Bürokratische Prozesse behandeln Bürger eher als Untertanen und Herrschaftsobjekte. Welche konkreten Möglichkeiten würden Sie ergreifen, um einen Bewusstseinswandel in der Bürokratie zu fördern?
Die Bürokratie in unserem Land ist immer noch von dem herrschaftlichen Denken des Absolutismus geprägt, anstatt sich am humanistischen Menschenbild der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu orientieren. Dies führt immer wieder zu katastrophalen Effekten: z.B. gescheiterte Rettung von Ortskräften aus Afghanistan, fehlgeschlagene rechtzeitige Aufklärung des NSU, Behinderung von bayerischen Helfern bei Rettungseinsatz im Ahrtal wegen ungenehmigter Hubschrauber usw.
Welche konkreten Möglichkeiten würden Sie ergreifen, um einen Bewusstseinswandel in der Bürokratie zu fördern?
https://www.sueddeutsche.de/politik/afghanistan-flucht-ortskraefte-1.5385870
https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2018/service/fatale-fehler
https://www.gdv.de/de/themen/positionen-magazin/wenn-der-staat-versagt-39370
https://rp-online.de/nrw/panorama/ahrtal-nach-flutkatastrophe-fluthelfer-kritisiert-behoerdenirrsinn_aid-62125949
Sehr geehrter Herr R.,
ich kann Ihre Kritik nachvollziehen. Bürokratieabbau ist wichtig. Natürlich ist eine gute Regulierung eine unentbehrliche Voraussetzung für ein funktionierendes Gemeinwesen. Gute Rechtsetzung bedeutet, die bestehende Rechtsordnung weiterzuentwickeln, ökologische und soziale Standards zu setzen und dafür zu sorgen, dass bestehende Regeln verständlich und durchsetzbar sind und beachtet werden. Gleichzeitig ist es Aufgabe des Gesetzgebers, bei seinen Vorgaben die bestmögliche Lösung für seine Regulierungsziele zu finden, damit Vorschriften klar und gut anwendbar sind.
Ziel von effektiver Rechtssetzung und Bürokratieabbau sollte dabei immer sein, Bürgerinnen und Verbraucher, Unternehmen und Verwaltung so wenig wie möglich und so viel wie notwendig zu belasten. Bürger und Bürgerinnen und Unternehmen müssen verstehen und umsetzen können, was von ihnen verlangt wird, ohne für immer mehr Alltagsvorgänge auf externe Beratung angewiesen zu sein.
Auch die über die Jahre entstandene Komplexität ökonomischer und gesellschaftlicher Prozesse erschwert die Schaffung einfacher Regelungen. Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung eröffnet neue Möglichkeiten, komplexere Sachverhalte transparent abzubilden, die demokratische Legitimation politischer Entscheidungen so zu verbessern und Verwaltungsprozesse einfacher und bürgernäher zu gestalten. Das setzt voraus, dass alle Beteiligten einen Veränderungswillen haben, gute IT-Infrastruktur vorhanden ist, sowie IT-Sicherheit, Datenschutz und barrierefreie Zugänge von Anfang an immer mitgedacht werden.
Wir Grüne wollen Regeln und Abläufe vereinfachen und bürokratische Bremsklötze aus dem Weg räumen. Wir wollen, dass Regeln für Unternehmen spürbar unbürokratischer werden, damit ihnen mehr Zeit fürs Eigentliche bleibt. Bei dem sogenannte Bürokratieentlastungsgesetz III der Bundesregierung fordern wir Nachbesserungen. Wir wollen Abschreibungen und Umsatzsteuer vereinfachen, Gründungen von nicht unbedingt nötigen Melde- und Berichtspflichten befreien und weniger Behördengänge durch eine digital besser aufgestellte Verwaltung, z.B. mit barrierefreien E-Government-Dienstleistungen, sicheren digitalen Beteiligungsformaten und Open Government.
Verwaltungen müssen flächendeckend mit modernster Technik ausgestattet werden und in ihren Strukturen ein effizientes Arbeiten ermöglichen. Wir verfolgen die Vision eines digitalen, antragslosen und proaktiven Sozialstaats.
Herzliche Grüße
Tabea Rößner