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Thomas Hitschler
SPD
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Frage von Luise R. •

Frage an Thomas Hitschler von Luise R. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Hitschler,
im vergangenen Monat haben wir, Ihnen als Abgeordneter aus Rheinland- Pfalz, gemeinsam mit dem Medinetz Koblenz e.V. und Armut und Gesundheit in Deutschland e.V. per Post einen Apell zum im Februar 2019 erschienen Referentenentwurf zum Geordneten-Rückkehr-Gesetz aus dem Bundesinnenministerium (BMI) gesendet. Vier Punkte in diesem Entwurf sehen wir als höchst problematisch an. Die vollständige Stellungnahme haben wir auch auf unserer Homepage veröffentlicht: http://www.medinetzmainz.de/aktuelles/
Wir bitten Sie um eine kurze Stellungnahme Ihrerseits vor der geplanten Abstimmung über den Gesetzesentwurf.
Mit freundlichen Grüßen,
M. M. e.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für Ihre Stellungnahme zum Entwurf eines Geordnete-Rückkehr-Gesetzes.

Zum Zeitpunkt Ihrer Anfrage war der Sachstand noch folgender: Der Referentenentwurf war zu diesem Zeitpunkt in der Ressortabstimmung und lag uns folglich auf parlamentarischer Ebene offiziell noch nicht vor. Unsere Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker der Fraktion standen trotzdem in engem Austausch mit unseren am Gesetzgebungsprozess beteiligten Ressorts, sodass diesen unsere Bedenken und Kritikpunkte am Entwurf des Bundesinnenministeriums im Vorfeld bekannt waren. Nicht nur wir Bundestagsabgeordnete und unsere fachlich zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter teilten Ihre Kritik am damaligen Referentenentwurf nahezu vollumfänglich. Auch die SPD-geführten Ressorts sahen den Entwurf äußerst kritisch. Insofern war zum genannten Zeitpunkt aufgrund der Haltung der SPD klar, dass Bundesminister Horst Seehofer viele Änderung vornehmen muss, wenn der Entwurf im Kabinett beschlossen und anschließend dem Bundestag vorgelegt werden soll. Dafür haben sich unsere Justizministerin Katarina Barley und unser Vizekanzler Olaf Scholz eingesetzt.

Wie sich inzwischen gezeigt hat, waren die Anstrengungen von Katarina Barley und Olaf Scholz in weiten Teilen erfolgreich. Denn der am 17. April im Kabinett beschlossene Gesetzentwurf enthält im Gegensatz zum bekannt gewordenen Referentenentwurf merkliche Verbesserungen. Aus den Reaktionen der CDU/CSU-Fraktion, die den Entwurf als „zu schwach“ und „weichgespült“ betiteln, ist erkennbar, dass von den ursprünglichen BMI-Plänen, die weit über den Koalitionsvertrag hinaus gingen und auch aus rechtsstaatlicher Sicht sehr bedenklich waren, nicht mehr viel geblieben ist. Insbesondere das BMJV unter der Leitung unseres Landesgruppenmitglieds Katarina Barley hat hier sehr stark verhandelt und konnte sich in vielen Punkten durchsetzen.

Zum Hintergrund
Derzeit sind rund 235.000 Menschen in Deutschland vollziehbar ausreisepflichtig. Das heißt jedoch keineswegs, dass all diese Menschen auch abgeschoben werden können, wie das BMI oftmals insinuiert. Denn: Rund 180.000 von ihnen haben aus verschiedenen Gründen eine Duldung, was bedeutet, ihr Aufenthalt ist zwar nicht rechtmäßig, ihre Abschiebung ist jedoch ausgesetzt. Darunter sind Menschen mit fehlenden Pässen oder einer ungeklärten Identität, die deswegen nicht abgeschoben werden können. Diese Abschiebungshindernisse gilt es, mit dem Geordnete-Rückkehr-Gesetz zu beseitigen. Darunter sind aber auch Ausreisepflichtige, die aus gesundheitlichen Gründen nicht reisefähig sind oder die hier eine Ausbildung machen (3+2-Regelung) oder denen in ihrem Heimatland Gewalt, Verfolgung und Folter drohen. Das heißt, diese Menschen dürfen momentan nicht abgeschoben werden. Der Umstand, dass jemand ausreisepflichtig ist, sagt wenig darüber aus, ob sich diese Person aus legitimen Gründen geduldet in Deutschland aufhält oder nicht. Die Einlassung des BMI im Gesetzentwurf, ein großer Teil der vollziehbar Ausreisepflichtigen würde ihrer Rechtspflicht zur Ausreise nicht nachkommen, ist zudem nicht durch eine valide Datenbasis belegt.

