Warum fordern Sie den Stopp der Förderung des Kulturzentrums Oyoun in Neukölln?
Hallo Frau Kahlefeld,
das Oyoun ist ein Kulturinstitut aus der migrantisch feministischen Perspektive. Hier finden vor allem in der Gesellschaft marginalisierte und diskriminierte Menschen Platz. Es ist eine wichtige Institution, da sie den öffentlichen Diskurs bereichert und somit für eine demokratische und pluralistische Gesellschaft beiträgt. Warum dürfen Initiativen wie die "Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost" keinen Raum, keine Stimme haben? Heute wie vor 20 Jahren müssen Jüdinnen und Juden in Deutschland dafür kämpfen, dass ihre Stimme für Frieden und Menschenrechte gehört wird. Zum Teil auch gegen den deutschen Staat, der auf der Straße Proteste erstickt und in seinen Verwaltungsbüros Solidaritätsveranstaltungen verhindert.
Wie kommen Sie darauf, Juden und Jüdinnen die ihrer Trauer Raum geben wollen und für den sofortigen Stopp der Gewalt sind, als antisemitisch zu bezeichnen?
Sehr geehrte Frau K.,
ich mache es mir etwas einfacher und beziehe mich hier nur auf Sachverhalte, die presseöffentlich sind:
Zwei Unternehmerinnen (https://weddingweiser.de/das-bekech-verlaesst-den-wedding/?fbclid=IwAR3SlGZqpFl_s-PTB9rax_MHGr_5LDtMysUqjbKxIlXYVM8vjdc8hOHJOq4) übernehmen als Teil eins fünfköpfigen Team eine öffentlich finanzierte und damit gewissen Standards verpflichtete öffentlich geförderte Kultureinrichtung. Sie überwerfen sich dann erst mal mit den drei anderen Teammitgliedern, darunter zwei Schwarze Deutsche, deren Beitrag maßgeblich dazu beigetragen hatte, die Ausschreibung für den Kulturstandort zu gewinnen. Ein Beitrag und Profil, das der ehemaligen Werkstatt der Kulturen seitdem fehlt (https://taz.de/Nachfolger-der-Werkstatt-der-Kulturen/!5667538/). Eigentlich hatten die Verbliebenen einen fairen Umgang mit den übernommenen Mitarbeiter:innen zugesagt – wollten davon im Nachgang aber nichts mehr wissen . Wir wollen und erwarten faire Arbeitsbedingungen in den Einrichtungen, die öffentliche Gelder bekommen. Damit ist klar, wessen Haltung ich hier teile.
Das gilt auch für die aktuelle Diskussion. Anknüpfend an frühere Vorfälle, wie der Vorfall mit Rasmea Odeh (https://taz.de/Aeusserungsverbot-fuer-Palaestinenserin/!5581627/) kommen im Oyoun nur solche "Jüdische Stimmen" zu Wort, die ins eigene politische Weltbild passen. Wer nicht passt, wird vom Sicherheitsdienst des Hauses verwiesen (https://www.bz-berlin.de/berlin/kultursenator-lederer-will-aufklaerung-in-antisemitismus-fall?fbclid=IwAR18q0iZn_13v1Y6L6Nk1AgGWaOEJ-5QfUvDAsDIVFsavdMyAxydOl6C1hM). - Auf ihrer Seite verlinken die Betreiberinnen nun ein Statement, in dem das Massaker der Hamas vom 7.10.2023 als "Gefangenenausbruch" bezeichnet wird. An Zynismus und Herzenskälte ist das nicht zu überbieten. Damit werden politische Gegner zu gehassten Feinden. (https://www.juedische-stimme.de/stellungnahme-zum-aktuellen-gaza-krieg-und-der-gewalteskalation-in-israel) Auch in ihrer eigenen Stellungnahme „schafft“ es Oyoun, sich mit anderthalb Sätzen von Antisemitismus und der Hamas zu distanzieren – um in drei Absätzen die israelischen Verbrechen in Palästina zu geißeln. Hinzu kommen wilde Verschwörungstheorien über eine angebliche Zensur durch die Kulturverwaltung. (https://www.jungewelt.de/artikel/462517.repression-gegen-kulturzentrum-das-k%C3%A4me-einem-dammbruch-gleich.html?fbclid=IwAR0J7EVih_rCSlkI3bOK8_cVcMJP5xmbLeY8TYnwtBEGFBXbRRt4AqYP8Wk)
Alles das spaltet und es vergiftet das Zusammenleben, statt Diskursräume und Räume für Mitgefühl zu öffnen. Warum sollten öffentlichen Gelder ausgerechnet solchen Trägern und Veranstalter:innen zugute kommen, erst recht wenn deren Arbeit die demokratischen und zuwendungsrechtlichen Standards in unserer Stadt unterlaufen? (https://www.berlin.de/sen/lads/schwerpunkte/rechtsextremismus-rassismus-antisemitismus/landesprogramm/) – Mittel soll und muss es geben für Kunst und Kultur, die im Sinne des Grundgesetzes frei sind, für Neues und Altes, „Zugewandertes“ und „Eingebürgertes“, Kritik, Aufklärung oder Aufrüttelndes. Für Leute, die sich dem Diskurs stellen und ihn klug moderieren, statt Platzverweise zu erteilen (buchstäblich und verbal) und ausgrenzen. Niemand stellt eine Kultureinrichtung in der öffentlichen(!) Liegenschaft in Neuköllns Lucy-Lameck-Straße in Frage. Frag- und kritikwürdig ist vielmehr das, was die beiden gegenwärtigen Betreiberinnen aus dem Ort gemacht haben und verantworten müssen.
Mit freundlichen Grüßen,
Susanna Kahlefeld