Ist die Steuerklasse 6 unsozial?
Sehr geehrter Herr Lehmann,
ich habe einige Fragen an die Politik und weiß nicht, wohin ich mich wenden soll. Bei meiner Internetrecherche wurde mir diese Seite angezeigt. Sollte ich bei Ihnen an der falschen Adresse sein, könnten Sie mir sagen, wohin ich meine Frage stellen kann bzw. sie an die richtige Stelle weiterleiten?
Zu meinem Anliegen:
Da die Steuerklasse 6 nur Menschen in mehreren Beschäftigungsvergältnissen betrifft, aber am höchsten versteuert wird, frage ich mich, ob dass nicht diskriminierend ist. Die meisten Menschen in mehreren Beschäftigungsverhältnissen sind höchst wahrscheinlich auf das Geld angewiesen. Warum sollen gerade sie höher versteuert werden? Wer mehr oder bei verschiedenen Arbeitgebern arbeiten möchte, sollte dies doch auch ohne Nachteile tun können? Wäre es nicht an der Zeit die Lohnsteuerklassen von grundauf zu überarbeiten und eine einfache und soziale Lösung zu finden (Stichwort: Reichensteuer)?
Vorab vielen Dank für Ihre Antwort.
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Guten Tag Jessica V.,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Gern möchte ich Ihnen die Hintergründe und Überlegungen zu den Steuerklassen 1 und 6 näher erläutern und auf Ihre Anregungen eingehen.
Zunächst einmal ist es wichtig zu verstehen, dass die Lohnsteuer erst einmal nur eine Vorauszahlung auf die Einkommensteuer ist und das System darauf ausgelegt ist, die steuerliche Belastung möglichst gerecht zu verteilen. Die Steuerklassen spielen dabei eine wichtige Rolle, insbesondere wenn es darum geht, wie viel Lohnsteuer direkt vom Gehalt abgezogen wird. Wenn eine Person mehrere Beschäftigungsverhältnisse hat, wird das erste Arbeitsverhältnis (Hauptbeschäftigung) in der Regel in Steuerklasse 1 eingestuft. Diese Steuerklasse berücksichtigt die Grundfreibeträge und sorgt dafür, dass die meisten steuerlichen Vergünstigungen bei der Hauptbeschäftigung zur Anwendung kommen. Die Steuerklasse 6 hingegen kommt bei weiteren Beschäftigungsverhältnissen zur Anwendung. Hier werden keine Freibeträge berücksichtigt, da diese bereits bei der Hauptbeschäftigung eingeflossen sind, und es wird eine höhere Lohnsteuer abgezogen. Dies mag auf den ersten Blick als benachteiligend erscheinen, hat jedoch einen nachvollziehbaren Grund:
Die Steuerklasse 6 stellt sicher, dass alle Einkünfte korrekt versteuert werden und dass bereits im Laufe des Jahres ausreichend Lohnsteuer abgeführt wird, um eine eventuelle Nachzahlung am Jahresende zu vermeiden. Da der Grundfreibetrag bereits in der Hauptbeschäftigung berücksichtigt wurde, müssen alle weiteren Einkünfte entsprechend höher versteuert werden, um die steuerliche Gesamtbelastung gerecht zu verteilen. Ihre Anmerkung, dass viele Menschen mit mehreren Jobs auf das zusätzliche Einkommen angewiesen sind, ist absolut richtig. Daher setzen wir uns als Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen kontinuierlich dafür ein, dass das Steuersystem sozial gerecht gestaltet wird und diejenigen unterstützt werden, die auf zusätzliche Einkünfte angewiesen sind.
Ich unterstütze Ihre Überlegungen, dass das Steuersystem in seiner derzeitigen Form einer Überarbeitung bedarf. Wir als grüne Bundestagsfraktion arbeiten daran, das Steuersystem insgesamt zu reformieren und dabei auch Aspekte wie eine gerechtere Verteilung der Steuerlast durch eine stärkere Besteuerung hoher Einkommen (z.B. Reichensteuer, aber auch Kapital- und Vermögenseinkünfte) in den Fokus zu nehmen.
Ich danke Ihnen für Ihre Anregungen und Ihr Engagement. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, ein gerechteres Steuersystem zu schaffen, das alle Menschen in unserer Gesellschaft unterstützt.
Mit freundlichen Grüßen
Sven Lehmann