Portrait von Ulli Nissen
Ulli Nissen
SPD
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Ulli Nissen zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Antje S. •

Frage an Ulli Nissen von Antje S. bezüglich Energie

Sehr geehrte Frau Nissen

Vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort zum Kohleausstiegsgesetz. Sie schreibe

"Die ebenso positive, aber noch wichtigere Nachricht lautet: Unser Klimapaket wirkt und wir kommen beim Erreichen der Klimaschutzziele deutlich voran. Die Gutachterkonsortien schätzen, dass wir mit dem Klimaschutzprogramm 2030 nach dem aktuellen Umsetzungsstand bis 2030 die Treibhausgas-Emissionen in Deutschland um 51 bis 52 Prozent mindern werden. Ohne Klimaschutzpaket wären wir auf nur etwa 41 Prozent gekommen."

Die Frage ist doch, ob es das Kohleaustiegsgesetz zur Verminderung der Treibhausgase in diesem Bereich überhaupt noch braucht oder ob dies nicht sogar im Gegenteil einen schnellen Kohleausstieg sogar verhindert d.h. die Bundesrepublik gibt sehr viel Geld dafür aus den Kohleausstieg künstlich zu verlangsamen.

Die Taz schreibt dazu: Am 2. Juli will der Bundestag nach langen Verzögerungen das Gesetz verabschieden, mit dem Deutschland bis zum Jahr 2038 aus der Kohlenutzung aussteigen will. Doch kurz vor dieser Entscheidung wächst die Kritik von Umweltverbänden und WissenschaftlerInnen.
(....) Inzwischen befürchten sie, dass das Gesetz den Kohleausstieg in Deutschland sogar verzögert, statt ihn zu beschleunigen.Grund dafür ist, dass sich die Bedingungen für den Betrieb von Kohlekraftwerken in den letzten Wochen deutlich verschlechtert haben: Zum einen rechnet sich die Kohlenutzung wirtschaftlich oft nicht mehr. Die Kombination aus höheren Preisen für CO2-Zertifikate und steigender Einspeisung von Wind- und Sonnenstrom, die die Kohle schon im letzten Jahr zurückgedrängt hatte, ist durch den Corona-bedingten Rückgang des Stromverbrauchs zuletzt noch einmal verstärkt worden: Im Mai wurde dadurch nur halb so viel Kohlestrom produziert wie ein Jahr zuvor.

Zum anderen hat die EU angekündigt, ihr Klimaziel für 2030 deutlich zu verschärfen: Statt um 40 Prozent sollen die Emissionen um 50 bis 55 Prozent reduziert werden. Das würde bedeuten, dass die CO2-Zertifikate weiter verknappt werden müssten, was die Kohle weiter aus dem Markt drängen würde, schreibt etwa der Thinktank E3G in einer aktuellen Analyse. „Ohne Nachbesserung könnte der Gesetzentwurf die Kohle sogar kostspielig am Leben halten“, warnen die AutorInnen.

Diese Sorge hatte bei einer Expertenanhörung im Wirtschaftsausschuss des Bundestags bereits die auf Umweltrecht spezialisierte Anwältin Roda Verheyen geäußert. Denn eine Entschädigung fürs Abschalten bekommen die Betreiber nur, wenn ihre Kraftwerke bis zum vereinbarten Termin tatsächlich weiter Strom produzieren; anderenfalls würde die EU die Zahlungen als unzulässige Beihilfe werten. „Durch die späten Abschaltzeitpunkte verbunden mit Entschädigungszahlungen ist für den Betreiber trotz steigendem CO2-Preis gegebenenfalls wirtschaftlich, ihr Kraftwerk weiter zu betreiben“, warnte Verheyen. " (https://taz.de/Kritik-an-Kohle-Gesetz/!5689634/ )

Von Umweltverbänden aber auch von Wirtschaftsfachleuten gibt es besonders Kritik am §42 auf den Sie in ihrer Antwort überhaupt nicht eingegangen sind.
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/klima-energie-und-umwelt/neuer-streit-um-den-ausstieg-aus-der-kohleverstromung-16784000-p2.html

Daher nun erneut meine Frage, die Sie bisher leider nicht beantwortet haben.
Werden Sie dem Kohleaustiegsgesetz in der Form, wie es jetzt vorliegt zustimmen ? Werden Sie einem Gesetz zustimmen, ohne den darin erwähnten öffentlich-rechtlichen Vertrag (im §42 erwähnt) zuvor gesehen zu haben ?

mit freundlichen Grüßen
Antje Sander

Portrait von Ulli Nissen
Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Sander,

vielen Dank für Ihre weitere Zuschrift zum gleichen Thema.

