Frage an Ulrich Maurer von Panajotis Z. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrteter Herr Maurer,
meine Frage bezieht sich auf Ihre Pressemitteilung vom 16.6.08 hinsichtlich der Agenda 2010.
Im Gegensatz zu Ihnen wird u.a von "Wirtchaftsweisen",von mehreren Parteien, vom Bundespräsidenten und von Medien die Auffassung vertreten daß, die Agenda 2010 und die Harz IV Gesetze hohe positive Effekte haben:
-Diese Reformen führten zum letzten wirtschaftlichen
Aufschwung,
-dadurch sind viele neue Arbeitsplätze entstanden und die
Arbeitslosenzahlen wurden um rund 1,5 Millionen gesunken.
-die Steuereinnahmen erheblich gestiegen sind und zu vielen
anderen Effekten, die immer Folge eines Wirtschafts-
aufschwungs sind.
Die Bundeskanzlerin sagt: "sozial ist was Arbeitsplätze schafft" und
der Bundespräsident fordert" weil die Agenda 2010 so erfolgreich war" nun die Agenda 2020.
In Ihrer o.g. Pressemitteilung haben Sie dazu nichts ausgeführt.
Bisher ist mir seitens der Partei die LINKE kein ofizieller und öffentlicher Widerspruch zu dieser Auffassung bekannt.
Meine Fragen:
Wie ist die Meinung der Partei die LINKE zu der in Deutschland verbreiteten Auffassung, daß die Ursachen des letzten wirtschaftlichen Aufschwungs in Deutschland die Reformen der Schröder Regierung sind?
Wenn die Partei die LINKE dieser Auffassung widerspricht, warum bringt sie öffentlich keine Gegenargumente vor?
Wer soll die breiten Massen der Bevölkerung aufklären, wenn nicht die Partei die LINKE?
mit freundlichen Grüßen
Panajotis Zygouris
Ich teile nicht die Auffassung, dass der aktuelle Aufschwung "den Reformen der Regierung Schröder" geschuldet ist.
Die Fakten sprechen eine andere Sprache:
Erstens: Die Bundesregierungen haben seit 1998 die Arbeitslosenstatistik in wesentlichen Punkten geändert: Heute werden folgende Gruppen in der Statistik der Bundesagentur für Arbeit nicht mehr als arbeitslos geführt: Alg-II-Aufstocker, Rentner über 58 (macht ½ Mio. Arbeitslose weniger, Ein-Euro-Jobber, Menschen in Weiterbildungs-Warteschleifen.
Zweitens: Eine wichtige Rolle beim Rückgang der Zahl der Arbeitslosen spielt die demografische Entwicklung: Im aktuellen Aufschwung liegt das auf dem Arbeitsmarkt vorhandene Arbeitskräfteangebot um 500.000 niedriger als im vorangegangenen Aufschwung, der vom 2. Quartal 98 bis zum 1. Quartal 2001 datiert.
Drittens: Im vorherigen Aufschwung ist die Zunahme der Erwerbstätigen (+1,5 Mio.) und auch der sozialversicherungspflichtig Erwerbstätigen (+ 0,68 Mio.) deutlich höher als im aktuellen Aufschwung (+ 0,87 Mio. bzw. 0,65 Mio.). Allerdings sind die geleisteten Arbeitsstunden deutlich stärker im aktuellen Aufschwung gestiegen. Dieser Widerspruch ergibt sich daraus, dass der einzelne Beschäftigte mehr gearbeitet hat, z.B. durch mehr Überstunden. Hinzu kommt, dass die Abnahme der Arbeitslosigkeit im aktuellen Aufschwung im Vergleich zum letzten nur um ca. 180.000 höher war. (s. hierzu G. Horn u.a. "Wer profitierte vom Aufschwung? (in: www.boeckler.de )
Viertens: Der Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ist im Wesentlichen auf die deutliche Zunahme der Leiharbeiter zurückzuführen (fast doppelt so hoch wie im letzten Aufschwung).
Fünftens: Die Zahl der Vollzeitjobs liegt heute um 250.000 niedriger als 2004.
Fazit: Der Vergleich der Aufschwungphasen belegt die These, dass der Abbau der Arbeitslosigkeit nicht den Arbeitsmarktreformen der Regierung Schröder, sondern wie gehabt vor allem der Entwicklung der Weltkonjunktur und dem normalen Investitionszyklus geschuldet ist.
Ein anderer Blickwinkel deckt völlig andere Sachverhalte auf: Die Reformen der Schröder-Regierung haben vor zwei Dinge bewirkt: Zum einen die Produktion eines kräftigen Drucks auf das gesamte Lohngefüge und damit verbunden die Schwächung der deutschen Gewerkschaften, zum Anderen eine verschärfte Lohndumping-Konkurrenz gegenüber dem Ausland, insbesondere innerhalb der EU. Erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland stellen wir sinkende Reallöhne im Aufschwung fest.
Im Übrigen: Das Bundesministerium der Finanzen hat soeben bekannt gegeben, dass im 2. Quartal des laufenden Jahres das Bruttoinlandsprodukt erstmalig seit vier Jahren geschrumpft ist. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der weltweiten Finanzkrise spricht vieles dafür, dass der viel gepriesene aktuelle Aufschwung auf sein Ende zusteuert.
Ulrich Maurer MdB