Frage an Sven Lehmann von Ina L. bezüglich Politisches Leben, Parteien
Sehr geehrter Herr Sven Lehmann,
zum Thema Volksabstimmung habe ich Fragen: wie stehen Sie zur Volksabstimmung und würden Sie sich auf dem Parteitag dafür einsetzen?
Ich persönlich habe angst das die Demokratie immer mehr abgeschafft wird.
Die Möglichkeit Bürger dazu zu bewegen, sich mit komplexen Themen auseinanderzusetzen, anstatt nur den Politiker zu wählen ist für den Bürger eine sehr wichtige Chance auch innerhalb des regieren weiter ernst genommen zu werden.
Ich möchte meine Stimme im Volke für Volksabstimmungen unbedingt behalten.
Fakt ist, ohne dem Volk gäb es keine Wahl.
Warum haben die Grünen vor die Volksabstimmung Abzuschaffen?
Mit freundlichen Grüßen
Ina Lemke
Sehr geehrte Frau Lemke,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage zu unserer Parteiposition beim Thema direkte Demokratie (Volksabstimmungen).
Im Rahmen unserer parteiinternen Diskussionen zu unserem neuen Grundsatzprogramm haben wir GRÜNE sehr ausführlich und lange über dieses Thema debattiert. Grundsätzlich stehen wir direkter Demokratie in Form von Volksabstimmungen nicht ablehnend gegenüber. Als basisdemokratische Partei fordern wir GRÜNE seit geraumer Zeit, Instrumente direkter Demokratie für mehr Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger in politischen Entscheidungsprozessen zu etablieren. Dieser Grundsatz ist auch erneut in unserem Grundsatzprogramm bekräftigt und verankert worden.
Wir haben uns als Partei dafür entschieden, dass für uns direkte Demokratie in Form von Bürger:innen-Räten deutlich besser verwirklicht wird, um Mitbestimmung von Bürgerinnen und Bürgern zu gewährleisten. Mit diesen soll die Möglichkeit geschaffen werden, bei ausgewählten Themen die Alltagsexpertise von zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern noch direkter in die Gesetzgebung einfließen zu lassen. Bürger:innen-Räte können nach unserer Vorstellung auf Initiative der Regierung, des Parlaments oder als Bürgerbegehren, also von unten aus der Bevölkerung heraus zu einer konkreten Fragestellung eingesetzt werden. Das soll auch auf Bundesebene möglich sein.
Wir halten diese Form der direkten Beteiligung am politischen Aushandlungsprozess in Zeiten starker Polarisierung und gesellschaftlicher Pluralisierung für ein passendes Instrument, um unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen wieder miteinander ins direkte Gespräch zu bringen. Denn nur so kann eine gemeinsame Idee für die Zukunft dieses Landes entwickelt werden, nur im Austausch von Argumenten und Perspektiven kann in einer zersplitterten Gesellschaft Zusammenhalt gesichert werden. Umso mehr gilt das in einer Situation, in der wir sehen, dass Institutionen verknöchern und dass das Pflegen von Privilegien und soziale Selektivität leider zur Zustandsbeschreibung unserer Demokratie gehört.
Um die gesellschaftlichen Gräben zu verringern und die Demokratie zu verbessern, brauchen wir demokratische Strukturen, in denen die Bürgerinnen und Bürger sich beraten und einbringen können. Menschen, die sonst nie wirklich miteinander sprechen, müssen sich hier auf die Argumente der anderen einlassen. In einer Gesellschaft, die sich immer mehr in verschiedene Gruppen mit ihren eigenen Filterblasen zerteilt, stellen Bürger:innen-Räte ein Gegengewicht dar. Die Erfahrungen aus Bürger:innen-Räten weltweit zeigen, dass auf diese Weise gegenseitige Verständigung und gegenseitiger Respekt entstehen. Menschen, die an Bürger:innen-Räten teilgenommen haben, interessieren sich danach verstärkt für politische Fragen oder beginnen, sich selbst zu engagieren. Gerade, wenn es um Fragen geht, die die Gesellschaft spalten, wie etwa bei der Aufnahme von Geflüchteten oder Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise, oder auch bei Fragen, welche die Abgeordneten unmittelbar selber betreffen, etwa der Altersversorgung.
Parlamente brauchen eine größere Offenheit und bessere, vielfältigere Beratung, auch abseits von Lobbyismus und einer kleinen Gruppe von Expertinnen und Experten, sondern von dort, wo das (Zusammen-)Leben stattfindet. Bürger:innen-Räte politisieren die Beratung von Entscheidungsträger:innen. Das erhöht auch die Legitimation dieser Beratung, denn sie ist transparent und in eine breitere gesellschaftliche Debatte eingebettet.
Gute Aushandlungen über politische Fragen können dann entstehen, wenn sichergestellt wird, dass Menschen sich frei, gleich und fair eine Meinung bilden können, unbeeinflusst von Lobbyinteressen. Nicht als Konkurrenz zum Parlament, sondern als Ergänzung und Stärkung. Bürger:innen-Räte haben auch den Vorteil, dass wir mit ihnen dem Repräsentationsdefizit unseres politischen Systems begegnen können. Bei der Auswahl der Zufallsbürgerinnen und Zufallsbürgern kann auf die repräsentative Verteilung etwa von Frauen oder Minderheiten geachtet werden und so garantiert werden, dass alle Stimmen gleichberechtigt und repräsentativ gehört werden. Im Bürger:innen-Rat soll die Gesellschaft in ihrer Breite und Vielfalt weitestgehend repräsentativ abgebildet sein und jeder Mensch in Deutschland die gleiche Chance haben, Teil des Rates zu werden.
Mit den Bürger:innen-Räten entstehen öffentliche Debatten aus unterschiedlichsten Perspektiven, mehr Repräsentanz gesellschaftlicher Gruppen, neue Ideen, ernsthafte Gespräche und gemeinschaftsorientierte Diskussionen. Menschen erhalten plötzlich die Gelegenheit, wirklich zu gestalten und mitzuentscheiden. Es geht um den Austausch von Argumenten, um Zuhören, sich einlassen. Hass, Hetze, Lügen und Stammtisch-Parolen treten erfahrungsgemäß in den Hintergrund und verschwinden ganz, wenn es um konstruktiven Dialog geht.
All dies sind für uns GRÜNE gute Gründe direkte Demokratie in dieser Form zu unterstützen.
Hoffentlich konnte ich Ihnen unsere Position damit etwas näherbringen.
Mit freundlichen Grüßen
Sven Lehmann