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Frage von Martin F. •

Frage an Ulli Nissen von Martin F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Nissen,

mich würde interessieren, wie Sie zu der Aussage von Frau Merkel stehen, dass die Zahl der Migranten nach Deutschland de fakto nicht kontrollierbar ist?
Mir scheint, dass andere Länder sehr wohl in der Lage sind, Einfluss auf die Zahlen zu nehmen. Weder die Schweiz noch Österreich noch Frankreich die alle auch sehr lange Landgrenzen haben, sind gemessen an ihrer Einwohnerzahl von so vielen Migranten als Zielland ausgesucht worden, auch ohne dass ein Zaun errichtet wurde.
Wie soll Deutschland, wenn es ein unbegrenztes "Wir haben geöffnet" Schild aushängt, seine Nachbarländer davon überzeugen, auch mehr Flüchtlinge/Migranten aufzunehmen?
Herzlichen Dank für Ihre Antwort

Beste Grüße aus Frankfurt
M. Fassner

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Fassner,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 9. Oktober 2015.

Angela Merkel hat in allen Interviews stets ausgeführt, dass es keine Obergrenze für Asylbewerber gäbe. Damit bezieht sie sich auf § 16a unseres Grundgesetzes, wonach politisch Verfolgte Asylrecht haben.

Flucht ist eine Folge von Krieg, Bürgerkrieg, Staatszerfall und Armut. Menschen fliehen, weil sie um ihr Leben und um das Wohl ihrer Kinder fürchten, weil sie keine Hoffnung mehr haben. Eine wirklich dauerhafte Lösung der Flüchtlingskrise ist nur denkbar, wenn wir neue große Anstrengungen zur Bekämpfung der Fluchtursachen unternehmen. Ohne ein geeint handelndes Europa und ohne eine entschlossene internationale Gemeinschaft ist das nicht denkbar.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten setzen uns weiter mit aller politischen Kraft dafür ein, dass die Herkunftsländer stabilisiert werden, dass die Menschen dort erträgliche Lebensbedingungen erhalten und wieder Hoffnung auf eine bessere Zukunft in der eigenen Heimat haben können. Auch die Transitländer und die Länder im Nahen Osten, die Millionen von syrischen Flüchtlingen aufgenommen haben, brauchen Unterstützung. Wir müssen sofort die Gelder aufstocken, die den UN-Flüchtlingshilfswerken zur Verfügung stehen. Wir können hier mit vergleichsweise wenig Geld sehr viele Menschen erreichen. Nahrungsmittel, medizinische Versorgung und Schulen für die Kinder müssen sicher finanziert sein. Deutschland erhöht die nationalen Mittel für Stabilisierung und humanitäre Hilfe. Europa steigert seine Mittel jetzt um eine Milliarde Euro. Wir fordern aber auch die USA und die Golfstaaten unmissverständlich auf, ihre Anstrengungen zu erhöhen. Der Syrien-Krieg liegt im Zentrum der gegenwärtigen Flüchtlingskrise. Die meisten Flüchtlinge, die Deutschland in diesem Jahr erreichen, stammen aus Syrien. Die Europäische Union, die USA, aber auch Russland müssen an der Eindämmung des Konfliktes mit neuer Entschiedenheit arbeiten. Das ist eine unabdingbare Voraussetzung, um die beispiellose humanitäre Notlage an den Grenzen Europas zu bewältigen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wissen um die gewaltige Herausforderung, die mit der Bewältigung der Flüchtlingsfrage verbunden ist. Wir denken und handeln daher verantwortungsbewusst, pragmatisch und zielorientiert – wohlwissend, dass es keine leichten Lösungen gibt und dass eine Besserung der Lage nur im europäischen und internationalen Rahmen mit Hilfe unserer Partner und der Anrainerstaaten in den von Flucht und Vertreibung betroffenen Regionen möglich ist.

