Frage an Ulrike Bahr von Philip G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Bahr.
Wie möchten Sie Gettoisierung und eine Ausweitung von Parallelgesellschaften verhindern? Wie möchte Sie den Familiennachzug einschränken, damit kein weiterer planloser Zuzug von Menschen erfolgt, für die wir aus Mangel an Programmen und Ideen keine Perspektiven anbieten können? Teilen Sie meine Erfahrung, dass je mehr Menschen hier leben, die wir nicht dort abholen, wo sie sind, desto mehr drängen wir sie dazu, häufig noch traditioneller als in ihren Heimatländern zu leben?
Vielen Dank schonmal für Ihre Antwort und ein gesundes neues Jahr
Sehr geehrter Herr G.,
vielen Dank für Ihre Frage. Gettoisierung und Parallelgesellschaften sind in vielerlei Hinsicht problematisch, das zeigen viele Langzeitstudien. Bildungsabschlüsse und Erwerbsbeteiligung bleiben unterdurchschnittlich, das Risiko, von staatlichen Transfers abhängig zu bleiben, steigt. In der Vergangenheit gab es da auch in der deutschen Politik Versäumnisse, die wir zu korrigieren bestrebt sind. In den letzten Jahren haben wir im europäischen Vergleich aber eine relativ erfolgreiche Politik gemacht, um die Entstehung von Parallelgesellschaften zu vermeiden (s. z.B. die Ergebnisse von Ruud Koopmans, WZB). Mit Integrationskursen, Zugang zu Bildung (Kita und Schule), schnellem Zugang zum Arbeitsmarkt und Voraussetzungen für den Ehegattennachzug (Nachweis deutscher Sprachkenntnisse für Ehegatten von Arbeitsmigranten) haben wir gegengesteuert. An der Umsetzung hapert es manchmal noch. Das zeigt z.B. die zögerliche Praxis bayerischer Ausländerbehörden bei der Genehmigung von Ausbildungsverträgen Geflüchteter.
Ein dauerhaftes Bleiberecht kann - außer für den (seltenen) Fall des politischen Asyls nach Art. 16 GG – bei uns nur erwerben, wer eine aktive Integrationsleistung erbringt: einen deutschen Schulabschluss, eine Ausbildung, eine Arbeitsstelle vorweisen kann. Das sind starke Anreize, sich gegenüber der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu öffnen und sich nicht abzuschotten. Wer sich nicht integriert, muss in sein Heimatland zurückkehren, sobald dort kein (Bürger-)Krieg mehr herrscht und die Verhältnisse ausreichend stabil sind. Gut integrierte, erwerbstätige Zuwanderer sehe ich aber auch als eine Chance für unser Land, unabhängig davon, ob sie ursprünglich als Flüchtlinge oder Arbeitsmigranten gekommen sind.
Beim Familiennachzug von bereits hier lebenden Geflüchteten bin ich gegen eine weitere Begrenzung: Familienzusammenführung ist ein Kinderrecht, das in der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen festgeschrieben ist. Für Minderjährige befürworte ich darum auf jeden Fall einen Nachzug der Kernfamilie nach Deutschland. Die meisten Kinder und Jugendlichen können nicht gut lernen und keine Integrationsleistungen erbringen, wenn sie von Eltern und Geschwistern getrennt sind und sich oft große Sorgen um deren Verbleib und Wohlergehen machen müssen. Auch Kindern im Ausland ist es nicht zuzumuten, lange Zeit von ihren Müttern oder Vätern getrennt zu leben.
Als Aufgabe an die Politik sehe ich: Wir müssen weiterhin prioritär Fluchtursachen bekämpfen, möglichst eine gute Versorgung von Kriegsflüchtlingen in den Nachbarländern sicher stellen, die Aufnahme von Flüchtlingen aus humanitären G.den europaweit besser steuern und klar von der Arbeitsmigration trennen. Die Arbeitsmigration müssen wir mit einem Zuwanderungsgesetz eindeutig und verständlich regeln. Die Rechtslage ist dazu momentan sehr unübersichtlich.
Mit freundlichen Grüßen