Frage an Stephan Jersch von Anja T. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Jersch,
auf der Tourismus-Homepage der Stadt Hamburg wird so die Herbertstraße beschrieben:
„Vor neugierigen Blicken geschützt, gibt es hier käufliche Liebe. Der Zutritt ist nur für Männer über 18 Jahren erlaubt: Die berühmt-berüchtigte Herbertstraße in Hamburg.
Die etwa 60 Meter lange Gasse, die vor den Blicken Neugieriger durch Tore geschützt wird, gehört zum alten Mythos St. Pauli. Hier gibt es die käufliche Liebe seit dem 19. Jahrhundert. Und nur Männern über 18 Jahren wird Zutritt gewährt. Frauen sollten es erst gar nicht wagen, dort hinein zu wollen - sie erwarten Beschimpfungen, faule Eier, kalte Duschen oder mit Urin gefüllte Eimer.“
https://www.hamburg-tourism.de/sehen-erleben/sehenswuerdigkeiten/herbertstrasse/
Halten Sie diese Werbung für angebracht und zeitgemäß?
Können sie mir sagen, wodurch es legitimiert ist, dass eine Straße der Stadt Hamburg ein jugendgefährdender Ort ist von dem auch Frauen ausgeschlossen sind?
Wurden die Tore und Beschilderungen, die „vor neugierigen Blicken schützten“, von der Stadt angebracht? Zum Schutz der Sexarbeiterinnen? Wenn ja, warum nur dort?
Im Wahlprogramm der Linken heißt es:
„…DIE LINKE versteht sich als Partei mit sozialistischem und feministischem Anspruch… Alle politischen Entscheidungen und Vorschläge müssen systematisch danach beurteilt werden, welche Auswirkungen sie auf Frauen und auf Männer haben…“
Gibt es außer der Herbertstraße weitere Straßen, die nicht an einer Stadtentwicklung, im Sinne ihres Wahlprogramms, teilhaben?
Wie stehen Sie zu den bisherigen Protesten von Anwohner*innen und Feminist*innen?
Vielen Dank im Voraus für Ihre Antworten
Anja Twest
Sehr geehrte Frau T.,
herzlichen Dank für Ihre Frage und die Möglichkeit darauf zu antworten,
auch wenn es keine einfache Antwort ist. Hamburg Tourismus ist daran
gelegen den verruchten Ruf der Reeperbahn für sein Marketing zu nutzen.
Das ist etwas, was in einer weltoffenen Stadt wie Hamburg, nicht ohne
Widerspruch bleibt und sicherlich nicht dem selbst gewählten Image der
Stadt zuträglich ist. Die Herbertstraße ist öffentlicher Raum und muss
damit prinzpiell auch zugänglich für alle Menschen sein, zumindest, wenn
sie über 18 Jahre alt sind. Der jetzige Zustand ist natürlich klar
frauenfeindlich. Auf der anderen Seite muss ich aber auch zur Kenntnis
nehmen, dass diese Aufforderung an Frauen, die Strasse nicht zu nutzen,
ein Wunsch der dort arbeitenden Sexarbeiterinnen ist, die dies als
Schutz für sich wünschen, vielleicht auch als befördernd für ihr
Geschäft. Andere Argumente, wie die 'öffentliche Sicherheit und Ordnung'
kann ich hier nicht aktzeptieren. In diesem Zusammenhang sind mir aber
auch noch keine Anwohner*innenproteste bekannt, mit Ausnahme der
Femen-Aktion zum ínternationalen Frauentag. Diese Aktion, über die Köpfe
der dort arbeitenden Sexarbeiterinnen hinweg, halte ich für nicht
unproblematisch.
Eine schnelle Lösung zwischen dem Wunsch der dort arbeitenden Frauen und
dem Recht der Öffentlichkeit auf Zugang, unabhängig vom Geschlecht, ist
schwierig, da ich beide Positionen aus meinem politischen
Selbstverständnis heraus akzeptieren muss. Es könnte zielführend sein,
wenn sich Anwohner*innen mit ihrem Wunsch auf Zugänglichkeit der Strasse
für alle Geschlechter an die Öffentlichkeit wenden würden um in einen
Dialogprozess mit den dort arbeitenden Sexarbeiterinnen, Polizei und
Politik einzutreten. Eine zeitgemäße Lösung der Situation ist nach
meinem Verständnis jedenfalls nur in einem multilateralen
Diskussionsprozess möglich. Die Werbung von Hamburg Tourismus sehe ich
unabhängig davon und würde mich in der nächsten Legiuslaturperiode für
eine Korrektur der Werbung einsetzen.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Jersch