Frage an Tabea Rößner von Wolfgang M. bezüglich Finanzen
Guten Tag Frau Rößner,
mich beunruhigt sehr was die deutschen Politiker inzwischen bereit sind für das goldene Kalb Euro zu opfern. Ich denke es ist allerhöchste Zeit ein (Stop-)Zeichen zu setzen. Deshalb meine Frage an Sie: Wie werden Sie sich bei der Abstimmung zur Erweiterung des Euro-Rettungsschirms verhalten?
Freundliche Grüße
Wolfgang Müller
Sehr geehrter Herr Müller,
ich bekomme in diesen Tagen viel Post von besorgten Bürgerinnen und Bürgern, die die derzeitigen Entwicklungen sehr kritisch sehen. Ich kann die Sorge und die Kritik an den bestehenden Strukturen innerhalb der Europäischen Union und an der politischen Führung einzelner Mitgliedsstaaten gut nachempfinden. Seien Sie sich versichert, dass wir über die aktuelle Situation, die verschiedenen Gesetze und Lösungsansätze sehr intensiv innerhalb unserer Fraktion diskutiert haben.
Die Diskussion um die Euro-Rettung und die Stabilisierung der Europäischen Union hat eine Dynamik angenommen, die uns als politische Entscheidungsträger stark unter Druck setzt. Umso wichtiger ist es, in dieser Situation nicht aufgrund des Drucks Fehler zu machen und Risiken einzugehen, die für die Zukunft kaum abzuschätzen sind. Wir dürfen uns daher nicht treiben lassen. Das Projekt Europa ist zu wichtig, um es taktischen Erwägungen zu opfern. Die Ursachen der Krise liegen u.a. in der verfehlten Haushaltspolitik der Länder. Daher müssen wir auf solide Staatsfinanzen setzen und uns in der akuten Krisenbewältigung auch solidarisch zeigen. Aber die europäischen Verträge zeigen uns zur Einstandsverpflichtung für die Schulden Dritter auch klare Grenzen auf.
Ich stehe den unterschiedlichen Lösungsvorschlägen, die im Raum stehen, noch skeptisch gegenüber. Zu viele Fragen sind ungeklärt. Dafür müssen wir uns
aber auch die Zeit nehmen, diese Vorschläge umfassend zu beleuchten und Lösungskonzepte zu erarbeiten. Wir müssen auch darüber reden, welchen Spielraum die EU in Zukunft tatsächlich haben soll und welche Rolle den einzelnen Mitgliedsstaaten zukommt. Wir haben bereits in der Vergangenheit Fehler bei der Krisenbewältigung gemacht. Daher sollten uns nicht noch weitere unterlaufen. Die EZB hat einen Sündenfall begangen und bereits Ramschanleihen aufgekauft und ist damit von einer unabhängigen geldpolitischen Institution zu einem fiskalpolitischen Akteur geworden.
Der Weg aus der Eurokrise kostet und erfordert nachhaltige Entscheidungen. Aber die Kosten des Nichthandelns wären weitaus größer. Die politischen und
wirtschaftlichen Kosten eines Scheiterns des Euros wären für Deutschland enorm. Deutschland profitiert wie kein anderes Land vom europäischen Binnenmarkt und von der gemeinsamen Währung. Viel zu eng ist die wirtschaftliche Verflechtung zwischen den Mitgliedsstaaten, als dass ein Herausbrechen einzelner Staaten ohne Schaden für alle Beteiligten möglich wäre.
Worum ging es in der Abstimmung? Es ging nicht nur um die Gewährleistungssumme des Bundes, die erhöht werden soll, sondern auch um eine Erweiterung des EFSF-Instrumentariums. Zukünftig kann die EFSF nicht nur Kredite an Euro-Staaten ausgeben, sondern auch Staatsanleihen am Sekundär- und Primärmarkt aufkaufen sowie Kredite zur Re-Kapitalisierung von Banken und vorsorgliche Kreditlinien zur Verfügung stellen. Diese neuen Instrumente können Ansteckungseffekte vermeiden und einen Zusammenbruch des Finanzsystems verhindern. So können die Schulden hochverschuldeter Länder reduziert werden und die EZB entlastet werden.
Zentral sind aber vor allem die Beteiligungs- und Kontrollrechte des Bundestages. Die mangelnde Beteiligung des Parlaments hatte ich in der Vergangenheit bereits kritisiert. Mit dem neuen Gesetz wird festgelegt, dass das Parlament zustimmen muss, bevor die Bundesregierung einer Vereinbarung über die Notmaßnahmen oder Änderungen des EFSF oder dem zukünftigen ESM zustimmt. Bei Eilbedürftigkeit soll zumindest der Haushaltsausschuss die Beteiligungsrechte des Parlamentes wahrnehmen. Außerdem hat die Bundesregierung den Bundestag umfassend, fortlaufend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.
Nach Abwägung der unterschiedlichen Handlungsoptionen und vor dem Hintergrund des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 7. September 2011 habe ich mich entschieden, dem Gesetz zuzustimmen. Wir Grüne wollen ein starkes Parlament und einen handlungsfähigen Euro-Rettungsschirm. Außerdem gewinnen wir mit dieser Entscheidung die notwendige Zeit, um ein umfassendes Konzept für eine nachhaltige, sozial gerechte und funktionierende Lösung erarbeiten zu können.
Herzliche Grüße
Tabea Rößner