Frage an Victor Perli von Wolfram D. bezüglich Soziale Sicherung
Guten Abend Herr Perli,
meine Frage an Sie lautet wie folgt:
Wie stehen Sie persönlich zu dem bedingungslosen Grundeinkommen?
Und wie ist die Position ihrer Partei dazu?
Ich bin in einem Buch des Unternehmers und Gründers der Firma dm, Götz Werner, auf diese Idee gestoßen und finde sie faszinierend.
Es geht darum, dass jeder Mensch, egal ob 15 Jahre alt, oder 85 Jahre alt,
egal ob Arbeitslos oder Multimilliardär ein festes Grundeinkommen bekäme.
Dieses besteht beispielsweise aus 1000 Euro und sichert jeden Menschen ab.
liebe Grüße,
Wolfram Z. Daschner
Sehr geehrter Herr Daschner,
herzlichen Dank für Ihre Anfrage. Ich finde die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens interessant, weil sie die grundsätzliche Frage aufwirft, wie und unter welchen gesellschaftlichen Voraussetzungen es gelingen kann, soziale Sicherheit für jeden Menschen zu erreichen. Die provokante Vorstellung eines bedingungslos zur Verfügung stehenden Einkommens weckt bei vielen Menschen Interesse und leistet einen wichtigen Beitrag zur Debatte über soziale Gerechtigkeit und einen solidarischen Sozialstaat.
Ich bin mir mit Verfechter/innen des bedingungslosen Grundeinkommens in der Kritik am Status Quo häufig einig. In den letzten Jahren wurden von CDU/FDP und SPD/GRÜNE wesentliche Pfeiler des Sozialstaats, etwa die Grundsicherung und die Sozialversicherungen, weitgehend zerschlagen und teilprivatisiert. Das hat die Lebensverhältnisse und Zukunftsperspektiven vieler Menschen verschlechtert und zu einer schlimmen sozialen Spaltung, zu Armut, Perspektivlosigkeit und sozialer Unsicherheit geführt. Der repressive und sanktionierende "Sozialstaat" ist definitiv gescheitert.
Die verschiedenen existierenden Modelle des bedingungslosen Grundeinkommens überzeugen mich allerdings nicht. Einzelne Grundeinkommensmodelle stellen bereits in ihrer Theorie keinen sozialen Fortschritt dar, etwa wenn sie darauf abzielen mit der Einführung des Grundeinkommens sämtliche Sozialversicherungssysteme abzuschaffen und damit sämtliche Risiken dem Einzelnen zu überlassen. Die Einführung der Sozialversicherung war ein großer zivilisatorischer Fortschritt, weil die Gemeinschaft in einem solidarischen System die Existenz aller Mitglieder sichert. Ein Grundeinkommen reicht alleine aber nicht aus, um z.B. eine teure medizinische Behandlung zu finanzieren.
Andere Modelle laufen auf eine immense Entlastung der Arbeitgeber/innen hinaus, weil diese das Einkommen ihrer Beschäftigten nicht mehr sichern, sondern nur noch "aufstocken" müssen. Im Rahmen einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen dann staatlich-finanzierte Lohndrückerei. Grundsätzlich stellt sich auch die Frage der Finanzierung. Unstrittig ist, dass alle Modelle einen immensen Verteilungsprozess in Gang setzen würden. Diese Geldzirkulation dient dann aber nur dem Zweck der Finanzierung des Grundeinkommens - und nicht der Umverteilung zugunsten einer gerechten Verteilung des Reichtums.
Nahezu allen Modellen ist zudem gemein, dass sie die kapitalistische Wirtschaftsweise nicht in Frage stellen, obwohl eine zentrale Ursache für die soziale Spaltung der Menschen und die Ausbeutung unseres Planeten im Profitzwang dieser Wirtschaftsweise liegt.
DIE LINKE tritt hinsichtlich der Grundsicherung für die Überwindung von Hartz IV hin zu einer bedarfsorientierten sozialen Grundsicherung für alle Menschen ein, die über kein ausreichendes Einkommen oder Vermögen verfügen. Diese soziale Grundsicherung muss die soziokulturelle Teilhabe garantieren, Armut ausschließen und repressions- sowie sanktionsfrei sein.
Darüber hinaus geht es uns aber auch um eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums, mehr und gute Arbeit sowie einer auf sozialen Rechten basierenden Absicherung durch Sozialversicherungssysteme. Ich finde es bedauerlich, dass die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich bei den Gewerkschaften und auch allgemein in Vergessenheit geraten ist. Dabei gilt: Erwerbsarbeit ist genügend da, sie ist nur falsch verteilt. Auf der einen Seite gibt es Menschen, die zu viel arbeiten, auf der anderen jene, die keine Arbeit finden.
Zudem braucht es einen öffentlichen Beschäftigungssektor in sozialen, ökologischen und kulturellen Bereichen, die unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zwar als nicht profitabel gelten, aber einen großen (unbezahlbaren) Nutzen für eine solidarische Gesellschaft haben (Pflege und Betreuung von Menschen, aktiver Umweltschutz, Freizeit- und Kulturgestaltung etc.).
Unter diesen Voraussetzungen wäre die Nachfrage nach einer sozialen Grundsicherung wesentlich geringer als es heute bei Hartz IV (rund 7 Millionen Empfänger) der Fall ist.
Auch wenn die Forderung des bedingungslosen Grundeinkommens keine Parteiposition der LINKEN ist, gibt es eine muntere Diskussion über das Für und Wider - auch in der aktuellen Programmdebatte. Der Wolfenbütteler Kreisverband hat ebenfalls bereits mehrfach über die verschiedenen Modelle diskutiert. Im Oktober 2010 war die stellvertretende Parteivorsitzende Katja Kipping (MdB) in Wolfenbüttel zu Gast, die eine der bekanntesten Befürworterinnen dieser Idee ist.
Innerhalb der LINKEN ist ein eigenes Modell für das bedingungslose Grundeinkommen entstanden. Weitere Informationen dazu erhalten Sie bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen, in der sich die Befürworter/innen zusammengeschlossen haben: http://die-linke.de/partei/zusammenschluesse/baggrundeinkommen/ .
Sollten Sie weitere Fragen zu diesem Thema haben oder an einem Austausch zu den Argumenten interessiert sein, können wir gerne ein Gespräch in meinem Wolfenbütteler Abgeordnetenbüro in der Fischerstraße vereinbaren.
Viele Grüße
Victor Perli