Frage an Walter Scheuerl von Edith A. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Hallo Herr Dr. Scheuerl!
Tja, manchmal kennt man sich lange, versteht einander aber trotzdem nicht. Ich wollte ja nicht wissen, was Sie nicht wollen, sondern ganz konkret wie Sie den Begriff Bildung definieren und was Sie unter "Bildungspolitik für die Zukunft der Gesellschaft" verstehen. Ich bitte da wirklich um eine ganz klare und allgemeinverständliche (bzw. selbst Kindern verständliche) Ansage!
Ich weiß selbst, daß dies nicht ganz einfach ist - aber wenn wir nicht anfangen unsere unterschiedlichen Definitionen einmal auf den Tisch zu legen, werden wir immer aneinander vorbeireden.
Beispiel: das Phantom der bösen Einheitsschule! Wer will die denn? Ich kenne niemanden...
So wie ich Sie verstehe, setzen Sie Bildung im wesentlichen mit Belehrung und der Anhäufung von Wissen gleich (auch Kompetenzen kann man eingetrichtert bekommen). Für mich hingegen ist Bildung ein aktiver Prozeß, der durch Interesse und Neu-Gier (aber auch Belohnung) vorangetrieben wird und sich durch Erfahrungen, be-greifen und das Recht zum Fehler machen auszeichnet. Ich finde zum Beispiel auch, daß man endlich aufhören sollte, über Kompetenzen und Standards nachzudenken, sondern ganz einfach einmal über die Kinder und darüber, wie diese lernen und welche optimalen Voraussetzungen man ihnen dafür schaffen sollte.
Und apropos DUDEN: Ich benutze den sehr gern und häufig und stoße beim Nachschlagen oft auf ganz neue Informationen, nur weil ich im ersten Schritt vielleicht an der falschen Stelle nachgeschlagen habe. Das ist das, was ich eben mit dem aktiven Lernen meinte und damit, daß "Fehler" die größte Lernhilfe sind. Denken Sie doch nur einmal an Kleinkinder, die anfangen zu laufen: wie oft fallen diese wieder hin - aber keines gibt dadurch auf...
Also bitte nochmals - und das ist ganz ernst gemeint - erklären Sie mir in einfachen Worten, was Sie unter Bildung verstehen!
Danke
Edith Aufdembrinke
Sehr geehrte Frau Aufdembrinke,
Vielen Dank für Ihre Nachfrage. Bildung ist der individuelle Bestand an konkret erworbenen Kenntnissen in den Grundfertigkeiten Lesen, Schreiben und Rechnen sowie in den Naturwissenschaften in Verbindung mit Geschichtskenntnissen, Fremdsprachen, literarischen Kenntnissen, Erfahrungen mit anderen Kulturkreisen, einer ästhetischen, musikalischen und philosophischen Erziehung sowie einer Wertebildung, dies alles verknüpft mit der Fähigkeit, Querverbindung zwischen diesen Kenntnissen herstellen zu können.
Bildung und ihre Bestandteile können auf ganz unterschiedliche Weise erworben werden. Kindliches Ausprobieren und "Entdecken" ist schön, in jugendlichen Jahren aber nicht mehr ausreichend, wenn man den Anspruch erhebt, über einen bestimmten Kanon an Grundkenntnissen hinaus zu gelangen, wie er im Werkstatt- und Projektunterricht zwar spielerisch, aber eben auch mit einem erheblichen Zeitaufwand erlangt werden kann. Anders ausgedrückt: Wenn wir das Kind nur sich selbst und seiner Neugierde überlassen, wird zwar vielleicht auch das eine oder andere erlernen, aber nicht so viel, wie es im direkten Miteinander des angeleiteten Lernvorgangs zwischen Schüler und Lehrer lernen kann. Gruppen-, Werkstatt-, Projekt- und "individualisierter" Unterricht sind deshalb nicht alles, wenn wir für die Kinder ein Optimum an Bildungschance sicherstellen wollen.
Herzliche Grüße
Walter Scheuerl