Frage an Ursula Helmhold von Jennifer B. bezüglich Innere Sicherheit
Guten Tag Frau Helmhold,
ich habe mal eine Frage zu dem Thema Jugendkriminalität in Deutschland! Da dieses Thema momentan ja sehr verbreitet diskutiert wird, würde mich mal interessieren, was dagegen getan werden soll, dass die Jugendkriminalität sich in Deutschland nicht weiter verbreitet, oder sogar etwas gemindert werden kann?
Da ich selber noch Jung bin, und man sowas auf öffentlichen Straßen immer wieder mitbekommt, bin ich sehr dafür, dass etwas dagegen unternommen wird, da es jeden von uns betreffen könnte!
Mit freundlichen Grüßen
Jennifer Behn
Liebe Frau Behn,
vielen Dank für Ihre Mail.
Ich verstehe, dass Sie sich Sorgen machen und hoffe, meine Antwort kann Ihnen diese Sorge etwas nehmen, denn ich denke, mit entsprechenden Maßnahmen wäre Jugendgewalt gut in den Griff zu bekommen.
Die aktuelle Debatte um Jugendgewalt zeigt uns einmal mehr, wie wichtig es ist, früh zu handeln,
um gewalttätiges Verhalten zu verhindern. Da soziale Schwierigkeiten und Perspektivlosigkeit
die Hauptgründe für Jugendgewalt sind, muss meiner Meinung nach hier angesetzt werden.
Wir schlagen ein ganzes Maßnahmenbündel vor, um jungen Menschen früh eine Chance zu geben - eine Chance auf Bildung und Teilhabe.
Leider hängt in Deutschland Bildung immer noch viel zu stark von der sozialen und ethnischen Herkunft ab. Diesen Zusammenhang müssen wir aufbrechen. Wir verstehen unter Bildung mehr als reine Wissensvermittlung und gute PISA-Ergebnisse. Vielmehr hat Bildung vor allem mit sozialem Lernen und Persönlichkeitsentwicklung zu tun.
Wir finden, Kinder müssen früh gefördert werden. Nicht jedem Kind wird zu Hause vorgelesen, nicht jedes wird in seiner Entwicklung optimal gefördert. Daher ist es neben dem Ausbau der Kinderbetreuungsplätze von größter Bedeutung, die Qualität der frühkindlichen Förderung zu steigern. Wir wollen einen Rechtsanspruch auf frühkindliche Bildung und Betreuung ab dem 1. Lebensjahr. Dazu gehört auch, die Erzieherausbildung mittelfristig auf Hochschulniveau anzuheben. Die Sprache ist der Schlüssel, um die Welt zu verstehen, deshalb brauchen Kinder mit Sprachproblemen frühzeitige Unterstützung. Außerdem muss jedes Kind mitgenommen, individuell gefördert und zu einem Abschluss geführt werden. Ein Schulsystem, das Kinder mit zehn Jahren auf "niedrige" und "höhere" Schulformen aufteilt und etwa 10 Prozent der Jugendlichen ohne Abschluss entlässt, fördert Minderwertigkeitsgefühle, Frust und somit letztlich auch Gewalt. Wir wollen die Beschämung durch Auslese und das frühe Verteilen von Lebenschancen nicht mehr hinnehmen. Kinder sollen länger gemeinsam und voneinander lernen, denn die Erfahrung zeigt auch, dass Haupt- oder Förderschulen schnell zu "Ghettos" werden können, in denen Kinder eben nicht nur Positives lernen. Eine neue Lernkultur, die auf jedes Kind besonders eingeht, stärkt sowohl die Leistungsstarken als auch die Schwächsten. Das Sitzenbleiben wollen wir abschaffen und Kinder mit Handicaps nicht länger auf Förderschulen abschieben.
Aber auch die Eltern wollen wir ins Boot holen. Eltern, ErzieherInnen und LehrerInnen teilen Verantwortung für die Entwicklung der Kinder und müssen eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten. In Bildungsdebatten werden die Eltern allerdings als wichtigste Erziehungspersonen mitunter vergessen. Dabei ist es zentral für den Bildungserfolg von Kindern, deren Eltern mit einzubeziehen. Zur Stärkung der Elternarbeit gehören Erziehungsvereinbarungen, Information und Aufklärung über Bildungsgänge und -angebote, aber auch Weiterbildung für Eltern wie Sprachkurse oder Beratung in Erziehungsfragen.
Der Kontakt zu Eltern mit Migrationshintergrund muss verbessert werden - aus kulturellen und sprachlichen Gründen bleiben sie in der Beziehung Eltern-Schule allzu häufig außen vor. Die Migrantenverbände und -organisationen sind ebenfalls aufgefordert, Aufklärungsarbeit zu leisten und zwischen Schule und Familien zu vermitteln. Letztlich ist es Aufgabe aller Eltern, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Häufiges Schuleschwänzen ist ein Alarmsignal. Den Ursachen muss auf den Grund gegangen und pädagogisch begegnet werden. Notfalls muss die Schulpflicht mit Nachdruck durchgesetzt werden. Gemeinsam mit der Türkischen Gemeinde in Deutschland starten wir eine Kampagne für eine gewaltfreie Erziehung, die in türkischer und deutscher Sprache für eine Umsetzung des Gewaltschutzgesetzes werben wird.
Besonderes Augenmerk muss aber auch auf männliche Bildungsverlierer gerichtet werden. Jugendgewalt ist überwiegend männlich - sowohl was die Täter als auch was die Opfer angeht. Viele Jungen erleben zuerst in ihrer Familie Gewalt, positive männliche Vorbilder fehlen. In Kita und Grundschule treffen sie fast ausschließlich auf weibliche Pädagogen und können auch hier nicht von positiven männlichen Identifikationsfiguren lernen. Wir brauchen deshalb mehr Männer in Kitas und Grundschulen und eine stärkere Rollenreflektion aller Erziehungskräfte in den Einrichtungen.
Mit vielen Grüßen
Ursula Helmhold