Frage an Ute Leidig von Carsten H. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau Leidig,
Unsere Kinder leiden unter der Umstellung auf G8, da die Lehrpläne nicht entsprechend angepasst worden sind. Gleichzeitig setzt unser Bundesland wohl auf Gemeinschaftsschulen, die leider kein Erfolgsmodell darstellen. Können wir zum Wohl unserer Kinder auf die Umstellung auf G9 hoffen?
Vielen Dank vorab
Mit freundlichen Grüßen
C. H.
Sehr geehrter Herr H.,
gerne antworte ich Ihnen auf Ihre Anfrage über abgeordnetentwatch.de hinsichtlich der Weiterführung von G8 und der Entwicklung der Gemeinschaftsschulen (GMS) in Baden-Württemberg.
Das wichtigste Ziel Grüner Bildungspolitik ist, dass jedes Kind die besten Bildungschancen hat. Daher haben wir die individuelle Förderung an allen Schularten gestärkt, wovon alle Schüler*innen, auch die schwächeren und die leistungsstärkeren, gleichermaßen profitieren. Entscheidend ist nicht, wie lange die Schüler*innen die Schule besuchen, sondern welche individuelle Unterstützung sie erhalten, um die Schule erfolgreich abzuschließen.
Der Schwerpunkt liegt für uns auf der Qualität des Unterrichts. Das bestätigt sich auch im Austausch mit G9-und G8-Gymnasien. So gibt es G9-Standorte, an denen Eltern eine erhebliche zeitliche Belastung beschreiben, während es G8-Standorte gibt, die hier keine spürbare Veränderung feststellen können. Entscheidend ist, dass wir Pädagogik und Didaktik an die veränderten Rahmenbedingungen anpassen. Wir setzen uns dafür ein, dass das G8-Gymnasium kinder- und jugendgerecht gestaltet wird. Um die Kinder im achtjährigen Gymnasium zu entlasten, haben wir den Bildungsplan entsprechend weiterentwickelt.
In Baden-Württemberg gibt es aber auch weiterhin die Wahl zwischen G8 oder G9. Eltern, die einen neunjährigen Weg zum Abitur präferieren, können alternative Wege wählen. Mit den neuen Oberstufen an den GMS sowie den beruflichen Gymnasien und 43 Modell-Gymnasien haben Schüler*innen und Eltern flächendeckend hochwertige Angebote, die den neunjährigen Weg zum Abitur ermöglichen. Diese pädagogische Vielfalt bietet ganz individuelle Wege zum Abitur und erleichtert die Durchlässigkeit für die Schüler*innen.
Für uns Grüne ist zentral, dass wir die G8-Gymnasien kontinuierlich weiterentwickeln und Lehrerkräfte, Schüler*innen sowie Eltern Planungssicherheit und eine nachhaltige Mitgestaltung ermöglichen. Darauf haben wir uns im Koalitionsvertrag mit der CDU auch verständigt. Es geht uns darum, Schüler*innen so gut wie möglich individuell zu fördern und dabei ihre individuellen Talente zu stärken. Wir sind der Meinung, dass sich das G8-Gymnasium als leistungsstarke Schule und tragende Säule unseres Schulsystems etabliert hat. Aus diesen Gründen sehen wir Grüne in Baden-Württemberg die Rückkehr zu G9 nicht als den richtigen Weg an.
