Frage an Ulrike Bahr von Hedwig H. bezüglich Verbraucherschutz
Sehr geehrte Frau Bahr,
nach einem Bericht https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-66567980.html werden von z.B. Tutogen Medical in der Nähe von Nürnberg menschliche Körperteile verarbeitet.
Die Leichenteile wurden auf von Angehörigen beschriebene Weise gewonnen:
" Den Leichen werden nicht nur Hautstreifen abgeschält, sondern auch Sehnen, Knochen und Knorpel entnommen. "Das schockiert mich", sagt Lena Krat." aus der Ukraine.
Weiterhin wird berichtet: "Die Firmen fertigen aus Leichen medizinische Ersatzteile. Sie verwerten dabei fast alles, was der menschliche Körper zu bieten hat: Knochen, Knorpel, Sehnen, Muskelhüllen, Haut, Augenhornhäute, Herzbeutel oder Herzklappen - Gewebe nennt man all das im Fachjargon.
Knochen oder Sehnen, für die sich Tutogen vor allem interessiert, werden aufwendig verarbeitet: So entfettet und reinigt das Unternehmen entnommene Knochen, schneidet, sägt oder fräst sie zurecht, sterilisiert, verpackt und verkauft sie schließlich in über 40 Ländern weltweit.."
So verwenden Ärzte zerkleinerte Hautpartikel dazu, Lippen aufzufüllen und Falten zu glätten.
Laut einer internen Planung vom 17. Juni 2002 (die Datei trägt die Überschrift "Rohgewebebedarf") brauchte Tutogen für das folgende Geschäftsjahr:
2920 Oberschenkelschäfte, 3000 Beckenkämme, 1190 Kniescheibensehnen, 3750 Kniescheiben, 10 200 Muskelhüllen vom Oberschenkel (sogenannte Fascia lata), 50 Schädelknochen, 70 Achillessehnen.
Bestand Rohwarenlager Lager 1" vom März 2000. Demnach lagerten damals in den Hallen bereits 688 Kniescheibensehnen, 1831 Kniescheiben, 1848 Wadenbeine, 2114 Muskelhüllen, 1196 Fußknochen - insgesamt mehr als 20 000 Gewebeteile.
Nach § 15 AMWHV besteht Kennzeichnungspflicht, in der „Gelbe Liste“ ist die Firma aktuell zu finden.
Ich frage Sie, ob durch die "Widerspruchslösung" eine Steigerung dieser "Verarbeitung" in Deutschland erwartet wird, weiterhin ob behandelnde Ärzte verpflichtet sind, den Patienten auf menschliche Medizinprodukte hinzuweisen?
Sehr geehrte Frau H.,
vielen Dank für Ihre Frage. Der 10 Jahre alte Spiegel-Artikel, den Sie verlinkt haben, beantwortet eine Reihe Ihrer Fragen ja schon selbst. In deutschen Kliniken nutzt man nach Möglichkeit eigenes Gewebe der Patient*innen, greift auf künstlich hergestellte Implantate zurück oder bereitet Gewebe auf, das ohnehin entnommen wurde. Auch herrscht in Deutschland bislang kein Mangel an Geweben, weil man es im Gegensatz zu Organen in vielen Fällen aufbereiten und dann lagern kann. Darum ist auch die Ein- und Ausfuhr möglich. Das Gewebegesetz schreibt alle vier Jahre einen ausführlichen Bericht zur Versorgung der Bevölkerung mit Geweben und Gewebezubereitungen vor. Den letzten Bericht von 2014 können Sie hier abrufen: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/022/1802261.pdf Im weiteren gelten die europarechtlich koordinierten Vorgaben des Arzneimittelgesetzes für die weitere Nutzung von Gewebezubereitungen.
Über die abstoßend geschilderten Praktiken der Firma Tutogen mit wenig bis gar nicht aufgeklärten ukrainischen Spendern zur Versorgung des amerikanischen Marktes findet sich im Bericht aber nichts. Deren Geschäftspraxis war Gegenstand einer Kleinen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und einer Frage der Abgeordneten Kathrin Vogler im Jahr 2012. Die Bundesregierung konnte aber keine Ansatzpunkte für konkrete Verstöße der für die Firma Tutogen arbeitenden Entnahmeeinrichtungen gegen das Arzneimittelgesetz finden. Die mangelhafte Aufklärung von Spenderinnen und Spendern konnte nicht nachgewiesen werden (s. dazu http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/17/091/1709113.pdf). Die Dokumentation in der Ukraine war bei den Kontrollen der deutschen Aufsichtsbehörden vollständig und korrekt.
In Deutschland haben Sie heute auf dem Organspendeausweis die Möglichkeit, auch bei grundsätzlicher Bereitschaft zur Organspende einer Gewebespende zu widersprechen oder sie einzuschränken auf eine selbstlose Verwendung für Heilbehandlungen. Eine für den Empfänger anders nicht zu kompensierende Art der Gewebespende ist z.B. die Spende von Hornhaut für das Auge. Ohne Gewinninteresse und gemeinnützig arbeitet die größte bundesweit tätige Koordinierungsstelle, die Deutsche Gesellschaft für Gewebetransplantation. Sie arbeitet nicht mit kommerziellen Anbietern zusammen: https://gewebenetzwerk.de/unternehmen/
Ich gebe Ihnen aber Recht, dass die Aufklärung zu Gewebespenden noch besser und transparenter werden muss. Auch bei der Verabschiedung der Widerspruchslösung behält übrigens jede/r das Selbstbestimmungsrecht und kann einer Organ- und/oder Gewebespende jederzeit widersprechen oder sie in einer Verfügung einschränken. Sollte die Widerspruchslösung Gesetz werden, muss die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung alle Bundesbürger über 16 Jahre mehrfach anschreiben und umfassend informieren. Im Rahmen einer Neuordnung der Organspende will ich gerne darauf hinwirken, auch über Gewebespenden besser aufzuklären.
Mit freundlichen Grüßen
Ulrike Bahr, MdB