Was der Entwurf regelt
Die wichtigsten im Gesetz geregelten Punkte sind die Verschärfung der Ausweisungsregeln, die Erweiterung der Abschiebungshaftregeln, die Aussetzung des Gebots zur getrennten Unterbringung von Abschiebehaftgefangenen und Strafgefangenen und die Einführung einer Duldung für Personen mit ungeklärter Identität. Weitere Regelungen betreffen Einreise- und Aufenthaltsverbote, eine Erweiterung von Maßnahmen zur Überwachung von Intensivstraftätern, die Einführung neuer Geheimhaltungspflichten und die Absenkung der Haftantragserfordernisse. Außerdem sind im Asylbewerberleistungsgesetz einige Leistungseinschränkungen vorgesehen. Zudem sind Regelungen zur Fristverlängerung bei Widerrufsverfahren in den Gesetzentwurf aufgenommen worden, die ursprünglich in einem anderen Gesetzentwurf enthalten waren.

Beim Ausweisungsrecht werden die Möglichkeiten zur Ausweisung von Schutzberechtigten ausgeweitet. Künftig dürfen Asylberechtigte und GFK-Flüchtlinge ausgewiesen werden, wenn sie aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eine terroristische Gefahr anzusehen sind oder sie eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen, weil sie wegen einer schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurden. Subsidiär Schutzberechtigte dürfen ausgewiesen werden, wenn sie eine schwere Straftat begangen haben oder sie eine Gefahr für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen. Zudem werden die Voraussetzungen für eine Ausweisung weiter abgesenkt. Der Katalog der Straftaten, die ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse begründen, wird erweitert um Sozialleistungsbetrug und den Handel mit Betäubungsmitteln; die bisher für einige Straftaten bestehenden Begehungsweisen „mit Gewalt, Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder List“ fallen weg. Ein schweres Ausweisungsinteresse soll bereits bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 6 Monaten – anstatt wie bisher bei einem Jahr – vorliegen.

Bei der Abschiebehaft soll die Vorbereitungshaft, die bisher lediglich der Vorbereitung der Ausweisung (Zeit für das Abfassen der Ausweisungsverfügung) diente, auf die Vorbereitung einer Abschiebungsanordnung zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgeweitet werden. Zudem soll die Sicherungshaft systematisch neu ausgerichtet werden. Es werden die Haftgründe bei der Sicherungshaft ausgeweitet; es soll auch eine wiederlegbare Vermutung (Beweislastumkehr) eingeführt werden, bei der Fluchtgefahr besteht und daher ein Ausreisepflichtiger in Sicherungshaft zu nehmen ist. Auch die Verlängerung der Dauer der Abschiebungshaft um bis zu 12 Monate ist vorgesehen und soll künftig Anwendung finden in Fällen, in denen die Abschiebung aus von dem Ausreisepflichtigen zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann. Zuvor war aktives Handeln („Abschiebung verhindert“) erforderlich. Zudem wird eine Mitwirkungshaft für längstens 14 Tage eingeführt werden für Personen, die einer Anordnung für einen Termin an der Botschaft des vermutlichen Herkunftsstaates oder einer ärztlichen Untersuchung der Reisefähigkeit nicht nachgekommen sind. Beim Ausreisegewahrsam wird klargestellt, dass hier gerade keine Fluchtgefahr im Sinne der Sicherungshaft vorliegen muss. Das Trennungsgebot bei der Abschiebehaft soll bis 1. Juli 2022 ausgesetzt werden. Das bedeutet die gemeinsame Unterbringung von Abschiebehäftlingen und Strafgefangenen in einer JVA. Den Ländern steht es allerdings offen, ob sie die Möglichkeit der gemeinsamen Unterbringung auch nutzen wollen oder nicht.

