Frage an Thomas Lutze von Gerhard R. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Lutze
durch einen Arbeitsunfall beziehe ich eine gesetzliche unfallrente auf dauer. seid januar 2010 bin ich in altersrente für schwerbehinderte. ich bin freiwillig gesetzlich krankenversichert bei der dak. nun werden auch meine unfallrente zur beitragsbemessung der gkv zu 100%mit heran gezogen. wie kann das sein? die gesetzliche unfallrente war schon immer beitragsfrei. von der dak wurde mir mitgeteit, daß nach §240,zuletzt beschlossen vom bundessozialgricht auch die gesetzliche unfallrente voll verbeitragt wird. ich empfinde meine unfallrente als entschädigung für dauerhafte beeintächtigung,vom beruf verursacht und somit dürfte sie nicht als einnahme bewertet werden. hierüber bitte ich mal um ihre meinung.
vorab vielen dank
Gerhard Rech
Sehr geehrter Herr Rech,
vielen Dank für Ihre Frage, die mich über Abgeordnetenwatch.de erreicht hat. Ihrer Bitte um meine Meinung zu einem krankenversicherungspolitischen Problem möchte in zwei Schritten zu entsprechen versuchen: Zunächst rein rechtlich und anschließend politisch.
Zum rechtlichen Teil meiner Antwort muss ich eine Vorbemerkung machen. Nach § 6 Rechtsdienstleistungsgesetz bin ich nicht befugt, Sie in rechtlichen Angelegenheiten zu beraten. Die nachfolgenden Ausführungen dienen allein dem Zweck, Ihren Sachverhalt zu klären und die von Ihnen in erster Linie erbetene politische Bewertung vorzubereiten.
Aufgrund der Angaben, die Sie zu Ihrem Problem gemacht haben, scheint Ihre Krankenkasse korrekt vorzugehen. Die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder der Gesetzlichen Krankenversicherung ist in § 240 SGB V (Gesetzliche Krankenversicherung - GKV) bestimmt. Dort heißt es in Absatz 1:
„(1) Für freiwillige Mitglieder wird die Beitragsbemessung einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt.“
Die Bemessungsgrundlage ergibt sich demzufolge aus der gesamtem wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Mitglieds der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Um aus der „gesamten wirtschaftliche Leistungsfähigkeit“ des Versicherten die Beitragsbemessungsgrundlage zu ermitteln, werden alle Einnahmearten unabhängig von ihrer Zweckbestimmung abgestuft herangezogen. Obwohl die gesetzliche Unfallrente durchaus als besondere, zweckbestimmte Sozialleistung mit dem Ziel der Entschädigung eines erlittenen Nachteils gelten kann, wird sie als Einnahme gewertet, die zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Versicherten beiträgt. Ihre Krankenkasse beruft sich dabei wahrscheinlich auf ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 6. September 2001(Az: B 12 KR 14/00 R). Dort heißt es:
„Es erscheint nicht gerechtfertigt, die Verletztenrente der gesetzlichen Unfallversicherung abweichend hiervon zum Teil als zweckgerichtete und deshalb beitragsfreie Leistung zu behandeln. Auch ist es nicht geboten, einen pauschal in Höhe des entsprechenden Grundrentenbetrags verletzungsbedingten Mehrbedarf zu unterstellen und einnahmemindernd zu berücksichtigen. Die Forderung des § 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V, die Beiträge nach der gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu bemessen, soll die Beschränkung der Beitragspflicht auf bestimmte Einkunftsarten ebenso aufheben, wie die einnahmenmindernde Berücksichtigung von Zwecksetzungen bei Einkünften.“
Meine politische Bewertung des Sachverhalts folgt einer grundsätzlichen Überlegung, die wir innerhalb meiner Partei DIE LINKE zur solidarischen Krankenversicherung entwickelt haben: Der Kerngedanke der Gesetzlichen Krankenversicherung ist der Solidarausgleich zwischen Menschen mit geringem und hohem Einkommen sowie geringen und hohen gesundheitlichen Belastungen und Risiken. Gegenwärtig wird der Solidarausgleich dreifach klein gehalten:
Erstens durch eine Bemessungsgrundlage, mit der nur bestimmte Einnahmearten verbeitragt und somit in den Solidarausgleich einbezogen werden; zweitens durch die Versicherungspflichtgrenze (aktuell in Höhe von 4162,40 Euro), die jenen abhängig Beschäftigten aus den Solidarausgleich auszusteigen erlaubt, die drei Jahre ein Einkommen bezogen haben, das über dieser Grenze liegt; drittens durch die Beitragsbemessungsgrenze (aktuell in Höhe von 3750 Euro), die dazu führt, dass das Einkommen versicherungspflichtiger Beschäftigter nicht im vollen Umfange, sondern nur bis zu dieser Grenze verbeitragt wird. DIE LINKE streitet dafür, diese dreifache Engführung abzuschaffen. Alle Bürgerinnen und Bürger sollen mit allen ihren Ein-nahmen im vollen Umfange einen Beitrag zur Gesetzlichen Krankenversicherung leisten, der ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit entspricht. Wir LINKEN wollen eine Solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in Gesundheit und Pflege einführen. Mit der Bürgerinnen- und Bürgerversicherung wird die Bemessungsgrundlage auf alle Einnahmen ausgedehnt und die Versicherungspflichtgrenze ebenso abgeschafft wie die Beitragsbemessungsgrenze. Unsere Vorstellungen zu einer solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung haben wir Ende März 2010 in den Bundestag eingebracht (Bundestagsdrucksache 17/1238, vom 25.03.2010). Die Bürgerinnen- und Bürgerversicherung ist nicht nur gerechter, sondern sie erlaubt auch niedrigere Beiträge in Höhe von je fünf Prozent bei paritätischer Beitragsleistung. Sie käme dementsprechend auch Ihnen zu Gute.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Lutze