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Stephan Beyer
FÜR VOLKSENTSCHEIDE
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Frage von Oliver K. •

Frage an Stephan Beyer von Oliver K. bezüglich Verbraucherschutz

Sehr geehrter Herr Beyer,

Sie treten als Direktkandidat der Wählergruppe FÜR VOLKSENTSCHEIDE an. Schwebt Ihnen da die Schweiz mit ihren zahlreichen Volksentscheiden vor? Und ist in der ungleich größeren BRD eigentlich das Instrument "Volksentscheid" praktikabel? Ferner, glauben Sie, dass durch Volksentscheide der allgemeinen Politikverdrossenheit und immer niedrigen Wahlbeteiligungen entgegen gewirkt werden kann?

Mit freundlichen Grüßen,

Oliver Kröning

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FÜR VOLKSENTSCHEIDE

Sehr geehrter Herr Kröning,

die Schweiz ist fürwahr ein demokratisches Musterland, was aber nicht nur auf die dortigen Volksentscheide zurückzuführen ist, sondern auch auf konkordanzdemokratische Züge. Hier fließen die Vorteile des Verhältniswahlrechts auch tatsächlich in die Regierung ein und somit bleiben viele Wähler nach der Wahl nicht unberücksichtigt. Aber das war nicht Ihre Frage und da ich kein Schweiz-Fachmann bin, müsste ich auch auf andere Quellen (bspw. http://de.wikipedia.org/wiki/Konkordanzdemokratie ) verweisen, wenn Sie hier mehr wissen wollten.

Also zu Ihren Fragen:

1.
In Ihrer ersten Frage reden Sie von "zahlreichen Volksentscheiden" in der Schweiz. Da "zahlreich" ein weiter Begriff ist, muss ich kurz darstellen, was das heißt. In jedem Jahresquartal gibt es maximal einen Abstimmungstermin, d.h. man muss nicht jede Woche zum Stimmlokal rennen.
Im Jahr 2008 fanden zehn Volksentscheide (auf Bundesebene) an drei Terminen statt. Themen waren u.A. Steuergesetzgebung, Krankenversicherungen, Rentenalter, Betäubungsmittelgesetz, Strafrecht und Demokratie. Von den zehn zur Abstimmung stehenden Gesetzen, kamen acht aus dem Volk (Volksinitiative) und zwei waren Referenden.
Zusätzlich zu den Volksentscheiden auf Bundesebene kann es noch Volksentscheide auf Kanton-(*) und Gemeinde-Ebene geben. Auf Gemeinde-Ebene ist interessant, dass die meisten Gemeinden kein Parlament (also Gemeinde- bzw. Stadtrat bei uns) haben, sondern direktdemokratisch in der Gemeindeversammlung arbeiten.

Diese starken Beteiligungsmöglichkeiten mögen so manchem Deutschen fremd und unsinning vorkommen. Wir sind es gewohnt, nur alle paar Jahre unsere Stimme Personen bzw. Parteien zu geben und dann nichts mehr zu sagen zu haben. Aber die Volksrechte in der Schweiz gibt es seit über 100 Jahren und die Schweiz ist seit 1848 ein stabiler Bundesstaat.
In Deutschland müsste sich eine demokratische Beteiligungsmentalität erst entwickeln. Ich weiß nicht, ob es gut wäre, wenn im Jahr 2011 gleich zehn Volksentscheide auf Bundesebene stattfänden. Die Hürden müssen also so gestaltet sein, dass nicht jedes kleine individuelle Problemchen vom Volk entschieden werden muss, aber dass dort, wo das Volk es unbedingt für notwendig erachtet, ein Volksentscheid möglich ist.
Sei es unser Steuersystem oder das Gesundheitssystem, seien es Auslandseinsätze oder das Sozialsystem, seien es unzählige Subventionen oder Demokratiethemen; Baustellen gibt es viele in Deutschland. Gibt man den Bürgern ein Recht, das viel Verantwortung mitsichbringt, dann lernen die Bürger damit auch verantwortungsvoll umzugehen. Ein Richtig und ein Falsch gibt es in der Politik ja nur sehr selten, wenn überhaupt.
Wieviele Volksentscheide es werden, hängt also maßgeblich von den Problemen in diesem Land ab und wie die Bürger mit den neuen Möglichkeiten umgehen werden.

(*) Die Kantone (auch "Stände" genannt) der Schweiz sind vergleichbar mit unseren Bundesländern.

