Frage an Susanna Kahlefeld von Jörg E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Dr. Kahlefeld,
ich habe durch die Medien erfahren, dass die East-Side-Gallery teilweise abgebaut wird, weil dort eine Bebauung am Ufer stattfinden soll. Vor einigen Jahren war hierzu ein erfolgreicher Bürgerentscheid erwirkt worden, der eine Bebauung in diesem Bereich nicht vorsieht. Mir ist bekannt, dass ein Bürgerentscheid auf Bezirksebene keine Verbindlichkeit für die Politik hat. Dennoch ist es unerträglich, dass bei einem so klaren Votum der Bürgerwille nicht respektiert wird. Was gedenken Sie dagegen zu tun?
Die Bürgerentscheide in Berlin kosten viele Steuergelder. Daher ist es nur sinnvoll, den Bürgerentscheiden auch eine politische Durchsetzungskraft zu verleihen. Das wäre echte Demokratie und nicht wie hier eine einfache "Bürgerbefragung" ohne politische Konsequenz. Eine Befragung wäre zudem auch preiswerter zu haben. Wie stehen Sie dazu, eine Verbindlichkeit der Bürgerentscheide auf Bezirksebene gesetzlich zu verankern?
Ich habe Ihnen bereits eine Mail über die Seite des Abgeordnetenhauses gesendet und habe mich gewundert, dass Sie mir bisher nicht geantwortet haben. Ich habe zur Zeit des Bürgerentscheides in Kreuzberg gewohnt. Jetzt sind sie im Bezirk Neukölln jedoch meine Vertretung im Berliner Parlament.
Vielen Dank für Ihre Mühe!
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Eisenbarth,
danke für Ihre Email. Warum die erste nicht bei mir angekommen ist, weiß ich leider auch nicht. Aber über Abgeordnetenwatch hat es ja jetzt geklappt. Das Problem mit der Bebauung der East-Side-Gallery liegt nicht darin, dass der Bürgerentscheid im Bezirk nicht ernst genommen worden wäre, sondern darin, dass der Senat den Bezirk mit bau-rechlichen Vorgaben und mit der Weigerung über Ersatzgrundstücke zu reden, in die jetzt bestehende Situation hineingezwungen hat.
Franz Schulz hat das in der Kulturausschussitzung am 11.3.13 noch einmal klar dargestellt. Ich gebe Ihnen lieber den Link zum Protokoll dieser Sitzung, als das jetzt vereinfachend zusammen zu fassen ( http://www.parlament-berlin.de/ados/17/Kult/protokoll/k17-020-ip.pdf ) - ein Wortprotokoll kommt noch.
Eine gute Chronologie der ganzen Geschichte finden Sie auch auf der Seite der Kreuzberger Grünen: http://www.frieke.de/
Sie können da Schritt für Schritt sehen, dass der Bezirk versucht hat, den Bürger_innenwillen umzusetzen. Das ist an der Senatsverwaltung gescheitert, die das Ergebnis des Entscheids für sich nicht als verbindlich betrachtet und dagegen gearbeitet hat.
Wir sehen, dass auch in Neukölln der klar artikulierte Bürger_innenwille vom Senat ignoriert wird: Das Tempelhofer Feld wird weiter verplant, obwohl wir auch hier einen Bürgerentscheid bekommen werden. Der Senat blockiert den Start der Unterschriftensammlung und legt statt dessen seine Pläne für das Feld vor. Ich weiß nicht, wo Sie in Neukölln wohnen, aber im Schillerkiez können Sie bei den Treffen der Initiative und auf Veranstaltungen zu allen möglichen Themen die enorme Unzufriedenheit der Bürger_innen mit dieser Ignoranz erleben.
Was eine größerer Verbindlichkeit von Volksbegehren angeht, so bin ich trotzdem skeptisch: Ein Volksbegehren umzusetzen sollte nicht ganz der politischen Kompromissfindung entzogen werden. Es ist immer wichtig, die Wünsche der direkt Betroffenen mit dem Gesamtinteresse der Stadt in ein Verhältnis zu setzen. Das heißt nicht, dass man Abstriche macht, aber, es verändert die politische Diskussion. Für uns Grüne haben Bürgerentscheide eine hohe Verbindlichkeit und wir fühlen uns gebunden - so auch Franz Schulz in Kreuzberg. Er hat mit allen Mitteln (Planungsrecht, Grundstückserwerb ...) versucht, die East-Side-Gallery zu erhalten. Ich würde das von den anderen Parteien auch verlangen! - Übergens ist in diesem Fall auch ganz klar geworden, dass es ein weit über Friedrichshain und Kreuzberg hinausgehendes Interesse am Erhalt der Mauer gibt. Ich sehe das im Fall des Tempelhofer FEldes auch so: Vom Erhalt profitierten nicht nur die angrenzenden Bezirke.
Also: Verbindlichkeit der Entscheide ja, aber nicht unbedingt gesetzlich (das reicht sowieso nicht), sondern vor allem ein anderer Politikstil. Vielleicht sehen wir uns, wenn es endlich losgeht mit dem Volksbegehren zum Tempelhofer Feld - dann werde ich wieder auf der Straße stehen und Unterschriften sammeln.
Mit den besten Grüßen,
Susanna Kahlefeld