Ich werde am Freitag dem Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen und dem Kohleausstiegsgesetz zustimmen. Bei den Anträgen der Oppositionsfraktionen werde ich mit Nein stimmen.

In dieser Woche ist es uns gelungen, die letzten Änderungen am Kohleausstiegsgesetz mit der Union zu einen, letzte Woche haben wir uns in der Koalition zudem zum Strukturstärkungsgesetz geeinigt. Die SPD-Bundestagsfraktion hat in beiden Gesetzen ganz wesentliche Verbesserungen erreicht. Wir zeigen gerade auch in der Kombination beider Gesetze, dass wir als SPD Klimaschutz und Beschäftigung verbinden. Wir sind die Strukturwandelpartei, weil wir die zentralen Zukunftsaspekte der Transformation verbinden: gute Beschäftigung von morgen, innovative und wettbewerbsfähige Unternehmen und Klimaschutz. Strukturwandel braucht einen aktiven, gestaltenden Staat. Wir haben bei beiden Gesetzen als SPD-Bundestagsfraktion gezeigt, dass wir auch bei den noch anstehenden Transformationsaufgaben für ein solches modernes Staatsverständnis stehen und die Menschen beim Wandel unterstützen und nicht allein lassen.

Im Ergebnis wird Deutschland als erstes hochindustrialisiertes Land in dieser Form gesetzlich fixiert aus Atom und Kohle aussteigen. Um dieses Gesetz vorzubereiten, haben wir die Kohlekommission eingesetzt, die diesen gesamtgesellschaftlichen Kraftakt unter Einbindung aller Betroffenen diskutiert und einen guten Kompromiss erarbeitet hat. Wir haben lange verhandelt, damit sich dieser Kompromiss auch im Gesetz abbildet: Und wir finden, es ist uns gelungen, alle Interessen bestmöglich zusammenzubinden.

Der Kohleausstieg ist ökologisch, sozial und rechtssicher. Ein entschädigungsfreier Ausstieg vor 2038 bleibt weiterhin möglich, wenn dies zur Erreichung der Klimaziele erforderlich wird. Wir helfen den Beschäftigten der Kohlewirtschaft mit dem Anpassungsgeld. Wir unterstützen den Strukturwandel in den betroffenen Regionen. Wir verankern den Ausstieg rechtssicher im Kohleausstiegsgesetz und schaffen belastbare Rahmenbedingungen für die Unternehmen.

Mit den Umrüstprogrammen investieren wir in die Zukunft unserer Energieversorgung, denn als hochindustrialisiertes Land können wir nicht von heute auf morgen den Schalter umlegen. Wir müssen erst Alternativen schaffen, damit die Versorgungssicherheit gewährleistet ist. Daher müssen wir auch bei den erneuerbaren Energien sehr schnell vorankommen und direkt nach der Sommerpause die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes beschließen. Dazu gehören insbesondere ambitionierte und gesetzlich verankerte Ausbaupfade für Wind und Photovoltaik, eine stärkere finanzielle Beteiligung der Bürgerinnen und Bürgern an den Erlösen der Windenergie, eine Reform des Mieterstroms und eine bessere Förderung großer Solar-Dachanlagen.

Mit dem Strukturstärkungsgesetz machen wir deutlich, dass der Bund die Reviere nicht allein lässt. Bis 2038 werden bis zu 40 Milliarden Euro in den Aufbau neuer Beschäftigung und neuer Wertschöpfung in die betroffenen Regionen investiert. Das ermöglicht eine umfassende Modernisierung der Infrastruktur und bedeutet einen Schub für den Ausbau technologischer Zukunftskompetenz in den Bereichen Digitalisierung, Medizin, Logistik und Mobilität. Und wir zeigen, dass wir die regionale Bedeutung des Strukturwandels verstanden haben: Wir achten darauf, dass beim Kohleausstieg und auch bei den anstehenden Veränderungen in vielen anderen Branchen die Menschen in ihrem Lebensumfeld Sicherheit haben, dass es eine Perspektive gibt, weil der Staat sie in dem Wandel unterstützt und nicht allein lässt.

