Frage an Thomas L. Kemmerich von Christian W. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Kemmerich,
„Kompetenz + Vision“ steht auf Ihrem Porträt-Foto hier auf „abgeordnetenwatch.de“. Ich glaube, es war Altkanzler Schmidt, der einmal bezüglich des inflationären Gebrauchs des Begriffes „Vision“ in der Politik anmerkte: „Wer Visionen hat, sollte lieber gleich zum Arzt gehen!“
Aber alle Skepsis mal beiseite gelassen – verraten Sie mir doch bitte, welche sozialpolitischen „Visionen“ Sie für die Thüringer bereit haben? Ich denke da vor allem an das Problem der prekären Beschäftigungsverhältnisse. Als Unternehmer im Friseurhandwerk kennen Sie dieses Problem bestimmt. Einem Bericht der FAZ vom Februar zufolge machen Sie mit Ihrer Friseurkette „Masson“ mittlerweile 7 Millionen Euro Umsatz im Jahr und beschäftigen 420 Mitarbeiter ( https://www.faz.net/PRINT/Wirtschaft/Der-passende-Schnitt ). Allerdings zahlen Sie Ihren Beschäftigten laut FAZ lediglich 3,89 Euro die Stunde. Verraten Sie mir doch bitte, mit welcher sozialen „Vision“ Sie dafür sorgen werden, dass die prekär beschäftigten Thüringer endlich auf existenzsichernde Löhne hoffen dürfen?
Hochachtungsvoll, Christian Wächter.
Sehr geehrte Frau Wächter,
man kann es auch so sehen: „Der einzig wahre Realist ist der Visionär“! In Bezug auf die von ihnen angesprochenen „prekären Beschäftigungsverhältnisse“ habe ich es mir auf landespolitischer Ebene zum Ziel gesetzt, die Forderung der FDP nach mehr Netto vom Brutto zu unterstützen um Arbeit wieder lohnenswert zu machen. Gehen Sie in Ihren Überlegungen davon aus, dass in erster Linie der Staat durch Steuer- und Abgabenbemessung für die Gestaltung des Nettolohnes verantwortlich ist. Die Bundesregierung ist also aufgefordert, Steuern und Abgaben so zu gestalten, dass derjenige mehr Geld zur Verfügung hat und damit sich und seine Familie angemessen versorgen kann, der auch arbeiten geht. Daher fordere ich keinen Mindestlohn. Ich fordere ein Mindesteinkommen. Das liberale Bürgergeld sowie die von uns dringend angemahnte Steuerreform flankieren diese Maßnahme.
Zudem habe ich es ehrlich satt, dass viele Dinge durch endlose Debatten zerredet und aufgeweicht werden. Mir wird in der Politik zu wenig getan. Und wenn, dann geraten Kosten und Nutzen in ihrem Verhältnis oft gnadenlos aus dem Gleichgewicht. Glauben sie mir, als Politiker mit reichlich Basiskontakt kommen mir Sachen zu Ohren, die mir immer wieder die Bestätigung geben, das es richtig ist, sich einzumischen. Aus diesem Grund kandidiere ich für den Thüringer Landtag.
Wenn Sie den FAZ-Artikel aufmerksam gelesen haben, haben Sie die Erklärung für die Löhne im Friseurhandwerk unmittelbar dazu geliefert bekommen. Die Löhne in dieser Branche sind in erster Linie gewerkschaftlich festgesetzt. Daran halte ich mich. Verkennen Sie jedoch nicht den Gesamtrahmen: Durch erfolgsabhängige Tarifverträge bekommen Friseure zwar ein niedriges Fixum, ab einem gewissen Bruttoumsatz werden sie jedoch mit einem Umsatzanteil von 30 Prozent beteiligt. Hinzu kommen Trinkgelder von zufriedenen Kunden. In meinen Augen ist das die gerechteste Lösung. Alternativ müssten mit Einführung eines Mindestlohnes entweder die Preise für Friseurdienstleistungen nahezu verdoppelt oder ein großer Teil der Angestellten entlassen werden. Mindestlöhne würden in dieser Konstellation das Ausweiten der Schwarzarbeit noch begünstigen. Schon heute werden 40 Prozent der Friseurdienstleistungen nicht offiziell ausgeführt.
Auch um an dieser Stelle eine gewisse Entspannung zu bringen, unterstütze ich die Forderung der Friseurinnung, die Mehrwertsteuer von jetzt neunzehn auf dann sieben Prozent zu reduzieren. Beim letzten Bundesparteitag der FDP habe ich einen entsprechenden Antrag eingereicht und begründet. Außerdem finden sich entsprechende Passagen in unserem Thüringer Wahlprogramm. Siehe auch: www.kurssiebenprozent.de/protest-abgeben.html
Durch Vorgaben der EU ist die Reduzierung um zwölf Prozent, umsetzbar für Gastgewerbe, Hotellerie und arbeitsintensiven Dienstleistungsbereich, machbar, wird jedoch bis jetzt von der Bundesregierung abgelehnt. Für diese Branchen wäre es jedoch ein großer Vorteil. Denn für einen relativ hohen Aufwand wird vergleichsweise wenig gezahlt um Dienstleistungen für Kunden erschwinglich und bezahlbar zu machen. Und auch hier: Müsste in diesen Bereichen ein Mindestlohn gezahlt werden, würden sich die Preise, sowohl für Waschen-Schneiden-Föhnen, Essengehen oder auch eine Hotelübernachtung deutlich verteuern. Die Konsequenzen wären wiederum das Ausweichen in die Schwarzarbeit, ausbleibende Kunden, Sparmaßnahmen wie Entlassungen usw.. Wie sie es auch drehen und wenden, sie kommen nicht daran vorbei, grundlegend etwas zu verändern. Ob sie nun Lohnuntergrenzen und Steuerhöchstgrenzen verschieben, ändern wird sich grundsätzlich nichts. Sie verschieben lediglich, und damit muss Schluss sein.
In diesem Sinne verbleibe ich mit besten Grüßen aus Erfurt,
Thomas L. Kemmerich