Frage an Walter Scheuerl von Elke D. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
ich möchte von ihnen wissen, warum es in Hamburg möglich ist, dass Schüler mit Lese- Rechtschreibschwierigkeiten in der Schule so wenig gefördert werden (1 Förderstd.), dass es ausreicht, besser zu sein als die schlechtesten 5%, um keine zusätzliche Förderung zu erhalten. Ich kenne einen Schüler, der in den ersten 5 Schuljahren stets gerade über diesen 5% lag und selten mehr als eine Förderstunde pro Woche bekam. Dessen Eltern versucht haben zuhause zu fördern, Ärzte aufsuchten und bei der Schulbehörde (und Verwaltungsgericht) vergebens um bessere Förderung ersucht haben - die finanziellen Mittel fehlten oder wurden anderweitig verwendet. Nun - in der 6. Klasse, ist der Schüler bei der Hamburger Schreibprobe unter die 5% gerutscht und bekommt eine zusätzliche Förderung - falls der Antrag bewilligt wird. Da so eine außerunterrichtliche Lernförderung nur bis zum Ende der 6, Klasse vorgesehen ist, kann dieser Schüler die restlichen Schuljahre ohne zusätzliche Förderung verbringen. Er schreibt nahezu jedes Wort fehlerhaft und hat kaum noch Selbstbewusstsein . Die Problematik war von Schulbeginn an bekannt. Man muss nicht viel Fantasie haben, um zu ahnen, dass dieser Junge wahrscheinlich keinen Schulabschluss erreicht - trotz überdurchschnittlicher Intelligenz und bildungsnahem Elternhaus (sie lesen sogar!). Ist es noch gängige Praxis, dass Grundschulen die Mittel für Förderunterricht zweckentfremden (z.B. für Vertretungsunterricht)? Warum ist es in Hamburg möglich, dass Kinder mit Legasthenie (das Wort ist zutreffender) nach Gutdünken (Qualität und Quantität) der jeweiligen Schule gefördert werden und/oder scheitern. Selbst Nachteilsausgleich muss hart erkämpft werden. Als hätten die betroffenen Familien es nicht schon schwer genug. Herzlichen Dank im voraus
Liebe Frau Dähnert,
vielen Dank für Ihre Anfrage, mit der Sie den Finger genau in die offene Wunde des unausgegorenen "Förder-" und "Inklusions"-Konzeptes von Schulsenator Ties Rabe legen. Schulsenator Rabe hat sich dafür entschieden, die individuellen Förderressourcen für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Bereichen Lernen, Sprache (einschließlich Legasthenie) und/oder emotionale und soziale Entwicklung abzuschaffen und diese Ressourcen nur noch als sog. "systemische" Ressource, d. h. im Klartext nach dem Gießkannen-Prinzip über alle Schulen zu verteilen.
Für die betroffenen Kinder bedeutet das, dass ihnen individuell an vielen Schulen keine Förderung zukommen kann, weil es dort entweder nicht genug Stundenzuweisungen oder - und das kommt sehr viel häufiger vor - einfach nicht die fachlich ausgebildeten Sonderpädagogen gibt, die dem Kind helfen könnten. Die normalen Grundschulehrkräfte und Schulleitungen sind sowohl mit dem Erkennen als auch mit der Diagnose und dem Erstellen individueller Förderpläne mangels fachlicher Ausbildung völlig überfordert. Die Leidtragenden sind die Kinder!
Wir prangern diesen Konstruktionsfehler des Rabe-"Inklusions"-Konzeptes seit den ersten Ankündigungen von Senator Rabe sowohl durch das Elternnetzwerk "Wir wollen lernen!" (www.wir-wollen-lernen.de) als auch über die CDU-Fraktion an. Auch die Kammern und die Fachverbände kritisieren das Vorgehen von Senator Rabe scharf. Bisher leider ohne Erfolg.
Ich kann Ihnen nur versprechen, dass wir an dem Thema dran bleiben werden!
Herzliche Grüße,
Walter Scheuerl