Frage an Theo Kruse von Sibel K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Kruse,
Wir, die Ihnen schreiben, sind die Schüler des Gertrud- Bäumer- Berufskolleg in Plettenberg. Genau genommen sind wir alle angehende Erzieherinnen. Im Zuge unseres Politikunterrichts beschäftigen wir uns zur Zeit mit dem interessanten Thema Flüchtlingspolitik in Deutschland.
Auf Grund unserer Recherche fanden wir heraus, dass Deutschland den Flüchtlingen den Zugang in unser Land verwehrt und auf andere Länder verweist, welche für die Flüchtlinge verantwortlich sein sollen.
Im Politik Unterricht bearbeiteten wir mehrere Artikel, in denen bewegende Schicksale von Flüchtlinge aus Afrika, Tunesien und Libyen geschildert wurden.
Wir finden es sehr erschreckend, dass so viele Menschen aus Ländern, in denen die Menschenrechte nicht beachtet werden, voller Hoffnung auf ein besseres Leben, ihr Leben auf einer Flucht mit niedrigen Umständen und ungewisserem Ausgang riskieren und dann in der EU vor geschlossenen Grenzen stehen.
Wie kann es sein, dass so ein sozialer Staat wie Deutschland es sein will, notbedürftigen Menschen jede Hilfe verweigert?
Wir wären Ihnen sehr dankbar für eine Antwort.
Liebe Schüler,
verehrte angehende Erzieherinnen,
ausdrücklich danken möchte ich für Ihr Interesse an dem Thema "Flüchtlingspolitik".
Die aktuelle Situation im Mittelmeer und hier in besonderer Weise die Flüchtlingssituation in zahlreichen nordafrikanischen Staaten verdeutlicht, wie wichtig europäische Solidarität im Umgang mit Flüchtlingen und gemischten Migrationsströmen ist. Wer verfolgt ist, hat in jedem EU-Staat Anrecht auf politisches Asyl. Das ist eine große Tradition in Europa, die niemand ernsthaft in Frage stellt.
Zu Ihrer Information: Deutschland hat allein im vergangenen Jahr mehr als 48.000 Asylbewerber aufgenommen. Eine wirkliche Massenflucht hat Europa das letzte Mal in den 90er Jahren erlebt, als die Bosnier vor dem Krieg in ihrer Heimat flüchteten. 345.000 Menschen kamen damals nach Deutschland. Wir sind in Deutschland insgesamt, aber auch bei uns in Nordrhein-Westfalen, unserer Verantwortung in besonderer Weise gerecht geworden. Wir haben im Vergleich zu allen anderen demokratischen Staaten, in denen es freie, gleiche und geheime Wahlen gibt, das liberalste Asylrecht, wir brauchen uns, auch was die Leistungen und Unterstützungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz betrifft, nicht zu verstecken. Wir verweigern den notbedürftigen Menschen keine Hilfe, allerdings können wir in Deutschland allein die Flüchtlingssituation in Nordafrika oder auch in anderen Ländern dieser Welt nicht retten. Die Freizügigkeit gilt als eine der größten Errungenschaften in Europa. Grenzhindernisse sind verschwunden, die Bürger der europäischen Union können sich in anderen Mitgliedsstaaten frei niederlassen und dort arbeiten. Allerdings gibt es große Unterschiede zwischen dem Wirtschafts- und Sozialsystemen und deswegen führt Migration und auch Asyl in Europa zu unerwünschten Effekten. Auch von außen stehen die Grenzen der europäischen Union unter Druck. Wir dürfen dem Exodus aus Nordafrika keinen Vorschub leisten. Gerade auf Lampedusa besteht ein Großteil der Ankömmlinge aus jungen Tunesiern, von denen viele offenbar eine gute Ausbildung haben. Diese Leute werden beim Aufbau ihres Landes dringend gebraucht. Geboten ist eine Zusammenarbeit der europäischen Union mit den nordafrikanischen Staaten und hier in besonderer Weise den demokratischen Kräften in den Bereichen Flüchtlingsschutz, Verhinderung illegaler Migration, Schaffung von Möglichkeiten zur legalen Migration.
In der Hoffnung, Ihnen mit diesen wenigen Informationen ein wenig geholfen zu haben, grüße ich Sie sehr herzlich und wünsche Ihnen viel Freude im Unterricht.
Theo Kruse