Frage an Sven Lehmann von Ludwig T. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Lehmann,
der Bayrische Rundfunk berichtet dieser Tage über die Überlastung des Personals in deutschen Kliniken. https://www.br.de/nachrichten/bayern/ueberlastet-in-die-vierte-welle-klinikpersonal-schlaegt-alarm,SeNAPXF. Die beschriebenen Zustände sind kein Einzelfall und gefährden die Gesundheitsversorgung in Deutschland.
2019 haben DKG, Ver.di und DPR mit der PPR 2.0 ein Instrument zur Bedarfsbemessung von Pflegepersonal vorgelegt. Wie stehen Sie zur sofortigen Umsetzung der PPR 2.0 oder welche alternativen Sofortmaßnahmen zur Sicherung der Versorgung schlagen Sie vor, nachdem weder die Herausnahme der Pflege aus den Fallpauschalen noch die Einführung von Personaluntergrenzen den nötigen Effekt erzielt haben?
Freundliche Grüße
Ludwig Thiry
Sehr geehrter Herr Thiry,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage zur Überlastung des Pflegepersonals an deutschen Kliniken.
Die demografische und gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland fordert uns heraus, dafür Sorge zu tragen, dass wir zukünftig dem Anspruch einer würdevollen Pflege gerecht werden können. Die Corona-Krise führt uns jedoch einmal mehr vor Augen, wie bedrohlich die Personalnot in der Pflege bereits heute ist. Wir beobachten, wie sich die Arbeitsbedingungen in der Pflege zunehmend verschärfen, sodass immer mehr Fachkräfte in Teilzeit gehen oder ganz aus dem Beruf aussteigen. Der bereits bestehende Wettbewerb aller Branchen der deutschen Wirtschaft um Fachkräfte wird sich in den nächsten Jahren also noch weiter verschärfen. Um das zu verhindern, müssen wir den Pflegeberuf stärken – und zwar jetzt!
Um nachhaltige Verbesserungen in der professionellen Pflege zu erreichen, brauchen wir vielfältige Maßnahmen: eine faire und angemessene Bezahlung, neue Arbeitszeitmodelle, die die familiäre Sorgeverantwortung von Frauen und Männern berücksichtigen, ein wissenschaftlich basiertes Personalbemessungsinstrument, das sich am tatsächlichen Pflegebedarf orientiert und eine attraktive Ausbildung mit der Möglichkeit auf Fort- und Weiterbildung. Der Reformbedarf ist nach wie vor massiv und hätte längst schnell und wirksam angegangen werden müssen. Doch stattdessen werden die jahrelangen Versäumnisse der regierenden Parteien die künftige Bundesregierung gleich zu Beginn der neuen Legislaturperiode vor eine horrende Herausforderung stellen.
Die Verordnung von Pflegepersonaluntergrenzen im Krankenhaus war eine Farce und ist nach wie vor kein geeignetes Mittel, um die Versorgungsqualität zu verbessern. Die Beschränkung auf so genannte „pflegesensitive“ Fachbereiche greift zu kurz und bleibt hinter den Vereinbarungen des Koalitionsvertrags zurück. Daran änderte auch die Ausweitung der Untergrenzen auf weitere Fachbereiche nichts. Gleichzeitig sorgen sie für Verlagerungseffekte, die die ohnehin angespannte personelle Situation in anderen Fachbereichen noch zusätzlich verschärfen. Denn es geht bei den Personaluntergrenzen nicht darum, wo das Pflegefachpersonal gebraucht wird, sondern wo es vorschriftsgemäß eingesetzt werden muss. Gute Pflege muss unserer Ansicht aber dort stattfinden, wo Menschen sie tatsächlich benötigen.
Bislang hat die Bundesregierung verpasst, die Pflege im Krankenhaus qualitativ aufzuwerten und deren Finanzierung mit einem bedarfsgerechten Personalbemessungsinstrument zu verknüpfen. Es steht zwar mehr Geld für Pflegestellen durch die Herausnahme der Pflege aus den Fallpauschalen zur Verfügung, offen erscheint allerdings, ob die Krankenhäuser die Mittel tatsächlich für eine bedarfsgerechte Pflege einsetzen. Zudem bringt die Vollfinanzierung der Pflegestellen massive Fehlanreize und Risiken mit sich – beispielsweise, dass Pflegekräfte mehr fachfremde Tätigkeiten übernehmen müssen und Pflegekräfte aus anderen Pflegebereichen abwandern. Die Zahl unbesetzter Stellen steigt von Jahr zu Jahr, der Arbeitsmarkt ist leergefegt und die Situation in der Pflege verschlechtert sich zunehmend.
Wir haben daher die gemeinsame Initiative der Deutschen Krankenhausgesellschaft, des Deutschen Pflegerates und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft für ein Personalbemessungsinstrument für die Pflege im Krankenhaus begrüßt. Der vorgelegte Vorschlag ist eine gute Zwischenetappe bis zum Ziel, den Pflegeberuf aufzuwerten, auch wenn uns klar ist, dass die PPR 2.0 noch Weiterentwicklungsbedarf hat. Wir fordern daher bereits seit Jahren ein wissenschaftliches Personalbemessungsinstrument, das sich am tatsächlichen Pflegebedarf der Patientinnen und Patienten orientiert. Die Personaluntergrenzen müssen so schnell wie möglich durch Regelungen abgelöst werden, die keine unteren Haltelinien definieren. Mit der PPR 2.0 liegt dazu ein Vorschlag auf dem Tisch, dessen Umsetzbarkeit längst hätte geprüft werden müssen. Der Standard darf nicht die Untergrenze sein, der Standard ist die gute Pflege!
Für uns Grüne ist die Sicherstellung einer guten und qualitativ hochwertigen Gesundheits- und Pflegeversorgung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nur möglich ist, wenn wir den Bedürfnissen der professionellen Pflegekräfte endlich unsere volle Aufmerksamkeit schenken. Dazu müssen wir die Arbeitsbedingungen jetzt verbessern. Denn Pflege ist ein schöner Beruf. Wir Grüne wollen erreichen, dass Menschen ihn gerne und möglichst lange ausüben können – dafür stehen wir jetzt und in Zukunft!
Ich hoffe, ich konnte Ihre Frage damit ausreichend beantworten.
Mit freundlichen Grüßen
Sven Lehmann MdB