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Sören Bartol
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Frage von Alexandra M. •

Frage an Sören Bartol von Alexandra M. bezüglich Verkehr

Sehr geehrter Herr Bartol,

mit dem Ausbau des Frankfurter Flughafens sowie der damit einhergehenden Neuordnung der Flugrouten hat die Fluglärmbelastung der Region die Grenzen des Zumutbaren weit überschritten.

Mit Entsetzen habe ich nun den „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Union im Rahmen eines ausgewogenen Ansatzes sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2002/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates“ – KOM(2011)828 endg.; Ratsdok. 18010/11 – gelesen.

Danach wird es in das Ermessen der EU gestellt
- Betriebszeitbeschränkungen zum Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm aufzuheben, wenn sie den Wettbewerb beeinträchtigen.
- Aus Gründen der Vernetzung der europäischen Flughäfen Betriebszeitbeschränkungen aufzuheben.
- Bei Lärmminderungsmaßnahmen und Betriebszeitbeschränkungen primär die Kosteneffizienz zu berücksichtigen. Bei der Kosteneffizienz werden Gesundheitsschädigungen und Eigentumsverluste der Fluglärmbetroffenen nicht berücksichtigt. Auch bei der Forderung nach Ausgewogenheit wird niemals Gesundheit gegen Wirtschaftlichkeit abgewogen.

Wenn es nationale Gesetzgebungen geben sollte, die dies tun, können diese von der EU ausgehebelt werden.

Der Vorschlag der Europäischen Kommission ist damit ungeeignet, die berechtigten Interessen der Anwohner – insbesondere auf Nachtruhe – durchzusetzen. Hier wird zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger der Profit der Luftverkehrsindustrie in den Vordergrund gestellt.

Dem Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm muss jedoch Vorrang vor den wirtschaftlichen Interessen eingeräumt werden!

Ich bitte Sie darum mir mitzuteilen, was Sie unternehmen um die Verabschiedung des Entwurfes durch das EU-Parlament und den EU-Rat zu verhindern und welche Ergebnisse Sie dabei erzielen konnten.

Mit freundlichen Grüßen
A. Markert

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SPD

Sehr geehrte Frau Markert,

haben Sie vielen Dank für Ihr Schreiben, in dem Sie mich auffordern, sich im Deutschen Bundestag für eine Veränderung des Vorschlags einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Union im Rahmen eines ausgewogenen Ansatzes sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2002/30/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates einzusetzen.

Am 08. Februar 2012 hat sich der Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestags mit dem Verordnungsentwurf beschäftigt. Die SPD-Bundestagsfraktion hat die Hinweise aus den vielen Schreiben von Bürgerinnen und Bürgern wie auch Verbänden und Interessensgemeinschaften aufgenommen und einen Entschließungsantrag in den Verkehrsausschuss eingebracht. Unser Ziel war es, in einer gemeinsamen Stellungnahme aller Fraktionen im Deutschen Bundestag der Bundesregierung bei ihren weiteren Verhandlungen auf europäischer Ebene weitreichende Leitplanken mit auf den Weg zu geben.

Aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion dient der Verordnungsentwurf der Europäischen Union nicht den Zielen einer ausgewogenen Luftverkehrspolitik, die Lärmbelastung an Flughäfen der Union zu reduzieren und gleichzeitig die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu wahren.

Wir sind skeptisch, ob der Entwurf der BetriebsbeschränkungsVO in der vorliegenden Fassung im Ergebnis einen Beitrag zur Erreichung dieser Ziele leistet. Der Verordnungsentwurf steht in seinem Regelwerk nationalen Regelungen nach dem Fluglärmrecht und dem Immissionsschutzrecht entgegen. Darüber hinaus könnte der vorgelegte Verordnungsentwurf einen bürokratischen Aufwand nach sich ziehen, der in keinem angemessenen Verhältnis zu dem zu erwartenden Erfolg steht.

Wir wollten daher mit unserem Entschließungsantrag die Bundesregierung auffordern, den Verordnungsentwurf abzulehnen bzw. darauf hinzuwirken, dass er grundsätzlich überarbeitet wird.

Aus unserer Sicht muss es das Ziel sein, dass das nicht sachgerechte
Kontroll- und Vetorecht der Europäischen Kommission eingeschränkt und das komplizierte und langwierige Antragsverfahren zur Bewertung von Betriebsbeschränkungen vereinfacht wird. Sofern dies nicht gelingt, müsste die Bundesregierung den Verordnungsentwurf endgültig ablehnen.

Wir lehnen eine einseitige Ausrichtung des Lärmschutzes auf das Kriterium der Kosteneffizienz ab. Es sollte wie in Deutschland eine ausgewogene Abwägung zwischen den Belangen der Anwohnerinnen und Anwohner und der ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit bei der Bewertung von Betriebsbeschränkungen erfolgen. Grundsätzlich muss dabei geprüft werden, auf welche Art und Weise die Interessen der Bevölkerung bei Wahrung der Wirtschaftlichkeit besonders in der Nacht eine größere Bedeutung erhalten können.

