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Walter Scheuerl
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Frage von Edith A. •

Frage an Walter Scheuerl von Edith A. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Hallo Herr Dr. Scheuerl!

Bisher galt Ihr bildungspolitisches Interesse ja mehr dem Erhalt gesellschaftlicher Stukturen als den Kindern (ich erinnere dabei nur an die Durchsetzung des Elternwillens zu Lasten des Kindeswohls). Wie sieht Ihr Bild von einer "Bildungspolitik für die Zukunft der Gesellschaft" denn überhaupt aus bzw. was verstehen Sie persönlich unter "Bildung"?

Gruß
Edith Aufdembrinke

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Antwort von
SCHEUERL

Sehr geehrte, liebe Frau Aufdembrinke,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Wir kennen uns aus der schulpolitischen Diskussion jetzt schon so lange, dass Sie längst wissen, dass es den Vertretern der erfolgreichen Volksinitiative "Wir wollen lernen!" und mir um die Erhaltung und Verbesserung der Zukunftschancen aller Hamburger Kinder geht. In einer Bildungsgesellschaft wie der unseren setzen Zukunftschancen vor allem eine gute Schulbildung voraus. Diese kann nach den Interessen und Begabungen der Schülerinnen und Schüler sehr unterschiedlich aussehen. Denn Kinder sind unterschiedlich und Lebenswege sind unterschiedlich. Eine Einheitsschule, die alle Kinder trotz ihrer unterschiedlichen Interessen, Begabungen und Fähigkeiten gleich behandelt, ist deshalb von vornherein die strukturell schlechteste Voraussetzung für das Erreichen einer möglichst großen Zahl von individuell optimalen Schul- und Bildungserfolgen.

Unter Bildung verstehe ich dabei - anders als so manche gesellschafts-ideologisch argumentierenden Vertreter der Einheitsschul-Pädagogik - sehr viel mehr als "Kompetenzen" im Lesen, Schreiben, Rechnen und Naturwissenschaften von 15-Jährigen gemessen in PISA-Fragebogen-Tests. Bildung ist für mich über einen Bestand Kenntnissen in den eben genannten Grundfertigkeiten hinaus die Verbindung von Geschichtskenntnissen, Fremdsprachen, literarischen Kenntnissen, Erfahrungen mit anderen Kulturkreisen, einer ästhetischen, musikalischen und philosophischen Erziehung sowie einer Wertebildung, dies alles verknüpft mit der Fähigkeit, Querverbindung zwischen den Disziplinen herstellen zu können.

Wir müssen in der Bildungspolitik dem leider verbreiteten Trend entgegenwirken, nicht mehr über die Inhalte des Unterrichts nachzudenken, sondern nur noch über "Kompetenzen" und "Standards", mit denen statt der Inhalte nur noch beschrieben wird, welche Handlungen Schüler erfolgreich ausführen sollen. Denn verantwortliche Entscheidungen können Kinder, Jugendliche und später Erwachsene nur dann treffen, wenn sie auf Grund ihres Wissens (!) beurteilen können, welche Konsequenzen eine Entscheidung A oder B haben wird.

Sie können das konkret auch bei jugendlichen Schülern erfahren, die ein Referat unter Einsatz des Internets als Recherchemittel anfertigen sollen: Wenn die Schüler noch keine Orientierung über ein bestimmtes Sachgebiet haben, wissen sie gar nicht, wonach und in welche Richtung sie suchen sollen und können sie gefundene Informationen auch nicht einordnen und gewichten. Das ist so wie mit dem DUDEN: Wenn Sie nicht wissen (!), wie ein Wort ungefähr geschrieben wird, werden Sie es im DUDEN auch nicht finden. Die bloße "Kompetenz", in einem Buch blättern zu können, wird Ihnen kaum helfen.

Herzliche Grüße

Ihr
Walter Scheuerl