Zur stärkeren Unterscheidbarkeit von verschuldeten und unverschuldeten Ausreisehindernissen bei Ausreisepflichtigen wird eine Duldung für Personen mit ungeklärter Identität eingeführt und zumutbare Pflichten zur Passersatzpapierbeschaffung gesetzlich konkretisiert. Personen, bei denen die Abschiebung aus von ihnen selbst zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, weil sie das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über ihre Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt haben oder sie zumutbare Handlungen zur Erfüllung der besonderen Passbeschaffungspflicht nicht vornehmen, sollen künftig eine Duldung mit dem Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“ erhalten. Damit einhergehen ein Verbot der Erwerbstätigkeit und eine Wohnsitzauflage, die das Gesetz in solchen Fällen auch heute schon vorsieht. Zudem werden Zeiten des Besitzes der Duldung mit dem Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“ nicht als Duldungszeiten angerechnet. Auch sind Geldbußen bis zu 5.000 Euro möglich, wenn nicht alle zumutbaren Handlungen vorgenommen werden, um einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz zu erlangen. Mitwirkungspflichten können jederzeit nachgeholt werden. Entschließen sich die Betroffenen die zumutbaren Handlungen für die besondere Passbeschaffungspflicht zu erfüllen, gilt die Verletzung der Mitwirkungspflicht als geheilt und ihnen wird wieder eine Duldung ohne Zusatz ausgestellt. Für alle vollziehbar Ausreisepflichtigen gilt die Verpflichtung, alle ihnen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zumutbaren Handlungen zur Beschaffung eines Passes oder Passersatzes selbst vorzunehmen. Für die Erfüllung dieser Pflicht ist es ausreichend, glaubhaft zu machen, dass die Handlungen vorgenommen wurden – auch durch Erklärung an Eides Statt.

Was wir verhindern konnten
Der Ursprungsentwurf wurde insgesamt massiv entschärft. Neben vielen politisch und rechtsstaatlich schwierigen Punkten, die im Gegensatz zum Referentenentwurf weggefallen sind, wie die Verkürzung der Anzeigepflicht bei Verlassen des Bezirks, die Wohnsitzregelung für alle verurteilte Straftäter unabhängig von der Schwere der Tat, Wohnungsbetretungs- und Durchsuchungsrechte zum Zweck der Vollstreckung der Abschiebung, eine Erweiterung der Kompetenzen zur Auswertung von Datenträgern (Zulässigkeit der Auswertung von Datenträgern nicht nur zur Feststellung von Identität und Staatsangehörigkeit, sondern auch zur Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat, einschließlich der Beschaffung von Reisedokumenten und der Ermittlung des Reisewegs), einer Einschränkung von Rechtsschutz und Verfahrensrechten in Asylsachen und die Einführung eines Straftatbestands im Asylgesetz bei Identitätstäuschungen, wurden auch die noch bestehenden Regelungen durchweg bereinigt und verbessert.

Als besonders große Erfolge sind die Verhinderung der „Duldung light“, der „Erweiterten Vorbereitungshaft“ und der Kriminalisierung von Helferkreisen zu werten.

