Was war aus Ihrer Sicht an 20 Jahren Afghanistan-Einsatz erfolgreich? Was wird nachhaltig erfolgreich bleiben nach dem Abzug der westlichen Besatzungstruppen und der Rückkehr der Taliban an die Macht?
Sehr geehrter Herr K.,
die Bilder des überstürzten Abzugs des Westens aus Afghanistan haben den Blick auf das Land und den fast 20-jährigen Einsatz der Internationalen Gemeinschaft dort in den vergangenen Tagen stark getrübt. Ich habe den unkonditionierten Abzug auch als grundsätzlich falsch erachtet, wobei Deutschland dort von der militärischen Absicherung durch die USA abhängig war. Ein Verbleib Deutschlands wäre keine Option gewesen. Die USA haben sich unter Präsident Trump und in der Folge unter Präsident Biden jedoch trotz eingehender Warnungen der verbündeten Partner nicht von diesem Schritt, der stark innenpolitisch motiviert war, abbringen lassen. Ganz sicher wird es noch eine breitere Aufarbeitung des Themas geben müssen. Einer meiner Schlüsse schon jetzt ist, dass wir uns generell realistischen Zielen verschreiben müssen. Wir dürfen uns nicht moralgesteuert verhalten und versuchen, anderen Ländern unsere Kultur, Lebensweise und Demokratie überzustülpen. Die Gefahr des Scheiterns dürfte dann in den meisten Fällen vorprogrammiert sein. Dennoch wäre es falsch, einfach alles schlecht zu reden, was wir dort erreicht haben. Gerade auch durch die deutsche Entwicklungshilfe hat das Land einen Quantensprung gemacht, für den andere Länder aus eigener Kraft x-mal länger bräuchten. Die Infrastruktur, die Straßen, die medizinische Versorgung, die Alphabetisierung etc. hat sich enorm verbessert und das wirkt auch in Zukunft positiv nach. Das Gleiche gilt für die wirtschaftliche Entwicklung, die in vielen konkreten Einzelfällen positive Impulse gesetzt hat, die auch nachwirken werden. Insgesamt geht es dem afghanischen Volk heute besser als vor 20 Jahren, auch wenn die Machtübernahme der Taliban jetzt vieles wieder durcheinanderwirbelt, Millionen auf der Flucht sind und die Grundversorgung im Moment sehr schwierig ist. Hinzu kommt, dass durch das westliche Engagement gerade die jungen Menschen, die heute das Gros der Gesellschaft abbilden, relative Freiheit kennen und schätzen gelernt haben. Das wird sich auch in der Politik der Taliban zeigen. Erste Äußerungen deuten dies an. Ob dem so ist, wird sich aber erst noch zeigen. Unabhängig davon bin ich aber auch überzeugt, dass es dort ein Zurück in den Steinzeit-Islamismus zum Ende der 90er Jahre auch nicht geben wird.
Mit freundlichen Grüßen
Thorsten Frei