Der Kohleausstieg ist ein hochkomplexes Vorhaben, das sehr viele Interessen berührt. Wir haben versucht, all diesen Interessen gerecht zu werden, indem wir die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ (KWSB) eingesetzt haben. In der KWSB ist es gelungen, einen von einer breiten Mehrheit getragenen gesellschaftlichen Kompromiss unter Ein-beziehung aller betroffenen gesellschaftlichen Gruppen zu erzielen. An der Erarbeitung der Empfehlungen beteiligt waren Vertreterinnen und Vertreter der Energiewirtschaft, von Industrieverbänden, Gewerkschaften, Umweltverbände und der Wissenschaft. Wir können den Schalter nicht einfach umlegen und die Kraftwerke von heute auf morgen abschalten: das würde zum einen sehr hohe Entschädigungen für die Betreiber bedeuten, denn diese dürfen sich natürlich auf ihre Genehmigung verlassen. Zum anderen hätten wir die Kapazitäten gar nicht auf dem Markt, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Das können wir uns als hochindustrialisiertes Land nicht leisten.

Wichtig ist, dass wir mit dem jetzt Beschlossenen allen Betroffenen größtmögliche Rechtsicherheit und Planungssicherheit geben, gleichzeitig aber auch künftigen Regierungen ausreichend Gestaltungsspielraum für die Weiterentwicklung von Energie- und Klimapolitik lassen. Also Verlässlichkeit auf der einen und gleichzeitig politische Flexibilität auf der anderen Seite. In den Jahren 2026, 2029 und 2032 wird überprüft, ob das Enddatum für alle für die Zeit nach 2030 vorgesehenen Stilllegungen von Braun- und Steinkohlekraftwerken um jeweils drei Jahre vorgezogen werden und damit das Ausstiegsjahr 2035 erreicht werden kann. Erfolgt diese Entscheidung rechtzeitig – so mit den Betreibern von Braunkohlekraftwerken vereinbart – kann dieses Vorziehen des Ausstiegs ohne weitere Entschädigungen erfolgen. Auch ein Ausstieg vor 2035 bleibt möglich.

Bereits Ende dieses Jahres wird der erste Block eines Braunkohlekraftwerks vom Netz gehen. Danach werden bis Ende 2022 insgesamt weitere acht der ältesten Kraftwerksblöcke abgeschaltet. Für den Klimaschutz bringt das rund 20 bis 25 Millionen Tonnen CO2-Einsparung pro Jahr. Zusammen mit weiteren Stilllegungen kleinerer Kraftwerke können die verbleibenden Braunkohlekapazitäten, wie von der KWSB empfohlen, bis Ende des Jahres 2022 von 20 GW auf 15 GW reduziert werden.

Bis zum Jahr 2030 gehen weitere 10 Kraftwerksblöcke vom Netz, ein Block wird noch bis Anfang der 30er Jahre in eine Sicherheitsbereitschaft überführt. Wie von der KWSB vorgeschlagen, sind dann noch rund 9 Gigawatt (GW) Braunkohle in Betrieb – das ist gut eine Halbierung im Vergleich zu heute. Die verbleibenden elf weiteren Braunkohlekraftwerksblöcke werden dann spätestens 2038 stillgelegt. Denn vereinbart wurde auch, dass in den Jahren 2026, 2029 und 2032 überprüft werden kann, ob alle für die Zeit nach 2030 vorgesehenen Stilllegungen bzw. Kraftwerksabschaltungen jeweils um bis zu drei Jahre vorgezogen werden können.

Die Betreiber von Braunkohlekraftwerken sollen mit insgesamt 4,35 Milliarden Euro für die Stilllegungen entschädigt werden. Damit ist es möglich, das von der KWSB empfohlene Einvernehmen mit den Kraftwerksbetreibern und letztlich auch Rechtssicherheit herzustellen. Schwer kalkulierbare rechtliche Risiken werden damit auf ein Minimum beschränkt. Im Gegenzug verzichten die Unternehmen auf mögliche Klagen gegen Stilllegungen und auf betriebsbedingte Kündigungen. Die Höhe der Entschädigung ist das Ergebnis der Verhandlungen mit den Kraftwerksbetreibern und soll insbesondere potenzielle entgangene Gewinne ausgleichen. Stilllegungen ab dem Jahr 2030 werden nicht mehr entschädigt. Die nominale Gesamtentschädigung (exklusive der Vergütung der Sicherheitsbereitschaft) soll bei 2,6 Milliarden Euro für RWE und 1,75 Milliarden für LEAG liegen. Die Entschädigung soll in 15 Jahrestranchen ausgezahlt werden, bei RWE ab dem Jahr 2020, bei LEAG ab 2025.

