Wie stehen Sie zu der Forderung (Ihrer eigenen Basis) nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen? Ist Arbeit nur bezahlte Arbeit? Ist jede bezahlte Arbeit gut und sinnvoll (Stichwort "Bullshit Jobs")?
Sg. Frau Ferschl,
im September 2022 ergab ein Mitgliederentscheid der LINKEN, dass eine Mehrheit die Aufnahme der Forderung nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen ins Programm Ihrer Partei will (https://www.die-linke.de/start/presse/detail/ergebnis-mitglieder-treffen-entscheidung-zum-bedingungslosen-grundeinkommen/).
Am 2.2.2021 schreiben Sie hier auf Abgeordnetenwatch "Für mich und meine Partei ist ganz wichtig, dass niemand "durchs Raster fällt" wie Sie es nennen."
In einem Artikel von heute (2.11.2023) in der Frankfurter Rundschau jedoch singen Sie - wie Ihr Kollege von der CSU - das Hohe Lied der Arbeit (https://www.fr.de/wirtschaft/armut-ist-ein-wachsendes-risiko-fuer-die-demokratie-92651322.html) - alle Menschen sollen "von ihrer Hände Arbeit leben können", obwohl nicht alle Menschen Erwerbsarbeit machen können und wollen. Darf also Soziale Sicherheit von "Arbeit" abhängen - während es so viel unbezahlte, gesellschaftlich notwendige Arbeit gibt?
MfG
Eric M.
Sehr geehrter Herr M.,
die Entscheidung, das BGE ins das Programm der LINKEN aufzunehmen, war äußerst knapp und bleibt umstritten. Ich selbst spreche mich gegen eine Aufnahme in unser Programm aus. Ich möchte das gern kurz darlegen: Es gehört selbstverständlich zur DNA einer linken Partei, dafür zu sorgen, dass kein Mensch durchs soziale Raster fällt.
Insbesondere infolge der Agenda 2010-Reform wurde das soziale Netz löchrig und viele Menschen stürzten in die Armut. Dies vor allem deshalb, weil die sozialen Sicherungssysteme erheblich geschwächt wurden: die Arbeitslosenhilfe wurde gestrichen und durch Hartz IV (jetzt Bürgergeld) ersetzt, in der Renten- sowie Krankenversicherung wurden die Leistungen erheblich gekürzt. Das wiederum schwächt die Stabilität und das Vertrauen in die Sozialversicherungssysteme. Vor dem Hintergrund wachsender Armutslagen quer durch alle Bevölkerungsschichten, klingt ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) in den Ohren vieler Menschen daher nach einer guten Lösung. Ich denke aber, dass ein BGE weder gerecht ist, noch die hohen Erwartungen nach der Herstellung sozialer Gerechtigkeit erfüllen kann. Es ist nicht gerecht, unabhängig von der Bedürftigkeit, allen Menschen die gleiche, einheitliche Leistung auszuzahlen - erst recht dann nicht, wenn sie knapp bemessen ist. Denn unterschiedliche Belastungen, machen unterschiedliche Leistungen notwendig. Nicht umsonst richtete sich eine Hauptkritik gegen Hartz IV lange Zeit gegen die Pauschalierung der Leistungen. Die Regierung stand auf dem Standpunkt, dass eine einheitliche Leistung die Eigenverantwortung stärke, weil jeder selbst entscheiden könne, wofür das Geld aufgewendet werde. Aber das ist Augenwischerei, denn die Entscheidung besteht höchstens darin, bei einer zu kurzen Decke zu entscheiden, ob man am Oberkörper oder an den Füßen frieren möchte. Diese Gefahr besteht bei der Einführung eines BGE erneut, denn ich wüsste nicht, dass es in den Regierungsparteien oder innerhalb der CDU/CSU ein Interesse an Armutsbekämpfung gibt - sehr wohl aber gibt es ein Interesse den Sozialstaat zu verstümmeln. Gerade im Zuge der Haushaltsdebatte ist das überall nachzulesen. Für mich steht daher fest: Wir müssen den Sozialstaat schützen und seine Sicherungssysteme ausbauen. Dazu gehört für mich, dass die Leistungen der paritätisch finanzierten Sozialversicherungssysteme (Arbeitslosigkeit, Rente, Gesundheit, Pflege) ebenso ausgebaut und zukunftsfähig aufgestellt werden, wie das Menschen durch eine steuerfinanzierte sanktionsfreie Mindestsicherung selbstverständlich wirksam vor Armut und den Gängelungen der Behörden geschützt werden.
Ich hoffe, Sie können meine Argumente nachvollziehen.
Ich verbleibe mit freundlichen Grüßen
Susanne Ferschl, MdB
Stellv. Fraktionsvorsitzende & Leiterin des Arbeitskreises Arbeit, Soziales und Gesundheit der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag