Thomas Flierl
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Frage von Hans-Peter F. •

Frage an Thomas Flierl von Hans-Peter F. bezüglich Kultur

Sehr geehrter Herr Dr. Flierl,

ich beziehe mich ebenfalls auf die Herausgabe des Kirchner-Bildes. In einem Interview in der heutigen Berliner Zeitung äußern Sie sich zu den Umständen dieses Vorgangs.

Sie sagen, Sie seien "den Vorgaben der Washingtoner Konferenz gefolgt" und Berlin habe "erst im letzten Jahr ... seine Bereitschaft erneuert, diesen Grundsätzen zu folgen". Das sei "keine juristische, sondern eine politisch-moralische Verabredung", und die Beweislast, dass "die Witwe des Sammlers ... den [damaligen] Kaufpreis tatsächlich erhalten" habe und dass "das Bild ohne NS-Herrschaft auch verkauft worden wäre", liege beim Land. Da ein solcher Beweis kaum je zu führen sein dürfte, sind einem Missbrauch einer solchen Regelung natürlich Tür und Tor geöffnet.

Abgesehen davon, dass ich nicht ganz verstehe, wie eine solche doch wohl etwas unbefriedigende Regelung überhaupt zustande kommen konnte, bitte ich Sie um Aufklärung darüber, wieso bei anscheinendem Fehlen einer "juristischen" Grundlage eine "politisch-moralische" Pflicht existieren sollte, einer Regelung zu folgen, die der einen Partei keinerlei Schutz vor unberechtigten Forderungen seitens der anderen Partei gewährt? Ist eine solche Regelung nicht auch in gewisser Weise "unmoralisch", insbesondere wenn sie dazu benutzt wird, Kunstwerke der Öffentlichkeit zu entziehen, um maximalen Profit aus ihnen zu schlagen?

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen möchte ich betonen, dass ich der Letzte bin, der die Greueltaten der Nazis leugnete. Aber um die Naziverbrechen zu sehen, muss man doch wohl nicht für alle Zeit auf allen anderen Augen blind sein?

Mit freundlichen Grüßen

Hans-Peter Fischer

Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Bauer,
Sehr geehrter Herr Fischer,

Die Rückgabe des für den deutschen Expressionismus so wichtigen Werkes "Berliner Straßenszene" von Ernst Ludwig Kirchner, schmerzt jeden, dem das Wohl der Berliner Museen am Herzen liegt. Verwunderlich, ja ärgerlich, ist allerdings, mit welcher Ignoranz und welchem Subtext die Rückgabe an eine Erbin in der Öffentlichkeit diskutiert wird.

So groß die emotionale Betroffenheit und die Verlockungen des Wahlkampfes auch sein mögen: Die Diskussion sollte frei sein von Unterstellungen, wie der, dass das Land Berlin "dilettantisch" gehandelt und die Besitzgeschichte des Bildes nichts mit der nationalsozialistischen Verfolgung jüdischer Bürger zu tun habe.

Denn wie relevant für die Entscheidung ist der Vorwurf, der ursprüngliche Eigentümer Alfred Hess habe bereits seit 1929 Werke seiner bedeutenden Sammlung verkaufen müssen, da seine Schuhfabrik in Erfurt insolvent gewesen sei? Mit dieser Behauptung wird nahe gelegt, das Thekla Hess, die Frau des 1931 verstorbenen Hans Hess, aufgrund eigener Misswirtschaft auch dieses Werk der Sammlung 1936 oder 1937 an den Sammler Carl Hagemann veräußern ließ. Die Herrschaft der Nationalsozialisten sei folglich für den Verkauf nicht ursächlich gewesen.

Richtig ist, dass die "M&L Heß Schuhfabrik" noch 1932 im Handbuch der Deutschen Aktien-Gesellschaften geführt wurde. Die Weltwirtschaftskrise wirkte sich auch auf das Erfurter Unternehmen aus; insolvent war die Aktiengesellschaft aber weder 1929 noch in den folgenden Jahren. Die Behauptung einer Insolvenz ist daher unhaltbar, sie mutet angesichts dessen, was die Familie Hess in den Folgejahren erlitten hat, geradezu zynisch an.

