Frage an Thomas Hitschler von Heiner B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Hitschler,
die türkische Regierung hat 30 weitere Veranstaltungen zur Werbung für das umstrittene Verfassungsreferendum in der Türkei in Deutschland geplant.
Wir - die Bürger unseres Landes - mussten uns bei den beiden bereits stattgefundenen Veranstaltungen als Nazis beschimpfen lassen, es wurde teilweise für die Einführung der Todesstrafe in der Türkei geworben, Herr Erdogan hat mit einem Aufstand gedroht, sollte man ihn in Deutschland nicht reden lassen. Bei einer Veranstaltung dieser Art wurde ein Journalist von türkischen Teilnehmern tätlich angegriffen.
Zur aktuellen Situation der Freiheits- und Menschenrechte, der Meinungsfreiheit und der Unagbängigkeit der Justiz in der Türkei muss nichts mehr gesagt werden.
Nun gibt der § 47 Aufenthaltsgesetz unseren Ausländerbehörden ein wirksames Instrument der Untersagung dieser geplanten "Wahlwerbeveranstaltungen" an die Hand. Insbesondere die Bestimmung des § 47, Abs. 1, Ziff. 1 ist dafür gut geeignet:
"Die politische Betätigung eines Ausländers kann beschränkt oder untersagt werden, soweit sie ... die politische Willensbildung in der Bundesrepublik Deutschland oder das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern oder von verschiedenen Ausländergruppen im Bundesgebiet, die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet"
Und mindestens die öffentliche Sicherheit und Ordnung wird durch diese Veranstaltungen beeinträchtigt!
Wie ist Deine Position zu entsprechenden Verboten und würdest Du die Ausländerbehörden Deines Wahlkreises ermuntern, solche Verbote auszusprechen?
Freundliche Grüße
Heiner Butz
Sehr geehrter Herr Butz,
vielen Dank für Ihre Frage. Ich finde die gegenwärtige Entwicklung in der Türkei besorgniserregend. Ein Land, mit dem uns ein langjährige Partnerschaft in der NATO und eine jahrzehntelange Freundschaft verbinden, ist auf einem Weg, der weg von Freiheit und Demokratie führt.
Ich glaube aber nicht, dass ein generelles Verbot öffentlicher Auftritte ausländischer Regierungsmitglieder in Deutschland eine gute Antwort auf die türkische Frage wäre. Ich sehe darin nämlich eine schwere Einschränkung von Artikel 5(1) des Grundgesetzes, der die Meinungsfreiheit garantiert. Es wäre unklug, wenn wir auf der einen Seite mehr Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Meinungsfreiheit in der Türkei fordern, auf der anderen Seite aber unsere eigenen Gesetze großzügig auslegen, um den öffentlichen Auftritt von Präsident Erdogan zu unterbinden. Diese Argumentation kann man selbstverständlich auch umkehren und von Präsident Erdogan die Rechtstaatlichkeit einfordern, die er für Mitglieder seiner Regierung im Ausland beansprucht.
Ihr Hinweis auf §47(1) AufenthG ist sehr interessant. Die Anwendung würde meiner Ansicht nach aber an der Immunität der türkischen Regierungsmitglieder, die ihnen nach Maßgabe des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963 zusteht, scheitern. Es gibt in unserem Rechtstaat aber bewährte Regeln und Verfahren, wie öffentliche Auftritte ausländischer Staatsangehöriger unter Beteiligung deutscher Behörden und Ministerien organisiert werden. Und wir dürfen durchaus erwarten, dass die türkische Regierung diese Regeln respektiert und einhält. Über private Vereine Säle anzumieten und dort ohne weitere Rücksprache Vertreter von ausländischen Regierungen auftreten zu lassen, zeugt nicht von Respekt. In solchen Fällen sollte man die Auftritte, im Rahmen geltenden Rechts, in der Tat untersagen.
Übrigens arbeitet der Deutsche Bundestag aktuell bereits an einer Gesetzesänderung, die indirekt durch Präsident Erdogan angestoßen wurde. Dabei handelt es sich um die Streichung von § 103 StGB, die besondere Strafbarkeit der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten. Sie erinnern sich sicherlich an den Rechtstreit zwischen Herrn Erdogan und dem Komiker Jan Böhmermann. Dieser Paragraph wird nun voraussichtlich zum 1. Januar 2018 wegfallen. Kurz darauf eine weitere von ihm verursachte Rechtsänderung anzustreben, würde Präsident Erdogan wirklich zu viel Einfluss auf unsere Gesetzgebung einräumen.
Die Lage in der Türkei werde ich aber weiter kritisch betrachten. Ich halte es auch für vertretbar, Herrn Erdogan an seinen eigenen Ansprüchen, etwa was Meinungsfreiheit betrifft, zu messen. Ich hoffe, dass sich die gegenwärtige Entwicklung in der Türkei wieder umkehren wird.
Bis dahin wird die deutsch-türkische Freundschaft sicher merklich abkühlen. Abbrechen lassen sollten wir sie aber nicht. Denn Brücken sind schwerer zu bauen als Mauern.
Denn ich habe auch Vertrauen in die Vernunft unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger mit türkischen Wurzeln. In Berlin haben beispielsweise am Wochenende 300 türkischstämmige Menschen vor der niederländischen Botschaft demonstriert. Ihnen stehen 200.000 türkischstämmige Berlinerinnen und Berliner gegenüber, die dies nicht getan haben.
Ich hoffe, dass ich Ihre Fragen damit beantworten konnte und stehe Ihnen gerne auch direkt unter thomas.hitschler@bundestag.de als Ansprechpartner zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Hitschler, MdB