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Stefan Schmidt
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Frage von Alfons S. •

Frage an Stefan Schmidt von Alfons S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Hallo, Warum schlägt der größte Steuerraub Europas nicht noch höhere Wellen, fragten viele, nachdem wir die CumEx-Files veröffentlicht hatten. Eine mögliche Erklärung lautet: Viele deutsche Politiker scheinen wenig Interesse an einer tiefschürfenden Debatte zu Verantwortlichkeiten und Lösungen zu haben, wie die Aktuelle Stunde im Bundestag gestern verdeutlichte.

Ist diese Feststellung zutreffend?

Mit freundlichen Grüßen
A. S.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr S.,

vielen Dank für Ihre Nachricht.

Auf grüne Initiative hin nahm im Februar 2016 der Untersuchungsausschuss zum Cum/Ex-Skandal seine Arbeit auf. Hier konnten wir aufdecken, mit welchen Strategien Steuergeld über mehr als ein Jahrzehnt von betrügerischen Finanzmarktprofis abgezweigt werden konnte und welche Fehler auf staatlicher Seite hierbei begangen wurden.

Ihre Feststellung ist demnach insofern zutreffend, als dass die Bundesregierung in der Verfolgung von Steuerbetrug und Steuervermeidung eine passive und sogar bremsende Haltung einnimmt. Die Bundesregierung hat die kriminellen Machenschaften der Cum/Ex-Banden lange nicht erkannt, auch deshalb, weil Lobbyeinflüsse direkt ins Bundesfinanzministerium durchdrangen. Dabei wäre es bitter nötig, dass Finanzminister Scholz endlich die bremse vom Fuß nimmt und die nötigen Konsequenzen aus dem Skandal zieht, um das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates und seine Institutionen wiederherzustellen.

Um auf die Politik des Bundes einzuwirken hat die grüne Bundestagsfraktion den Antrag "Cum/Ex-Steuerskandal unverzüglich beenden" am 13.11.18 in den Bundestag eingebracht, der weitreichende Forderungen enthält und aufzeigt, welche Konsequenzen zu ziehen sind und wer an welcher Stelle Verantwortung übernehmen müsste. Den Antrag finden Sie hier: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/057/1905765.pdf

Ein großes Problem sehen wir Grüne in den bereits erwähnten Lobby-Verflechtungen. Wir fordern, Lobbyeinflüsse im Entstehungsprozess von Gesetzgebungsverfahren transparent zu machen und zu minimieren. Lobbyeinflüsse sollen anhand eines Lobbyregisters nachvollziehbar dokumentiert werden. Auch Interessenkonflikte durch Nebentätigkeiten für BeamtInnen und RichterInnen müssen transparent gemacht und vermieden werden. Das Nebentätigkeitsrecht muss reformiert werden.

Wir fordern weiterhin, dass Rechtsverstöße von Unternehmen stärker sanktioniert werden; bisher müssen jene oft nur den entstandenen Steuerschaden erstatten. Wir fordern außerdem, Beratung und Prüfung aus einer Hand zu begrenzen. Eine Abschlussprüfung darf nicht zusätzlich denselben Mandanten zur „Steueroptimierung“ beraten. Die Reform des Abschlussprüferrechts ließ die große Koalition leider bisher ungenutzt.

Um ähnliche Betrügereien schneller zu entdecken, fordern wir eine zeitnahe Auswertung von vorliegenden Transaktionsdaten an der Börse durch die Finanzdienstleistungsaufsichtsbehörde (BaFin). So können missbräuchliche oder illegale Marktaktivitäten auch ohne Whistleblower-Dienste erkannt werden. Die BaFin muss gegen illegale Finanzmarktpraktiken systematisch vorgehen und braucht weitreichende Ermittlungsbefugnisse.

Ein weiteres Problemfeld, das angegangen werden muss, ist die Stärkung der Steuerverwaltung. Diese kann bisher nicht auf Augenhöhe mit den hochbezahlten Beratungsfirmen handeln. Deshalb wollen wir die Steuerverwaltung deutlich besser ausstatten und eine Spezialeinheit auf Bundesebene schaffen, die zuständig für die Besteuerung großer Konzerne und Vermögender ist und technisch und personell auf Augenhöhe mit den großen Steuerberatungsgesellschaften steht.

Auch auf europäischer Ebene gibt es einiges zu tun: Europaweit haben wir die grenzüberschreitende Meldepflicht von Steuertricks durch Steuerberater, Rechtsanwälte, Bankberater und andere Vermittler durchgesetzt. Jetzt muss Deutschland diese Meldepflicht konsequent umsetzen. Auch innerdeutsche aggressive Steuergestaltungen müssen meldepflichtig werden. Es ist angesichts des CumEx-Skandals skandalös, dass Wirtschaftsminister Altmaier eine nationale Meldepflicht ablehnt.

Wir fordern die EU-Kommission dazu auf, den Europäischen Finanzaufsichtsbehörden Kriseninterventionsrechte zu geben, um die schmutzigen Steuergeschäfte auf den europäischen Finanzmärkten zu stoppen und eine mit europaweiten Ermittlungsbefugnissen ausgestattete Behörde zu schaffen, die europaweit organisierter Kriminalität bekämpft, also eine schlagkräftige europäische Finanzpolizei in einem EU-BKA.

Zudem braucht es aber auch ein effektives Whistleblower-Schutzgesetz auf europäischer Ebene, damit Menschen, die Missstände aufdecken, Repressalien sowie arbeits- und dienstrechtliche Konsequenzen oder Strafverfolgung nicht mehr fürchten müssen. Hierzu haben wir kürzlich einen Gesetzesentwurf vorgelegt. In den laufenden Verhandlungen um ein solches Gesetz fällt die deutsche Bundesregierung durch bürokratische Verzögerungstaktik auf, statt den Schutz von Hinweisgebern noch in dieser Legislaturperiode des Europaparlaments zu realisieren.

An Finanzminister Scholz scheitert derzeit die länderbezogene Steuertransparenz von Großunternehmen in Europa. Obwohl die SPD sich im Bundestagswahlprogramm klar für das öffentliche “Country-by-country Reporting” ausgesprochen hat, blockiert er das Vorhaben in Brüssel.

Dieses sind aus meiner, bzw. grüner Sicht die Wege, die die Bundesregierung einschlagen müsste, um endlich vom Kleinreden und Ignorieren des Skandals umzuschalten auf effektive Bekämpfung der illegalen und betrügerischen Praktiken am Finanzmarkt.

Sollten Sie noch detailliertere Informationen und Hintergrundinformationen benötigen, finden Sie ein aktuelles Statement meiner Kollegen Gerhard Schick MdB und Sven Giegold MdEP vom 22.10.2018 hier: https://gerhardschick.net/2018/10/22/europaeischer-steuerskandal-erfordert-entschiedenes-politisches-handeln/, sowie den Fraktionsbeschluss zu den Konsequenzen aus dem Cum/Ex-Skandal unter: https://www.gruene-bundestag.de/files/beschluesse/Cum_Ex.pdf und den bereits erwähnten Antrag vom 13.11.2018: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/057/1905765.pdf

Mit den besten Grüßen
Stefan S.t

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