Bereits 1935 unterfiel ein Teil des Immobilienvermögens in Erfurt "einer nationalsozialistischen Entziehungsmaßnahme durch verfolgungsbedingten Zwangsverkauf", wie das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen 1997 feststellte. 1936 fragte das NSDAP-Amt des Gauwirtschaftsberaters an, ob Angestellte, Aufsichtsratsmitglieder, Vorstandsmitglieder und Aktionäre der Schuhfabrik jüdischen Glaubens seien. Dies musste bejaht werden. 1937 verlor die Familie Hess ihre Aktienanteile aufgrund der NS-Herrschaft. Dies hat das Verwaltungsgericht Gera 2002 festgestellt. In der Urteilsbegründung heißt es, dass die Vermutung für einen vermögensbedingten Verlust nur durch den Beweis widerlegt werden kann, dass ein angemessener Kaufpreis gezahlt wurde, dass der Veräußerer frei über diesen verfügen konnte und dass das Rechtsgeschäft auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschlossen worden wäre. Das Bundesverwaltungsgericht hat den Tatbestand des verfolgungsbedingten Verlustes der Schuhfabrik Hess 2004 bestätigt. In einem weiteren Urteil aus dem Jahr 2003 hat das Bundesverwaltungsgericht außerdem festgestellt, dass ein verfolgungsbedingter Entzug selbst dann vorliegt, wenn die Veräußerung (nur) mittelbar durch die NS-Herrschaft bedingt war.

Vor diesem Hintergrund kann man nicht argumentieren, die Veräußerung des Kirchners durch Tekla Hess hätte auch ohne die Nationalsozialisten stattgefunden. Dies wäre auch nicht vertretbar angesichts der Tatsache, dass ihr Sohn, Hans Hess, bereits 1933 seine Arbeitsstelle beim Verlagshaus Ullstein verlor. Hans Hess ging bereits 1933 ins Exil.

Wenn außerdem gefordert wird, die Rückgabe hätte verweigert werden müssen, da die "Wahrscheinlichkeit", dass Carl Hagemann gezahlt habe, größer sei als die, dass der Kaufpreis nicht bei der Witwe angekommen sei, zeugt dies von großer Unkenntnis der Leitlinien des Rückerstattungsrechts. Man kann es gar nicht häufig genug betonen: Das Land Berlin war nicht nur verpflichtet, zu beweisen, das das Werk ohne die nationalsozialistische Herrschaft überhaupt verkauft worden wäre, sondern auch, dass Thekla Hess den Kaufpreis für den Kirchner von Hagemann tatsächlich erhalten hat. Auch hierfür gibt es keinen Beweis "Wahrscheinlichkeiten" reichen nicht aus.

Für eine "faire und gerechte" Lösung gab es nur zwei politisch vertretbare Möglichkeiten: Die Rückgabe des Kirchners gegen Zahlung des Kaufpreises, den Berlin 1980 für seinen Erwerb zahlte, oder die Entschädigung der Erbin bei gleichzeitigem Verbleib des Werks im Brücke-Museum. Jede sonstige Variante (etwa die Partizipation des Landes an einem Weiterveräußerungserlös) wäre moralisch nicht vertretbar gewesen. Denn damit hätte Berlin im Nachhinein von dem (anerkannten) NS-verfolgungsbedingten Verlust unter Ausnutzung der Entwicklung des Kunstmarkts finanziell profitiert. Gänzlich unpassend ist der Gedanke, zumindest die Zinsen des Kaufpreises hätten zurückgefordert werden müssen. Wir sollten nicht vergessen: Berlin hatte auch die Freude an diesem Bild.

In den mehr als zehn Monate währenden Verhandlungen war es das Ziel, das Gemälde in Berlin zu halten und die Erbin finanziell zu entschädigen. Die Verhandlungen liefen - wie in solchen Fällen üblich - diskret. Zum einen, weil dies der Persönlichkeitsschutz gegenüber der Erbin verlangt. Zum anderen, weil jede Form von Öffentlichkeit Gefahr lief, weitere Bieter auf den Plan zu rufen und so die Verhandlungsposition des Landes zu schwächen. Mit Hilfe von privaten Sponsoren konnten zwei Angebote unterbreitet werden. Die Erbin, die eine am Marktwert orientierte Entschädigungssumme verlangte, lehnte beide ab. Darauf wurde die "Straßenszene" gegen Zahlung des 1980 gezahlten Kaufpreises zurückgegeben.

Wer das Agieren großer Auktionshäuser auf dem Kunstmarkt kennt, weiß, dass dem Fall Kirchner weitere folgen werden. Ein "Feuerwehrfonds" wie ihn der Chef der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Martin Roth, vorschlägt, kann angesichts knapper öffentlicher Kassen hilfreich sein, um die Kunstwerke für die Öffentlichkeit zurückzukaufen. Es wäre jedoch eine Illusion anzunehmen, dass dies ein Königsweg sein kann. Dafür ist die Dimension vergangenen Unrechts auch im Bereich der Kunst zu groß. Die "Berliner Straßenszene" wird am 8. November in New York versteigert. Damit bietet sich die Möglichkeit, das Werk zurückzuerwerben und es dem Brücke-Museum, in welches es ohne Zweifel gehören würde, wieder zur Verfügung zu stellen. An diesem Ziel sollten alle mitwirken, denen das Kunstwerk am Herzen liegt.

Mit besten Grüßen,

Thomas Flierl