Wie stehen Sie zu den verratenen Idealen ihrer Partei bzgl. des Braunkohleausstiegs und der damit verbundenen Proteste in Lützerath?
Sehr geehrte Frau S.,
Vielen Dank für Ihre Nachricht bezüglich des Braunkohleausstiegs in NRW und der Proteste in Lützerath. Ich möchte Ihnen dazu gerne meine Perspektive schildern.
Dass RWE Lützerath bergbautechnisch in Anspruch nimmt, wurde nicht durch die Verständigung zwischen Bundesregierung, Landesregierung und RWE ermöglicht. Entscheidend ist, dass das Oberverwaltungsgericht Münster im März 2022, also noch vor der Verständigung, dem Konzern RWE höchstinstanzlich das Recht zugesprochen hat, die Fläche in Anspruch nehmen zu dürfen. Das muss mir nicht gefallen, ich muss es in einem Rechtstaat aber akzeptieren.
Die fehlgeleitete Energie- und Klimapolitik, die dies zu einer unumkehrlichen Tatsache gemacht hat, ist schon vor vielen Jahren passiert. Und mir ist auch klar, dass ich nichts sagen kann, was in dieser Thematik zufriedenstellt, denn auch mich belasten die Bilder. Jeder, der vor einem Bagger diesen Ausmaßes steht, stellt sich unmittelbar die Frage „Was ist das hier für ein Wahnsinn“? Ich stelle mir diese Frage seit meiner Kindheit, meine Partei seit ihrer Gründung. Wir kämpfen daher seit Jahrzehnten gegen die Kohleverstromung.
Mit dem Regierungseintritt konnten wir mit der CDU vereinbaren, dass wir 2030 aus der Kohle aussteigen. Dieser Ausstieg ist entscheidend für das Erreichen des CO2-Sektorziel im Energiebereich. Auch wenn wir von 2022-2024 aufgrund der Energiekrise im Zuge des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs auf die Ukraine, temporär durch Kohlekraftwerke mehr CO2 emittieren, werden diese Mehremissionen durch den früheren Kohleausstieg kompensiert. Zudem sorgt der europäischen Emissionshandel dafür, dass die Emissionen der Stromerzeugung gedeckelt sind. Und wir konnten noch mehr erreichen: Wir haben die Fläche des genehmigten Tagebaugebiets um die Hälfte reduziert. Das ist ein entscheidender Schritt, um möglichst viel Kohle im Boden zu lassen.
Dadurch konnten fünf verbliebene Dörfer und drei Höfe gerettet werden. 280 Millionen Tonnen Kohle bleiben sicher unter der Erde. Zusätzlich wird RWE bis 2030 mindestens ein Gigawatt Kapazität an erneuerbaren Energien insbesondere in Form von Windenergieanlagen und Freiflächen-Photovoltaik in NRW errichten.
Auf die Antwort von vielen in der Bewegung "Das reicht nicht!" möchte ich wie folgt antworten: Das stimmt. Der Kohleausstieg 2030 in NRW allein schafft es nicht unsere Klimaziele zu erreichen. Aber er ist ein wichtiger Schritt. Und ich finde auch, dass man bei allem Schmerz sagen kann: Das war ein erfolgreicher Schritt.
Wir brauchen mehr erneuerbare Energien, die die fossilen Energien aus den Markt drängen, mehr Energieeffizienz, die diese Dynamik noch verstärken, einen schärferen Emissionshandel, der die CO2-Zertifikate weiter verknappt und viel, viel mehr Engagement in den übrigen Sektoren. Da liegt noch unfassbar viel Arbeit vor uns.
Das Ziel ist weiterhin, den Klimaschutz in NRW voranzubringen und massiv zu beschleunigen und natürlich das 1,5 Grad Ziel einzuhalten. Daran arbeiten wir jeden Tag: Wir wollen eine Photovoltaik-Pflicht für Neubauten und Bestandsbauten einführen, mehr Flächen für Windenergie bereitstellen und Förderprogramme für energetische Sanierung stärken.
Tausende Menschen demonstrierten in und bei Lützerath friedlich für noch mehr Engagement im Klimaschutz. Wir wissen, dass viele dabei besonders uns adressieren und wir nehmen das ernst. Wir nehmen wahr, dass in uns besonders Hoffnungen beim Klimaschutz gesetzt werden und arbeiten jeden Tag dafür, diesen Hoffnungen mit der Umsetzung praktischer Politik gerecht zu werden.
Im Vorfeld haben wir alle Beteiligten dazu aufgerufen, zur Deeskalation beizutragen. Leider scheint das nicht immer gelungen zu sein. Uns erschrecken Videos und Bilder, auf denen einzelne Polizeibeamte unverständliche Härte ausüben. Diese Fälle stehen im Kontrast zu dem bis dahin besonnen Vorgehen der Polizei, die in Lützerath alles andere als einen einfachen Einsatz nachgeht. Wir werden uns dafür einsetzten, dass diese Fälle aufgearbeitet und aufgeklärt werden. Auch manche Aktion einzelner Aktivist*innen außerhalb der angemeldeten Demonstration wie Steinwürfe oder das Verwenden von Pyrotechnik gegenüber Polizeibeamten erschrecken uns.
Die Schilderungen über die Verletzungen, die um das Gelände herum sowohl bei AktivistInnen, als auch bei PolizistInnen bekannt sind, machen uns betroffen. Alles davon muss aufgearbeitet werden und dennoch darf nicht das eigentliche Anliegen der überwältigenden Anzahl der Aktivisten auf der angemeldeten Demonstration aus dem Blick verloren werden: Das Handeln gegen die Klimakrise.
Herzliche Grüße
Tim Achtermeyer