Den Verträgen muss das Parlament aber noch zustimmen. Dies werden wir erst im September tun. Damit haben wir noch Zeit, die Verträge zu prüfen und eine Anhörung dazu durchzuführen.

Im Vorfeld hatten Kritiker befürchtet, dass der Bund sich selbst über den jetzt vereinbarten Vertrag den klimapolitischen Handlungsspielraum nehmen könnte. Diese zeigen sich aber jetzt erleichtert: "Der Kohleausstieg wird schneller kommen, als viele gucken können", sagte der Chef des Umwelt-Dachverbands Deutscher Naturschutzring, Kai Niebert.

Wie sieht der Ausstiegspfad für die Steinkohlekraftwerke aus?
Die ersten 4 Gigawatt sollen noch im Jahr 2020 vom Markt gehen. Bis 2022 sollen weitere 2,6 GW vom Markt genommen werden, so dass noch eine Kraftwerksleistung von 15 GW im Markt verbleibt. Danach werden die Steinkohlekapazitäten schrittweise bis auf 8 Gigawatt im Jahr 2030 reduziert. Unterm Strich bleibt, dass insgesamt ein stetiger Pfad für die Stilllegung von Braun- und Steinkohlekraftwerken sichergestellt wird und damit die Empfehlungen der KWSB nach einer möglichst stetigen Stilllegung umgesetzt und die Kohleverstromung in Deutschland spätestens 2038 in Deutschland beendet sein wird. Dies entspricht den Zielwerten der KWSB.

Mit den Betreibern von Steinkohlekraftwerken wurden, anders als bei der Braunkohle, keine Entschädigungssummen vereinbart. Stattdessen sollen die Kraftwerksbetreiber Stilllegungsprämien erhalten, deren Höhe auf Basis von Ausschreibungen am Markt ermittelt wird. Das Kohleausstiegsgesetz sieht vor, dass noch im Jahr 2020 eine erste Ausschreibungsrunde stattfindet. Bei den Höchstpreisen haben wir im parlamentarischen Verfahren nochmals nach-gelegt. Es ist aber davon auszugehen, dass in den Ausschreibungen Wettbewerb herrscht und die Höchstpreise nicht erreicht werden. Dieses Modell der Ausschreibung sichert eine Entschädigung bis einschließlich 2027, wobei bereits ab 2024 die Ausschreibungen ordnungs-rechtlich flankiert werden; das heißt Kraftwerksblöcke können mit Ordnungsrecht vom Markt genommen werden, um die erforderlichen Stilllegungen sicherzustellen. Nach 2027 greift dann ausschließlich Ordnungsrecht. Dabei soll letztlich das Anlagenalter – unter Berücksichtigung etwaiger Modernisierungsmaßnahmen – ausschlaggebend sein.

Wir brauchen übergangsweise noch konventionelle Kraftwerke für die Strom und Wärmeversorgung, deshalb soll ein Teil der Kraftwerke von Kohle aus Gas umgerüstet werden. Dafür gibt es einen Kohleersatzbonus, durch den die Umrüstung von Kohlekraftwerken auf Gas angereizt und mit den entgangenen Gewinnen der Kohlekraftwerke entschädigt werden sollen. Im Gegensatz zum pauschalen Kohleersatzbonus des Regierungsentwurfes ist dieser nun nach Altersklasse gestaffelt und gleichzeitig degressiv ausgestaltet, um eine frühe Umrüstung von Kohle auf Gas anzureizen.

Mit einem Förderprogramm zur Umstellung bestehender Kraftwerke auf hocheffiziente und flexible Gas- oder Biomasseverstromung aus nachhaltiger Biomasse setzen wir die richtigen Anreize hin zu klimafreundlichen und erneuerbaren Technologien.

Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weitergeholfen zu haben.

Mit herzlichen Grüßen

Ihre

Ulli Nissen