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Sven Lehmann
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Frage von Nadine Z. •

Welche Folgen hat der Missbrauch des Selbstbestimmungsgesetzes für die LGBTQ ?

Sehr geehrter Herr Lehmann,
die LGBTQ gelten als Unterstützer des Selbstbestimmungsgesetzes, obwohl es auch hier kritische Stimmen gibt. Für wie wahrscheinlich halten Sie die Gefahr, dass die LGBTQ an Rückhalt und Unterstützung aus der Bevölkerung verlieren oder gar vermehrter Feindseligkeit ausgesetzt sind, sobald der erste schwerwiegende Fall von Missbrauch dieses Gesetzes bekannt wird und wie möchten Sie dem dann begegnen. In Schottland hat ein Vergewaltiger seinen Geschlechtseintrag gewechselt, weil er eine Unterbringung ins Frauengefängnis anstrebte (Welt, veröffentlicht am 28.01.23). Dies führte zu Protesten in der Bevölkerung. Und es ist leider auch nicht auszuschließen, dass Triebtäter das Selbstbestimmungsgesetz für ihre Zwecke missbrauchen und der Strafverteidiger Udo Vetter hält dies sogar für sehr wahrscheinlich (https://www.schwulissimo.de/neuigkeiten/juristen-kritisieren-self-id-das-neue-gesetz-schaffe-freiraeume-fuer-exhibitionisten ). Droht Solidaritätsverlust ?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Guten Tag Nadine Z.,

vielen Dank für Ihre Nachricht.

Das Selbstbestimmungsgesetz soll es transgeschlechtlichen, intergeschlechtlichen sowie nichtbinären Menschen ermöglichen, ihren korrekten Geschlechtseintrag im Personenstandsregister durch eine Erklärung beim Standesamt zu erhalten. Mit diesem Gesetz werden die bisherigen entwürdigenden und langwierigen Verfahren endlich überwunden. Das Selbstbestimmungsgesetz baut auf eine breite zivilgesellschaftliche Unterstützung, die von queeren Verbänden über den deutschen Frauenrat bis zum Zentralkomitee der Katholiken reicht.

In der Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz wird oft so getan, als ob Gewalt gegen Frauen vor allem von transgeschlechtlichen Menschen, explizit transgeschlechtlichen Frauen, ausgeht. Dies geht jedoch an der Realität vorbei. Wir haben ein gesellschaftliches Problem mit Gewalt, die mehrheitlich von Männern ausgeht, die eben nicht transgeschlechtlich sind. Die finden leider ihre Wege, übergriffig zu sein gegenüber Frauen, in Partnerschaften, in der Familie, auf der Straße. Wir dürfen transgeschlechtliche Frauen nicht für diese Gewalt verantwortlich machen und somit unter Generalverdacht stellen.

Für Erfahrungen aus der Praxis hilft zudem der Blick in andere Länder. Es gibt inzwischen weltweit zwölf Länder mit einem Selbstbestimmungsgesetz. In Argentinien bereits seit über 10 Jahren. Eine Anfrage der Grünen Bundestagsfraktion an die Bundesregierung in der vergangenen Legislaturperiode hat dabei gezeigt, dass schwerer Missbrauch einer Selbstbestimmung beim Geschlechtseintrag international nicht bekannt ist. Dabei ist es mir wichtig herauszustellen, dass das Selbstbestimmungsgesetz keine bestehenden Strafgesetze ändert. Straffälliges Verhalten wird nach wie vor geahndet und entsprechend verfolgt.

Mich besorgt die Bedrohung queerer Menschen sehr und ich sehe insbesondere die Gefahren eines Rechtsrucks, mit dem sich die Lage von queeren Menschen zuspitzt. Gerade deswegen sind das Engagement und konsequente Eintreten für queere Rechte umso wichtiger. Gerade jetzt braucht es Menschen, die sich vielfältig und entschieden für queere Themen, wie eine progressive Ausgestaltung des Selbstbestimmungsgesetzes einsetzen. Denn queere Rechte sind Menschenrechte und damit unverhandelbar. Dabei ist es mir ein besonderes Anliegen, dass die Community untereinander solidarisch ist und wir solidarisch und gemeinsam gegen Diskriminierung eintreten. Nur so können wir für Freiheit und Sicherheit für alle erreichen.  

Mit freundlichen Grüßen,

Sven Lehmann

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