2.
Sie fragen weiterhin nach der Durchführbarkeit von Volksentscheiden. Garkeine Bedenken habe ich bei der Durchführbarkeit der Abstimmung an sich. Diese unterscheidet sich kaum von Wahlen.
Aber bei dem, was vor der Abstimmung kommt, muss man die Hürden richtig ansetzen. In der Weimarer Republik beispielsweise waren die Hürden so hoch(**), dass es nie zu einem erfolgreichen Volksentscheid kam.

Nun rechnen wir mal vom Beispiel Schweiz ausgehend die Hürden für eine Volksgesetzgebung durch. Die Schweiz hat rund 4,9 Millionen Stimmbürger. Binnen 18 Monaten müssen von 100.000 Stimmberechtigten Unterschriften gesammelt werden, das sind rund 2 %. Setzt man das auf Deutschland mit 62,2 Millionen Stimmberechtigten um, so kommt man auf 1,27 Millionen benötigte Unterschriften.(***)
Hier ist aber noch ein wichtiger Unterschied zu beachten: die Schweiz hat eine zweistufige Volksgesetzgebung. Für die Bundesrepublik Deutschland, wie auch für die einzelnen Bundesländer, wird aber von eigentlich allen Initiativen eine dreistufige Volksgesetzgebung aus den Stufen Volksinitiative, Volksbegehren und letztendlich Volksentscheid gefordert.
Bei der Volksinitiative wären bspw. nur ein Zehntel der Unterschriften, also nach obiger Rechnung rund 127.000, benötigt und dann kann der Gesetzesentwurf dem Parlament vorgelegt werden, welches sich damit befassen muss und darüber entscheidet. In diesem parlamentarischen Prozess sollten auch Kompromisse und Anpassungen möglich sein, die aber mit dem Antragsteller abgestimmt werden müssen. Wird der Gesetzesentwurf abgelehnt, so kann für das Anliegen mit einem Volksbegehren weitergekämpft werden. Spätestens hier sollten sich übrigens die herkömmlichen Medien einschalten.(****) Übernimmt der Deutsche Bundestag den Gesetzentwurf nicht unverändert, so kommt es zum Volksentscheid, bei dem der Bundestag auch einen Alternativvorschlag zur Abstimmung stellen kann. In der Schweiz ist hier übrigens auch ein doppeltes Ja möglich.

Ich denke, dieses dreistufige Verfahren ist praktikabel für die BRD. Ich weiß allerdings nicht, ob dieser auf dem Schweizer Beispiel basierende Exkurs sie überzeugt hat. Wenn nicht, dann fragen Sie ruhig nach.

(**) Die Weimarer Republik hatte eine zweistufige Volksgesetzgebung, bestehend aus Volksbegehren und Volksentscheid. Um einen Volksentscheid herbeizuführen waren Unterschriften von 10 % der Stimmberechtigten nötig. Um einen Volksentscheid als gültig zu erachten, mussten mehr als 50 % der Stimmberechtigten (unabhängig von der Anzahl der gültig abgegebenen Stimmen) mit Ja stimmen. Die erste Hürde wurde zweimal, die Zweite wurde kein einziges Mal geschafft.

(***) Der Verein "Mehr Demokratie e.V." sowie die Partei "Die Linke" fordern beispielsweise mindestens 1 Millionen Unterschriften in ihren Gesetzesentwürfen bei nicht-verfassungsändernden Vorhaben. Ich persönlich halte prozentuale Angaben für sinnvoller. Ich bin aber auch offen für Formulierungen wie "[...] von 5 von Tausend der Stimmberechtigten, jedoch höchstens zwei Millionen Stimmberechtigte [...]", wie man sie häufig auch im Bundeswahlgesetz findet. Falls ich tatsächlich gewählt werde, gilt es ja auch in solchen Fragen einen tragfähigen Kompromiss fraktionsübergreifend zu finden.

(****) Ausschließlich mit Polit-Werbung über das Internet kann man diese Menge nämlich meiner Ansicht nach nicht verzehnfachen. Hier braucht man Offline-Multiplikatoren. Wenn die jetzige Internet-Generation die 50 erreicht hat, sieht das vielleicht anders aus.

3.
Als letztes fragen Sie mich, ob Volksentscheide gegen die allgemeine Politikverdrossenheit und gegen die niedrigen Wahlbeteiligungen helfen. Dies ist schwierig zu beantworten, da vor allem die Frage nach der Politikverdrossenheit erst einer Analyse bedarf.