Zum einen sollte es nach dem Wunsch des BMI künftig grundsätzlich schwerer werden, eine Duldung zu erhalten und auch innerhalb der Duldung sollten weitere Restriktionen bei mangelnder Mitwirkung eingeführt werden. Zum anderen wollte das BMI das neue Rechtsinstitut der „Duldung light“ (Bescheinigung über die vollziehbare Ausreisepflicht – Ausreiseaufforderung) gesetzlich festschreiben und zwar mit riesigem Anwendungsbereich (insbesondere z. B. für alle, die keine Reisedokumente vorlegen, alle, die irgendwann mal nicht genügend bei der Passbeschaffung mitgewirkt haben, alle Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten). Daraus sollten sich dann alle möglichen Restriktionen und Sanktionen ergeben (Verbot der Erwerbstätigkeit, Residenzpflicht, Wohnsitzauflage, eingeschränkte Leistungen nach dem AsylbLG, Ausschluss von jeglichen Bleiberegelungen (z.B. §§ 25a, b, § 25 V AufenthG, neue Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung), keine Teilnahme an Integrationsangeboten etc.). Es war zudem keine Möglichkeit vorgesehen, aus diesem Status wieder in eine normale Duldung zu wechseln. Mutmaßlich würde die „Duldung-light“ keine einzige Abschiebung befördern. Damit einhergehend würde allerdings erneut eine hohe Anzahl an Personen geschaffen werden, denen alle Integrationsmaßnahmen verwehrt sind, die aber dennoch perspektivisch vielfach nicht abgeschoben werden können. Gegen dieses unsinnige und integrationsverhindernde Vorhaben haben sich unsere Ressorts erfolgreich gewehrt.

Als neues Rechtsinstitut sollte zudem die „Erweiterte Vorbereitungshaft“ geschaffen werden, deren primärer Zweck erst die Ermöglichung der Abschiebung sein sollte, wenn Ausreisepflichtige die Vorbereitung der Durchsetzung der Ausreisepflicht oder das Abschiebungsverfahren umgehen oder behindern. Damit sollte Druck auf die Betroffenen ausgeübt werden, mit dem Ziel, ihre Kooperationsbereitschaft zu erhöhen. Allerdings sollte hier eine Art Beuge- oder Erzwingungshaft bis zu sechs Monaten installiert werden, bei der große Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit bestanden.

Strafbar sollte künftig die Beeinträchtigung der Vollziehung einer bestehenden Ausreisepflicht sein, was jede Behinderung der Vollziehung miterfasste, so etwa die Bekanntgabe von Abschiebungsterminen. Hiermit sollten NGOs, Anwältinnen und Anwälte, Helferinnen und Helfer sowie Beratungsstellen kriminalisiert werden, die Pressefreiheit wäre angegriffen worden. Die Kriminalisierung von Flüchtlingshelferinnen und -helfern, Journalistinnen und Journalisten haben unsere Ressorts entschieden abgelehnt.

Wie es nun weiter geht
Auch wenn gegen einzelne Punkte weiterhin Vorbehalte bestehen, ist der Entwurf in seiner Gesamtheit nun ein tragfähiger Kompromiss. Dies müssen wir auch immer im Zusammenhang mit dem „Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern - Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetz“ und dem „Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes“ aus dem BMAS betrachten, die zusammen mit dem Geordnete-Rückehr-Gesetz als Migrations- und Integrationspaket verhandelt und im Kabinett beschlossen wurden.

Die CDU/CSU-Fraktion hatte zudem die Entwürfe zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz und zum Gesetz über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung in „Geiselhaft“ für das Geordnete-Rückkehr-Gesetz genommen und einen Kabinettsbeschluss zum Geordnete-Rückkehr-Gesetz zur Bedingung für die noch ausstehende Beratung für ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz im Bundestag gemacht.

Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz und das Gesetz über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung wurden am 9. Mai in 1. Lesung beraten. Das Geordnete-Rückkehr-Gesetz, das Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetz und die Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes sind vergangene Woche in die 1. Lesung gegangen. Alle Gesetze sollen noch vor der Sommerpause verabschiedet werden.

Ich hoffe, ich konnte Ihre Fragen hiermit beantworten.

Mit freundlichen Grüßen
Thomas Hitschler

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