Die Anwohnerinnen und Anwohner von Flughäfen könnten durch die geplanten Regelungen der Verordnung erhebliche negative Nachteile erfahren. Bisher ist nicht eindeutig geregelt, welchen rechtsverbindlichen Status bereits auf nationaler Ebene erlassene Betriebsbeschränkungen haben werden. Neue Betriebsbeschränkungen sind der Kommission vor ihrer Anwendung nach Artikeln 7 und 10 des Verordnungsentwurfs zur Kenntnis bzw. zur Prüfung vorzulegen. Im Falle ihrer Änderung könnte die Kommission die Betriebsbeschränkungen künftig ggf. aussetzen oder eine Änderung verlangen.

Die für die Europäische Kommission geplanten weitreichenden Kontrollbefugnisse und damit mögliche Befugnis, Betriebsbeschränkungen auszusetzen oder zu streichen, wird vom Bundestag daher kritisch gesehen. Damit könnten auf nationaler Ebene durch Gerichte und Behörden veranlasste Betriebsbeschränkungen an einem Flughafen im Hinblick auf Kapazitätseinbußen und Wettbewerbszerrungen im europäischen Kontext ausgesetzt werden.

Durch die detaillierte, mehrstufige und langwierige Regelung zur Bewertung von Betriebsbeschränkungen, die der Verordnungstext vorsieht, kann es zu großen Zeitverzögerungen kommen. Die Kommission behält sich ein umfangreiches Kontroll- und Vetorecht bei der Bewertung von lärmbedingten Betriebsbeschränkungen vor. Der Bundestag sieht dies nicht als sachgerecht an.

Wir sehen auch den Aufbau zusätzlicher bürokratischer Strukturen und einer neuen zusätzlichen Verwaltungsebene kritisch. Der Verordnungsentwurf regelt im Artikel 3, dass die Mitgliedstaaten nicht nur eine für den Erlass von Betriebsbeschränkungen zuständige Behörde, sondern auch eine unabhängige Beschwerdestelle einrichten sollen. Wir halten die Einrichtung einer Beschwerdestelle nicht für erforderlich.
Neben der Kommission nach § 32b des Luftverkehrsgesetzes sind an vielen Verkehrsflughäfen in Deutschland Fluglärmschutzbeauftragte bestellt, die auch die Aufgabe einer Beschwerdestelle wahrnehmen.

Außerdem weisen wir darauf hin, dass in Deutschland für die Lärmberechnungen im Zusammenhang mit dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm sowie zur Umsetzung der Umgebungslärmrichtlinie bereits zwei verschiedene Berechnungsverfahren angewendet werden. Keinesfalls sollte nunmehr mit dem Verweis auf den ECAC-Bericht Doc. 29 (aus dem Jahr 1997) ein weiteres Berechnungsverfahren im Vorgriff auf die fortzuschreibende Umgebungslärmrichtlinie eingeführt werden.

Leider hat unser Antrag im Verkehrsausschuss keine Mehrheit gefunden.
Die Koalitionsfraktionen haben damit die Chance vertan, der Bundesregierung für die weiteren Verhandlungen einen klaren Auftrag zu erteilen. Wir verfolgen jedoch die weitere Diskussion des Entwurfs der Verordnung zu den lärmbedingten Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Europäischen Union sehr genau und erwarten vom zuständigen Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer, dass er die Interessen der Anwohnerinnen und Anwohner von Flughäfen auf europäischer Ebene vertritt.

Die Fortentwicklung des Luftverkehrs und der Flughafeninfrastruktur in Deutschland wird aktuell durch weitreichende Entscheidungen, die durch Gerichtsurteile oder Bürgerentscheide geprägt werden, beeinflusst. Wir sind der Überzeugung, dass wir einen neuen Interessensausgleich brauchen, der eine für den Wirtschaftsstandort Deutschland angemessene Wachstumsstrategie mit einem besseren Schutz der unmittelbar betroffenen Bevölkerung vor Lärm- und Gesundheitsschäden und mit einem nachhaltigen Klimaschutz verbindet.

Wir wollen dafür im direkten Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern wie auch mit den Vertretern der Interessensverbände konkrete Vorschläge erarbeiten. Dazu legt die SPD- Bundestagsfraktion im Rahmen des Projekts Infrastrukturkonsens ein Dialogpapier unter dem Titel „Die Flughafeninfrastruktur in Deutschland mit den Bürgerinnen und Bürgern fortentwickeln“ vor. Wir erhoffen uns davon umfassende konzeptionelle Hinweise, auf welche Art und Weise wir die Fragen zur zukünftigen Planung unserer Flughafeninfrastruktur im Bund und in den Ländern, zur weiteren Anbindung der Flughäfen zu Lande und in der Luft wie auch zum besseren aktiven und passiven Lärmschutz beantworten können.

In der Anlage überreiche ich Ihnen eine Kopie des Dialogpapiers zu Ihrer Kenntnis.

Mit freundlichen Grüßen

Sören Bartol, MdB

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