Zur Gemeinschaftsschule: Derzeit laufen von Seiten einiger Verbände der Gymnasien regelrechte Kampagnen gegen die Gemeinschaftsschulen (GMS). Die dort getroffenen Aussagen entsprechen nicht den Erfahrungen, die allgemein mit GMS gemacht werden. Die meisten Erfahrungen mit dieser innovativen Schulart sind nämlich sehr positiv. Mit den GMS haben wir in Baden-Württemberg eine seit langem gewünschte Schule für alle geschaffen. Sie bietet längeres gemeinsames Lernen, moderne pädagogische Konzepte und bereitet auf alle Schulabschlüsse vor. An über 320 GMS lernen heute gut 75.000 Kinder- und Jugendliche von- und miteinander. Konkret bedeutet das, dass bereits jede*r sechste Schüler*in nach der Grundschule auf eine GMS wechselt. Damit hat sich diese neue Schulart in vielen Regionen unseres Landes flächendeckend etabliert. Auch die ersten Oberstufen an GMS sind inzwischen gestartet und führen nun zum Abitur; in Karlsruhe wird voraussichtlich zum Schuljahr 2021/22 eine erste gymnasiale Oberstufe eingerichtet werden, worauf ich mich sehr freue. Mit der geplanten Einrichtung der Oberstufe wird auch in Karlsruhe ein weiteres wichtiges bildungspolitisches Ziel von uns Grünen und ein langjähriger Wunsch der Schüler*innen sowie deren Eltern erfüllt werden.
Selbstverständlich stehen die Landtagsabgeordneten und Gemeinderät*innen bzw. Stadträt*innen der Grünen regelmäßig mit ihren GMS vor Ort im Austausch. So haben mein Karlsruher Abgeordnetenkollege Alexander Salomon und ich im Herbst 2019 eine öffentliche Veranstaltung und einen Runden Tisch zur GMS durchgeführt sowie zwei GMS in Karlsruhe besucht. Wir konnten durchweg positive Eindrücke gewinnen, aus den Gesprächen mit Lehrkräften, Eltern und Schüler*innen wie auch aus den Unterrichtsbesuchen. Daher sind wir auch weiterhin davon überzeugt, dass die GMS sehr gute pädagogische Arbeit leisten und eine große Bereicherung für die Bildungslandschaft in Baden-Württemberg bedeuten.
Die Leistungsfähigkeit der GMS lässt sich gut mit Zahlen belegen: Wie bereits in den Jahren 2017 und 2018 sind die Übergangsquoten von der Grundschule auf die weiterführenden Schulen stabil. Die Übergangsquoten zum Schuljahr 2019/2020 haben sich auf Landesebene im Vergleich mit dem Vorjahr kaum verändert. Auch bei den GMS ist die Übergangsquote nahezu unverändert und liegt nun bei 13,0 Prozent (Vorjahr: 12,8 Prozent). Von den Schüler*innen, die auf eine GMS wechselten, hatten 65,0 Prozent (Vorjahr: 65,4 Prozent) eine Grundschulempfehlung für die Werkreal-/Hauptschule, 26,3 Prozent (Vorjahr: 26,0 Prozent) eine Grundschulempfehlung für die Realschule und 8,7 Prozent (genau wie im Vorjahr) eine Grundschulempfehlung für das Gymnasium.
Zudem haben auch die Prüfungsergebnisse für den Realschulabschluss gezeigt, dass die GMS gute Arbeit leisten. Obwohl der Anteil der Schüler*innen mit Grundschulempfehlung für die Haupt- und Werkrealschule sehr hoch ist, gelingt es den GMS dennoch besser, den Schüler*innen zum Realschulabschluss zu verhelfen. Im Schuljahr 2017/2018 fand an den 41 GMS der 1. Tranche die erste Realschulabschlussprüfung statt. Diese haben bei der für sie neuen Realschulabschlussprüfung in den Fächern Deutsch und Englisch im Schnitt ein mit den Ergebnissen der Realschule vergleichbares Ergebnis erzielt. Nur im Fach Mathematik weichen die Ergebnisse voneinander ab. Im Schuljahr 2018/2019 sind die Prüfungsleistungen weitgehend konstant geblieben, beim Realschulabschluss schnitten die GMS sogar exakt gleich ab wie im Jahr davor. Bei der Bewertung der Ergebnisse müssen außerdem folgende Aspekte der GMS berücksichtigt werden:
• Die leistungsstarken Schüler*innen der GMS lernen in Klassenstufe 10 auf dem erweiterten (gymnasialen) Niveau und werden nach der gymnasialen Versetzungsordnung in die gymnasiale Oberstufe versetzt. Sie absolvieren deshalb keine Realschulabschlussprüfung.
