe nötig und verantwortbar ist im Hinblick auf deutsche Sicherheitsinteressen. Darum ist es für uns ein ständiger Abwägungsprozess, welche Unterstützung wir geben und welche Waffensysteme wir liefern. Hier handeln der Kanzler und wir mit großer Bedacht.

Es ist wichtig, sich in Erinnerung zu rufen: Russland hat bislang kein einziges seiner Kriegsziele erreicht. Ursprünglich wollte Putin innerhalb von zwei Wochen Kyiv einnehmen. Zwischenzeitlich hat die Ukraine Teile der ehemals russisch besetzten Gebiete befreit. Die Kontrolle über das westliche Schwarze Meer hat Russland verloren. Das ist zuallererst das Verdienst der ukrainischen Streitkräfte. Aber auch unsere Unterstützung hat dazu beigetragen. Das sollte uns ermutigen, nicht nachzulassen, sondern diesen Weg entschlossen weiterzugehen.

Das am 16. Februar 2024 zwischen Deutschland und der Ukraine geschlossene Sicherheitsabkommen sichert der Ukraine langfristige militärische und wirtschaftliche Hilfe sowie Unterstützung beim Wiederaufbau nach einem Ende des russischen Angriffskrieges zu. Dieses Abkommen wird die Ukraine beim Aufbau moderner, wehrhafter Streitkräfte helfen, die das Land in die Lage versetzen, jeden zukünftigen Angriff abzuschrecken. Gleichzeitig tritt der Bundeskanzler mit Nachdruck dafür ein, dass auch unsere europäischen Partner ihre Unterstützungsleistungen für die Ukraine verstärken. 

Darüber hinaus hat die Bundesregierung bereits im vergangenen Jahr die Plattform Wiederaufbau Ukraine ins Leben gerufen und wird in diesem Jahr die jährlich stattfindende, große internationale Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine in Berlin ausrichten, bei der neben staatlichen Unterstützern auch die Einbindung der Privatwirtschaft vorgesehen ist. Darüber hinaus braucht es jetzt vor allem weiterhin Unterstützung bei der Instandsetzung und dem Wiederaufbau von zerstörter Infrastruktur und Gebäuden, der Unterbringung und Versorgung von Binnengeflüchteten sowie der psychosozialen Betreuung, um das unermessliche Leid der Menschen in der Ukraine zu lindern. Die ukrainisch-deutschen Partnerschaften der Städte und Gemeinden spielen schon eine zentrale Rolle beim dezentralen Wiederaufbau und sollten weiter gestärkt werden. Deutschland und die EU haben bislang umfangreiche humanitäre Hilfe sowie entwicklungspolitische Unterstützung für die Ukraine bereitgestellt und werden dies weiter tun. 

Unter folgendem Link finden Sie zudem den Antrag der Ampel-Fraktionen „Zehn Jahre russischer Krieg gegen die Ukraine – Die Ukraine und Europa entschlossen verteidigen“, den wir Anfang diesen Jahres im Bundestag beschlossen und damit die gemeinsame Position der Koalition öffentlich zum Ausdruck gebracht haben: https://dserver.bundestag.de/btd/20/103/2010375.pdf

Herzliche Grüße

Wiebke Esdar

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