Politikverdrossenheit hat meiner Ansicht nach verschiedene Gründe. Einerseits gibt es viele Menschen, vorallem Ältere - das habe ich beim Unterschriftensammeln zumindest so erfahren - die sich von der Politik losgesagt haben, da sie gemerkt haben, dass sich nichts ändert bzw. man nichts ändern kann. Oder um es wie andere auszudrücken: "Bringt eh nix! Das ist alles eine riesige Verarsche!"
Genauso gibt es eine riesige Parteienverdrossenheit. Einerseits einen Verdruss über die etablierten Parteien, und andererseits wird von vielen Bürgern auch gesagt, dass die Kleinparteien, sobald sie sich einmal etabliert haben, genau denselben Mist machen wie die Etablierten.
An diesen Punkten können Volksentscheide tatsächlich ansetzen, auch wenn der Weg bis zum Volksentscheid kein einfacher ist. Aber: der einzelne kann etwas ändern, die Macht ist verteilt und man hat als einzelner mehr Einfluss als bei der Wahl eines Parlaments. Da es bei Volksentscheiden nur um Inhalte geht und nicht um Personen bzw. Parteien spielt der Parteienverdruss hier garnicht hinein.

Ein weiterer Grund für Politikverdrossenheit ist ein generelles Desinteresse an der Politik. Hier müssen auch Volksentscheide nichts ändern. Auch mich interessieren nicht alle Bereiche der Politik, und manche interessiert eben garkeins, solange die Grundbedürfnisse gestillt sind. Ich finde dies völlig legitim. Aber: sobald die Politik einem eigenen Bedürfnis entgegenläuft (also einem selbst betrifft), wird man politisch. Entweder hält dies nur kurz an und man resigniert, oder man bleibt am Ball und engagiert sich.

Dies ist auch eine gute Überleitung zur Wahlbeteiligung. Wer unpolitisch ist und wem es zugleich gut genug geht, der sieht vielleicht auch keinen Grund zur Wahl zu gehen. Schlimmer finde ich es, wenn jemand uninformiert einfach irgendetwas wählt, z.B. weil die Eltern es schon immer gewählt haben. Insoweit kann eine geringe Wahlbeteiligung durchaus ein Zeichen sein, dass es einem Staat gut geht.
Auf der anderen Seite steht die Gruppe der Unzufriedenen, die aber auch keine Möglichkeit sieht, die Stimme sinnvoll zu vergeben und deshalb resigniert zu Hause bleibt (oder ungültig wählt, um sich von den Unpolitischen abzusetzen).

Volksentscheide werden daran meiner Ansicht nach aber nichts signifikant ändern. Es kann aber durchaus sein, dass einer der Resignierten nicht zu einer Wahl, aber zu einem Volksentscheid geht und seine Stimme abgibt, weil er dann etwas zu sagen hat. Ebenso kann es sein, dass einer der Unpolitischen zu einer Abstimmung geht, weil er sich auf einmal betroffen sieht. Vielleicht steigert diese Abstimmung dann auch sein Interesse an Politik generell.

Eine geringe Wahlbeteiligung drückt zwar gewisse Sachen aus, aber, wie ich oben andeutete, nicht zwingend schlechte und eine hohe Wahlbeteiligung ist kein Selbstzweck, auch wenn sie legitimierender aussieht. Das Volksentscheide die Wahlbeteiligung also (meiner Ansicht nach) nicht signifikant erhöhen werden, halte ich also für weniger schlimm.

Volksentscheide können aber dafür sorgen, dass der politisch interessierte Bürger besser informiert ist. Lobbyismus findet nicht mehr im kleinen Hinterstübchen statt, sondern muss offen gegenüber dem gesamten Volk praktiziert werden. Wahlversprechen werden eine geringere Rolle spielen. Splitterparteien gründen wird unnötig; diese können als einfache Vereine politische Überzeugungsarbeit leisten, um ihre Forderungen durchzubringen.

Vielen Dank für Ihre Fragen. Falls ich trotz meiner ausführlichen Antwort Fragen offen gelassen habe oder durch meine ausführliche Antwort neue Fragen aufgeworfen habe, dann bitte ich Sie, einfach weiterzubohren.

Mit freundlichen Grüßen,
Stephan Beyer