• Der Anteil der Schüler*innen, die in Klasse 10 im Schuljahr 2017/2018 den Realschulabschluss abgelegt haben oder auf erweitertem Niveau versetzt wurden, liegt bei rund 60 %. Dagegen hatten für das Schuljahr 2012/2013, (in dem diese Schüler*innen auf die GMS wechselten) nur rund 40 % der Schüler*innen dieses Jahrgangs eine Grundschulempfehlung für die Realschule oder das Gymnasium. Im Schuljahr 2018/2019 sind die Zahlen vergleichbar. Das heißt, dass die GMS viele ihrer Schüler*innen auf ein höheres Niveau fördern konnten als dies in der Grundschulempfehlung prognostiziert wurde.
Die Ergebnisse der mittleren Abschlüsse an den GMS zeigen, dass der Weg des gemeinsamen Lernens zum Erfolg führt. Den GMS ist es gelungen – trotz einer zu Beginn leistungsschwächeren Schülerschaft im Vergleich zu den Realschulen – ganz ähnliche oder teilweise sogar deutlich bessere Ergebnisse zu erzielen. Das zeigt: Das Lernumfeld der GMS bietet ihren Schüler*innen optimale Bedingungen für den Bildungsaufstieg. Entscheidend ist also nicht, mit welcher Empfehlung ein Schüler oder eine Schülerin an eine Schule geht, entscheidend ist, was man daraus macht.
Die große Stärke der GMS ist es, dass die Lehrkräfte jede Schülerin und jeden Schüler individuell im Blick haben. In keiner anderen Schulart ist die individuelle Begleitung der Schüler*innen so intensiv wie hier. Die Schüler*innen lernen entsprechend ihrer individuellen Leistungsfähigkeit im jeweiligen Fach auf unterschiedlichen Lernwegen – und entfalten so ihre Fähigkeiten optimal. Davon profitieren die Schwächeren ebenso wie die Leistungsstarken. Das ist in Zeiten, in denen der gesellschaftliche Zusammenhalt auf die Probe gestellt wird, ein hohes Gut. Wir Grüne bauen weiterhin darauf, dass längeres Von- und Miteinanderlernen und die gelebte Inklusion in den GMS den Schulalltag bereichern und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken. Denn wir stehen gesamtgesellschaftlich vor enormen Herausforderungen und wir Grüne sind davon überzeugt, dass die GMS darauf eine gute Antwort gibt. Eine Abkehr von der Schulart stand und steht für uns Grüne in keiner Weise zur Debatte!
Abschließend möchte ich Sie noch auf eine Pressemitteilung des Kultusministeriums zu den Ergebnissen der Abschlussprüfungen an Haupt-, Werkreal-, Real- und Gemeinschaftsschulen des Jahres 2018 hinweisen. Das erfreuliche Ergebnis dieses Vergleichs: Die Prüfungsleistungen sind über alle Schularten hinweg konstant geblieben.
https://km-bw.de/,Lde_DE/Startseite/Service/2019+10+21++Pruefungsergebnisse+Sek+I?QUERYSTRING=abschl%C3%BCsse
Dass Ihre Kinder mit G8 zu kämpfen haben, bedaure ich. Wir hören immer mal wieder, dass die Bildungspläne an den Schulen nicht ausreichend angepasst wurden und sehen hier punktuell immer noch Bedarf für Nachbesserungen. Auf einige Aspekte der Ausgestaltung von G8 hat die Schule aber auch direkten Einfluss. Die Anpassung an den Schulen wurde teilweise unterschiedlich gehandhabt, angefangen vom Einstieg in die zweite Fremdsprache bis hin zur Umstellung der Unterrichtsstruktur auf Blockunterricht. Auch das trägt dazu bei, ob bzw. welche Belastung die Schüler*innen erleben.
Ich hoffe, dass Ihnen mein Überblick über die Standpunkte der Grünen Bildungspolitik in Baden-Württemberg hinsichtlich G8 und GMS weiterhelfen und Unklarheiten auflösen konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Ute Leidig