Frage an Thomas Dyhr von Richard M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dyhr,
1.Die Diesel-Affäre hat Ihre Partei in eine schöne Zwickmühle gebracht.Wie wollen Sie Wählern klarmachen,dass die Grünen weiterhin für saubere Luft kämpfen,wenn ein Herr Kretschmann für die Auto-Industrie eintritt,während Herr Özdemir gegen sie vom Leder zieht?
2.Was würden Sie gegen den ausufernden Lobbyismus in Deutschland tun,der die Demokratie untergräbt und das Wohl der Industrie über das der Bürger stellt,obwohl der Abgeordnete per Eid dem deutschen Volk verpflichtet ist?
3.Was werden Sie gegen die grundgesetzwidrige Waffenausfuhr in Nicht-Nato-Länder tun,die mittlerweile ein Ausmass von ca 60 % erreicht hat,obwohl im GG für diese Länder nur der Ausnahmefall vorgesehen ist?
Sehr geehrter Herr M. L.,
vielen Dank für die Gelegenheit, auf Ihre Zweifel zu antworten.
Ihre Frage 1 erklärt sich zum einen aus den verschiedenen Verantwortungsbereichen, welche die Genannten wahrzunehmen haben und welche zwangsläufig auch unterschiedliche Perspektiven nach sich ziehen. Politik hat immer auch etwas mit Machbarkeit und Mehrheiten zu tun.
Winfried Kretschmann als Ministerpräsident eines Bundeslandes, welches bedeutsame Produktionsstandorte der Automobilindustrie hat, agiert auf der Basis seiner Verantwortung in der Exekutive und auf der Grundlage eines gültigen Koalitionsvertrages mit der CDU mit Blick auf die Arbeitsplätze im hier und jetzt.
Kommt die Automobilindustrie in seinem Land Schluckauf, geht das an die Grundfesten des Industriestandortes Baden Württemberg. Ein scharfer industriekritischer Kurs würde bei dem Koalitionspartner mangels Mehrheit nicht durchzusetzen sein. Winfried Kretschmann kann von daher gar nicht die "reine grüne Linie" (so es die überhaupt gibt...) vertreten, sondern hat als Regierungschef eine Vielzahl kompromissbehafteter weiterer Aspekte zu berücksichtigen und auf seinen Koalitionspartner Rücksicht zu nehmen.
Cem Özdemir hingegen agiert dagegen als Bundestagsabgeordneter und als Bundesvorsitzender der Partei Bündnis90/ Die Grünen. Er tut gut daran, mit klarer Sprache deutlich zu machen, wohin die Reise aus Sicht unserer Partei gehen soll. Und es ist auch richtig, dass die Betrügereien der Automobilindustrie mit klarer Sprache benannt werden und auch Konsequenzen gefordert werden.
Wenn in die Positionierung der Partei bereits die zukünftigen Kompromisse eingepreist werden würden, die ein zukünftiger Koalitionsvertrag mit sich brächte, dann wäre es aus mit einer erkennbaren grünen Linie. Man würde dann in etwaigen Koalitionsverhandlungen auf der Grundlage von Kompromissen agieren, die anschließend noch weiter aufgeweicht würden. Insofern ist es ein Vergleich von Äpfeln mt Birnen, wenn man an beide Aufgabenbereiche - beide Personen - dieselbe Elle anlegt.
Nicht nur Beiden, sondern unserer ganzen Partei geht es zum anderen darum, die Automobilindustrie zukunftsfest zu machen. Es macht keinen Sinn, die Automobilindustrie in Watte zu packen, wie sie es gerne aus kurzfristigem Interesse hätten.
Ohne klaren zeitlichen Rahmen für ein Ende des Verbrennungsmotors fehlt der Druck, dass endlich die Entwicklungsabteilungen in der Branche ihren Job machen und alternative Antriebe entwickeln, die wir für den Kampf gegen den Klimawandel brauchen. Wenn die deutschen Hersteller den heute schon bestehenden Rückstand weiter wachsen lassen, werden die Autos der Zukunft in den USA, China oder Indien gebaut, statt in Deutschland. Und eine solche Entwicklung würde 100.0003 Arbeitsplätze kosten. Deswegen haben wir einen Beschluss gefasst, der das Jahr 2030 als Endmarke für den Verbrennnungsmotos festlegt.
Und zu guter Letzt hier auch noch die Bemerkung, dass die Mitgliedschaft in einer Partei nicht gleichbedeutend ist mit der Aufgabe eigener Meinungen. Wenn ein Mitglied - egal auf welcher Ebene - eine andere Meinung hat, als es die Beschlusslage darstellt, dann ist das ok so und dann muss das die Partei aushalten. Wie sollten sich denn anders tragfähige Positionen erarbeiten lassen, als im kontroversen Dialog. Auch ich erlaube mir in verschiedenen Punken aus Überzeugung eine andere Meinung, als sie vom Mainstream der Partei vertreten wird.
Zu Ihrer Frage 2: Grundsätzlich gehört die Vertretung eigener Interessen zur Demokratie dazu und ich habe auch nicht wirklich ein Problem damit, wenn z.B. Naturschutzverbände (auch die sind Lobbyisten...) ihr Fachwissen in die parlamentarische Arbeit einbringen. Ich teile aber Ihre Kritik an einem Lobbyismus, der Politik als käuflichen Prozess betrachtet und die Gemeinwohlinteressen in intransparenten Hinterzimmerprozessen verdrängt. Der Blick in die Parteispenden über 50.000,00 € auf der Bundestagshomepage und die Erinnerung an die unsägliche Mövenpick-Steuer zeigen, dass auf dem Gebiet viel Optimierungsbedarf besteht.
Sich gegen Einflüsterer zu immunisieren ist meiner Meinung nach persönliche Aufgabe jedes Abgeordneten. Abgeordnete sind dem Gemeinwohl verpflichtet und zwar ausschließlich. Und sie agieren lt. Gundgesetz nur auf Basis ihres Gewissens. Ich denke, dass diese gesetzliche Grundlage in der allgemeinen Parlamentsroutine nur zu oft unter die Räder gerät.
Ich kann Ihnen so viel zusagen, dass ich persönlich schon von meiner beruflichen Herkunft her eine gesunde Distanz zu Einflüsterern entwickelt habe und dass ich im Falle meiner Wahl sicherlich gegen Vorlagen stimmen werde, wenn ich die Überzeugung habe, dass sachfremde Erwägungen Grundlage dieser Entscheidungsvorlage sind.
Zu Frage 3. - Ich teile Ihre Kritik an Rüstungsexporten und kann Ihnen versichern, dass ich im Falle meiner Wahl sicherlich keinem solcher Geschäfte zustimmen würden, soweit ich die Gelegenheit dazu erhielte. Waffen erzeugen Not, Elend und Fluchtgründe, die uns über kurz oder lang wieder einholen. Eine Waffe, die einmal aus der Hand gegeben ist, ist außer Kontrolle und ich möchte nicht, dass mit deutschen Waffen Menschen zu Schaden kommen. Gewinne mit menschlichem Elend zu machen, halte ich für unethisch.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Dyhr