Ganz entscheidend sind: Geordnete Verfahren der Erstaufnahme und Beschleunigung der Asylverfahren. Der Bund übernimmt endlich zentral die Verteilung der Flüchtlinge im Bundesgebiet. Dabei müssen wir sicherstellen, dass niemand akut überlastet wird. Außerdem wird der Bund die Länder stärker bei der Errichtung von Erstaufnahmeplätzen unterstützen. Denn es geht jetzt vor allem um schnellere Verfahren. Wir haben dies immer wieder gefordert. Unter der neuen Leitung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) durch den Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, wird dieses Thema nun endlich konzentriert angegangen. Die personellen Voraussetzungen werden dafür in den kommenden Wochen geschaffen. Das gesamte Asylverfahren wird digitalisiert. Alle Beteiligten werden vernetzt. Es bleibt dabei, dass der Bund sich verpflichtet, in Zukunft trotz steigender Flüchtlingszahlen in durchschnittlich drei Monaten das Verfahren zu beenden. 2016 soll eine Verfahrensdauer von der Registrierung bis zur Entscheidung des BAMF von nicht mehr als 5 Monaten sichergestellt sein. Im Interesse schneller Verfahren und der Entlastung der Kommunen wollen wir, dass Asylbewerber länger, das heißt bis zu 6 Monate und im Falle von Menschen aus sicheren Herkunftsländern bis zur Entscheidung über den Asylantrag, in der Erstaufnahmeeinrichtung bleiben. Zur Ehrlichkeit gehört dazu: Deutschland kann viele Menschen aufnehmen, aber nicht alle, die zu uns kommen. Wir brauchen auch Schritte, um den Zuzug zu begrenzen. Die Frage, wer Schutz braucht und wer nicht, wird in einem fairen Verfahren auf der Grundlage des verfassungsrechtlich verbürgten Rechts auf Asyl entschieden. Wer keine Bleibeperspektive hat, muss Deutschland verlassen. Deshalb haben wir entschieden, dass auch Albanien, Kosovo und Montenegro zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden. Und daher werden wir auch potenzielle Fehlanreize zurücknehmen. Für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten gilt ein Beschäftigungsverbot. In Erstaufnahmeeinrichtungen soll nach Möglichkeit der Bedarf nur mit Sachleistungen erbracht werden. Und wer einen ablehnenden Asylbescheid bekommen hat, unter keinen Umständen ein Bleiberecht erhalten kann und vollziehbar ausreisepflichtig ist, der soll ab dem Tag der festgelegten Ausreise keinen Anspruch mehr auf Leistungen haben. Er erhält lediglich das unabdingbar Notwendige. Wir wollen unmissverständlich klar machen: Diese Menschen müssen ausreisen.

Wir wissen, dass viele tausend Menschen nach Deutschland wollen, weil sie eine wirtschaftliche Perspektive für sich und ihre Familie suchen. Nicht Asyl, sondern Ausbildung und Arbeit ist ihr Ziel. Um hier Druck vom falsch gewählten Asylverfahren zu nehmen, wollen wir die Möglichkeiten der legalen Arbeitsmigration für Bürgerinnen und Bürger der Westbalkanstaaten verbessern. Wer einen Ausbildungs- oder Arbeitsvertrag nach tarifvertraglichen Bedingungen vorweisen kann, der soll auch eine Ausbildung und oder Arbeit aufnehmen können. Deutschland ist stark und kann viel leisten, aber Europa muss jetzt weit mehr tun. Es ist gut, dass die faire Verteilung von 120.000 Flüchtlingen in der EU durch Mehrheitsbeschluss der europäischen Justiz- und Innenminister durchgesetzt wurde. Aber das reicht natürlich nicht. Wir müssen weiter auf faire Quoten bei der Verteilung der Menschen, die nach Europa kommen, drängen. Die Einrichtungen so genannter „Hotspots“, Aufnahme- und Registrierungsstellen in Griechenland und Italien, wo viele Flüchtlinge das erste Mal die EU betreten, ist jetzt immerhin beschlossen. Sie sollen im November funktionsfähig sein.

Ich hoffe, diese Antwort war für Sie hilfreich.

Mit herzlichen Grüßen

Ulli Nissen, MdB