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Stephan Jersch
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Frage von Anja S. •

In Bergedorf wird die Funktechnik gerade rasant ausgebaut obwohl es noch keine Studien zu Langzeitwirkungen gibt. Wie wollen Sie die Risikogruppen schützen und wie kann sich jeder Einzelne schützen?

Die Langzeitfolgen der EMF sind noch nicht geklärt (www.bfs.de/DE/themen/emf/hff/wirkung/hff-diskutiert/hff-diskutiert.html). Das BfS fordert eine vorsorgliche Verringerung der indiv. Belastung und eine umfassende Information der Bevölkerung (www.bfs.de/DE/themen/emf/hff/wirkung/iarc/iarc.html). Das BAFU (Schweiz) schreibt deutlich, dass es biologische Folgen der Funkstrahlung gibt (bafu/gesundheitliche Auswirkungen von HF). Der EPRS des Europäischen Parlaments weist klar darauf hin, dass 5G die Gesundheit beeinträchtigen würde (Briefing 02/2020). Das BfS schreibt, ganz besonders wichtig ist die Minimierung der Strahlenbelastung für Kinder (www.bfs.de/DE/themen/emf/kompetenzzentrum/mobilfunk/schutz/empfehlungen-handy.html).
Dennoch wird mit 5G und mySMARTLife die EMF-Exposition gerade rasant erhöht. Außen und auch in den Wohn-/Aufenthaltsräumen. Ich selbst reagiere bereits empfindlich auf EMF (meine Endgeräte nutze ich nur noch kabelgebunden). Welche Schutzmöglichkeiten wird es geben?

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Sehr geehrte Frau Sc.

Ihre Frage bezieht sich auf einen schwierig abzuwägenden Interessenkreis. Dabei muss ich mich auf die Erkenntnisse der Wissenschaft (und hier der deutlich überwiegenden Einschätzungen) einerseits, auf die Möglichkeit der gesellschaftlichen Teilhabe, auch über digitale Medien und auf das Recht auf körperliche Unversehrtheit andererseits beziehen.

Grundsätzlich ist es geboten Strahlenbelastung so gering wie möglich zu halten. So würde ich z. B. den parallelen Betrieb mehrerer verschiedener Funk- oder Mobilfunkstandards kritisch sehen. Die Abschaltung von 3G ist hier eine gute Maßnahme. Gleichzeitig ist zu beklagen, dass die kabelgebundenen Netze, die ja für einen stationären Einsatz leistungsfähiger sind, durch die Privatisierung der Infrastruktur unter einen hohen Profitdruck geraten sind. Der Ausbau wird nur noch mit staatlichen Subventionen fortgetrieben. Leider hat der rot-grüne Senat bei den Versorgungslücken viel zu schnell auf den Ersatz von Kabelanschlüssen durch Funkanschlüsse gesetzt. Mittlerweile gibt es aber wieder einzelne Ausvorhaben. Trotzdem kann ich aus meiner Erfahrung im Bezirk nicht bestätigen, dass es hier zu einem rasanten Ausbau von Mobilfunkinfrastruktur gekommen ist. Vielmehr wird ja gerade eine private Lösung mit Funkrichtstrahlen zur Anbindung an das Datennetz realisiert.

Unter Beachtung aller Empfehlungen und europäischer Erfahrungen muss ich den Ausbau des 5G-Netzes in meiner Einschätzung differenziert beurteilen. Die derzeit vergebenen Frequenzen sind erprobt, im Einsatz oder liegen in benachbarten Frequenzbereichen bereits genutzter Frequenzen. Diesen Ausbau von 5G begrüße ich und halte ihn für die Digitalisierung für einen wichtigen Beitrag. Die Nutzung der perspektivisch vorgesehenen deutlich höheren Frequenzbänder halte ich derzeit nicht für vertretbar. Im Gegensatz zu den derzeit vergebenen Frequenzen halte ich hier die Grenzwerte und die Auswirkungen für nicht genügend untersucht und bin da weitgehend bei der Einschätzung des BfA. Für die vergebenen 5G-Frequenzen erwarte ich Realisierungen auf dem Stand der Technik, mit kleinen, sendeschwachen und damit strahlungsarmen Funkzellen. Eine Realisierung auf Basis der 4G-Funkzellen würde die strahlungsarme Umsetzung von 5G sabotieren.

Da digitale Infrastruktur ein Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge ist wollen wir den Netzausbau in staatliche Hände legen. Die Privatisierung des Kabelnetzes hat zu Entwicklungsdefiziten in der digitalen Infrastruktur geführt. Das Nebeneinander verschiedenster Mobilfunknetze und -standards betrachten wir ebenfalls kritisch und setzen uns für ein einziges öffentlich betriebenes Mobilfunknetz ein. Schon das könnte die Strahlungsmenge weiter begrenzen.

Die strengeren Strahlungsgrenzwerte die es in der Schweiz (an sog. Orten mit empfindlicher Nutzung) gibt, könnten auch für die EU als Vorlage dienen. Über eine Verschärfung dieser lokalen Grenzwerte sollte man sicher sprechen. Allerdings wird auch in der Schweiz dieser strenge Grenzwert nicht medizinisch oder biologisch begründet, sondern an technischen Kriterien festgemacht.

Ich würde auch unterscheiden zwischen 5G (dazu hatte ich zuvor bereits etwas geschrieben) als Technik und mySMARTLife als Nutzungsbeispiel von drahtloser Technik. Zweifelsohne wird der technische Fortschritt, die Notwendigkeit zur Humanisierung der Arbeitswelt und auch die steigenden Ansprüche an den Bildungsbereich, dazu führen, dass drahtlose Verbindungstechnik einen immer größeren Bereich in unserem Leben einnehmen wird. Wir setzen uns für eine flächendeckende WLAN-Versorgung ein. Die immer breitere Anwendung der Nutzung von Funktechnologien macht eine Diskussion über Grenzwerte für bisher noch nicht genutzte Frequenzen zu denen es nicht genügend Erfahrung gibt, umso wichtiger und es muss auch Ziel sein, die Erfahrungen bereits genutzter Frequenzen zu evaluieren.

Dies wäre auch mein Weg zu den von Ihnen angesprochenen Schutzmöglichkeiten. Die Grenzwerte sind hier, unter Berücksichtigung der sonstigen Strahlungsquellen, für mich der einzig machbare Weg.

Da mich die Debatte um die Einführung von 5G in der letzten Legislaturperiode ein Stück weit mit Beschlag belegt hat, bin ich ein klein wenig im Thema, verfolge es aber nicht auf tagesaktueller Basis. Trotzdem bin ich der Überzeugung, dass die derzeit genutzten Frequenzen sicher sind. Eine Diskussion über Grenzwerte auf europäischer Ebene halte ich für dringend geboten – gerade was bisher ungenutzte Frequenzen angeht. Und in Bezug auf den aktuell stattfindenden Ausbau des 5G-Netzes ist es wichtig die Vorteile der kleinen und strahlungsarmen Funkzellen zu nutzen.

Gerne können Sie mir Ihre Anregungen und Vorstellungen zukommen lassen.

Mit freundlichen Grüßen

Stephan Jersch

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