Wie kann der Staat sexuell traumatisierten Müttern und ihren Töchtern mit Geschlechtsdysphorie am besten helfen ?
Sehr geehrte Frau Bahr,
der Jugendpsychiater Alexander Korte ist Experte für Geschlechtsdysphorie. Er meint, es gebe eine exponentielle Zunahme und ein verändertes Geschlechtsverhältnis bei Geschlechtsdysphorien und 85 % der trans Identifizierten seien biologische Mädchen. Außerdem gebe es eine empirische Evidenz dafür, dass bei sexuell traumatisierten Müttern die Wahrscheinlichkeit deutlich höher sei, dass deren Kind eine Geschlechtsdysphorie entwickelt. Es liege dabei die Annahme zugrunde, dass die jeweilige Mutter nicht als positives weibliches Rollenmodell zur Verfügung gestanden habe ( https://taz.de/Jugendpsychiater-ueber-Transidentitaet/!5845336/ ). Gibt es schon wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, warum die Zahl der trans Identifizierten so stark ansteigt und warum mehrheitlich Mädchen darunter sind. Wird eine Studie hierzu in Auftrag gegeben ? Und mit welchen staatlichen Maßnahmen kann der Staat diesen traumatisierten Müttern und ihren Töchtern helfen ?
Sehr geehrte Frau Z.,
vielen Dank für Ihre Frage. Ein Grund für die gestiegene Zahl von Transidentitäten könnte sein, dass das Thema nicht mehr so stark stigmatisiert ist und Betroffene auf mehr Verständnis treffen, auch in ihren Familien. Über die Ursachen von Geschlechtsinkongruenzen und die höhere Zahl von trans Männern möchte ich nicht spekulieren. Der Münsteraner Kinder- und Jugendpsychiater Georg Romer hat neulich in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung darauf hingewiesen, dass auch heute ein Coming Out für trans Männer wesentlich einfacher ist als für trans Frauen. Schon im Kindesalter werde ein "burschikoses" Mädchen leichter akzeptiert als ein Junge im Kleid (https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/wissen/transgender-transkids-transidentitaet-trans-kinder-trans-jugendliche-e071315/ ). Das soziale Coming Out von trans Frauen findet darum meist in höherem Lebensalter statt.
Alexander Korte ist, um es vorsichtig zu formulieren, in seinen Ansichten nicht unumstritten und vertritt keineswegs eine Mehrheitsmeinung in der Ärzteschaft. Das hat sich erst neulich bei den Diskussionen um die in Vorbereitung befindliche neue S3-Leitlinie zur Behandlung von trans Jugendlichen gezeigt. Ich bin der Meinung, dass Medizin, Psychiatrie und Psychologie hier keine Vorgaben der Politik benötigen, sondern sich an eigenen wissenschaftlichen Erkenntnissen und in den bewährten Prozeduren der Fachgesellschaften weiterentwickeln sollten. Dazu gehört natürlich auch, verschiedenen Theorien wie der von Dr. Korte nachzugehen - in aller wissenschaftlichen Freiheit.
Ich stimme Ihnen zu, dass wir bei der Bearbeitung von Traumata, psychotherapeutischen Behandlungsplätzen und bei Beratungsstrukturen vor allem im ländlichen Raum noch Defizite haben. Auch muss die Debatte um den richtigen Umgang mit stark gestiegenen Zahlen von Transidentität bei Kindern und Jugendlichen weiter untersucht und beobachtet werden. Der Ethikrat hat sich 2020 in einer Ad-hoc-Empfehlung damit befasst (https://www.ethikrat.org/forum-bioethik/trans-identitaet-bei-kindern-und-jugendlichen-therapeutische-kontroversen-ethische-fragen/?cookieLevel=accept-all&fbclid=IwAR2UvvB9N9AAzxMxx9Beh0LHgojRT4DcSjdg6D_d9GAgvmB8_4Xxo3QfzMM&cHash=9761029a8a03a9962e065078e3ab4aac). Er lässt keinen Zweifel daran, dass sorgfältige Begleitung nötig ist, dabei aber der Wille eines einsichtsfähigen Kindes oder Jugendlichen maßgeblich zu berücksichtigen ist.
Mit freundlichen Grüßen,
Ulrike Bahr