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Sabine Grützmacher
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Felix S. •

Frage an die Abgeordnetern der PLZ 42477: Wie ordnet sich das SARI-Geschehen der Jahre 2020 und 2021 in eine längere Übersicht ein (bis 2000 oder 1948)? Warum wird Corona jahresübergreifend gezählt?

Um Covid 19 einzuordnen braucht es Bezugsgrößen, Schwere Atenmwegserkrankungen werden SARI genannt und treten jeden Winter gehäuft auf. Um beurteilen zu können ob Corona-Maßnahmen angemessen sind ist eine Einordnung in das Geschehen der letzten Jahrzehnte notwendig.
Sind überhaupt alle Coronafälle SARI-Fälle? https://www.abbreviationfinder.org/de/acronyms/sari_severe-acute-respiratory-infection.html
Wie wird ermittelt, das Corona die Ursache der Todesfälle ist und keine Begleiterscheinung eines Zustandes der zum Tod führt?
Hat die Vulnerabilität vieler gefährdeter Personen nicht Ursachen, die behandelt werden können um deren Anfälligkeit für SARI-Infektionen generell zu reduzieren?
Wie hoch waren Wocheninzidenzen bei früheren SARI-Wellen?
Wievele Jahre braucht es um bei den Coronainzidenzen eine Bevölkerung zu infizieren?
Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Härte der Maßnahmen und weniger SARI-Zahlen?
Kennen sie Gesamtsterblichkeit/Hospitalisierung der Ungeimpften und Geimpften?

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr S.,

hiermit erhalten Sie Antworten zu den Fragen an mich als Abgeordnete des Wahlkreises 99/Oberberg.

Wie ordnet sich das SARI-Geschehen der Jahre 2020 und 2021 in eine längere Übersicht ein (bis 2000 oder 1948)?

Wir können nicht von einem SARI-Geschehen sprechen. SARI = Severe Acute Respiratory Infection ist eine WHO Definition eines Krankheitsbildes, entwickelt zur Überwachung von Grippewellen. Sie lautet: eine Infektion die 10 Tage nach Auftreten mit Symptomen von Fieber und Husten zur Krankenhausbehandlung führt. Damit kann ein Ansteigen solcher Erkrankungen in einem bestimmten Zeitraum überwacht werden können. Treten schwere, akute Atemwegsinfektionen, die vom gleichen Erreger ausgelöst werden, gehäuft auf, spricht man von einer Grippeepidemie oder umgangssprachlich von einer „Grippewelle“. Im Winter 2017/2018 hatten wir die schwerste Grippeepidemie seit 30 Jahren mit einer Übersterblichkeit aufgrund der Grippe von etwa 25.100 Todesfällen.

Warum wird Corona jahresübergreifend gezählt?

Es gibt auch eine Erfassung der Daten pro Jahr, siehe: Infektionsepidemiologisches Jahrbuch meldepflichtiger Krankheiten für 2020 https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Jahrbuch/Jahrbuch_2020.pdf?__blob=publicationFile (Siehe Seite 33).

Dort werden alle meldepflichtigen Infektionskrankheiten aufgeführt. Für Covid19 ergeben sich 1.785.656 gemeldete Fälle für das Jahr 2020 mit einer Hospitalisierung von 133.320 Personen und 42.182 Todesfällen. Hier sieht man, dass die Folgen der Covid19-Pandemie in Deutschland deutlich zu spüren sind.

Die Grippewelle im Jahr 2020 war, wahrscheinlich bedingt durch das verbreitete Tragen von Masken, eher flach mit 194.726 gemeldeten Fällen, einer Hospitalisierung von 29.705 Personen und 370 Influenza bedingten Todesfällen.

In anderen Jahren sahen die Daten anders aus.

Um Covid 19 einzuordnen braucht es Bezugsgrößen, Schwere Atenmwegserkrankungen werden SARI genannt und treten jeden Winter gehäuft auf. Um beurteilen zu können ob Corona-Maßnahmen angemessen sind ist eine Einordnung in das Geschehen der letzten Jahrzehnte notwendig.

SARI ist nicht die Bezeichnung für schwere Atemwegserkrankungen sondern eine Definition, was unter einer schweren Atemwegsinfektion zu verstehen ist. Schwere Atemwegsinfektionen treten saisonal häufiger im Winterhalbjahr auf und werden vor allem durch Influenzaviren hervorgerufen. In den Infektionsepidemiologischen Jahrbüchern meldepflichtiger Krankheiten des RKI kann man die Fallzahlen für die einzelnen Jahre nachlesen.

Sind überhaupt alle Coronafälle SARI-Fälle?

Ja, Covid 19 ist eindeutig als SARI (ernste, akute Atemwegsinfektion) zu definieren, da Menschen mit Luftnot aufgrund von einer Covid 19 Infektion eine Krankenhausbehandlung benötigen, zum Teil auch eine intensivmedizinische Versorgung mit Beatmung. Dies betrifft insbesondere die erste Virusvariante Alpha, sowie Delta. Aber genau wie bei der Grippe fallen nur die Fälle, die eine Krankenhausbehandlung benötigen unter die Definition SARI, zum Nachlesen: https://www.abbreviationfinder.org/de/acronyms/sari_severe-acute-respiratory-infection.html
Bei Omikron scheint sich die Situation hin zu den uns bekannten Grippesymptomen, hervorgerufen durch Influenzaviren, zu verschieben. Wobei noch nicht klar ist, wie nicht geimpfte Personen auf Omikron reagieren.
Sollte das Virus sich in Zukunft harmloser verhalten, werden Definitionen und Verhaltensregeln sicherlich angepasst. Momentan kann man die Lage noch nicht abschließend bewerten.

Wie wird ermittelt, das Corona die Ursache der Todesfälle ist und keine Begleiterscheinung eines Zustandes der zum Tod führt?

Covid19 löst bestimmte Krankheitsreaktionen aus, vor allem führt es zu einer starken Entzündung der Lungen und zu einem Zusammenbruch des Gasaustausches in der Lunge. Es können auch andere Organe betroffen sein, da das Virus ein Hyperinflammationssyndrom im Körper auslösen kann, bei dem die eigene Immunabwehr überreagiert. Das Krankheitsbild ähnelt einer Sepsis und besonders betroffen scheinen die Endothelzellen der inneren Organe zu sein. Sie sorgen für den Blutaustausch. Funktioniert dieser nicht mehr, kommt es zu Organversagen. Dieses schwere Krankheitsbild ist keine normale Begleiterscheinung eines Sterbeprozesses im Alter.

Hat die Vulnerabilität vieler gefährdeter Personen nicht Ursachen, die behandelt werden können um deren Anfälligkeit für SARI-Infektionen generell zu reduzieren?

Die Vulnerabilität gefährdeter Personen beruht in erster Linie auf altersbedingten Erkrankungen oder chronischen Krankheiten, Autoimmunerkrankungen, die eben gerade nicht dahingehend behandelt werden können, dass eine Grippe- oder eine Covid19- Infektion nicht schwerwiegende Folgen, bis hin zum Tod, hätte. Deshalb hat diese vulnerable Gruppe bisher auch immer die Empfehlung bekommen, sich im Herbst gegen Grippe impfen zu lassen. https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/Influenza/Hochdosis-Impfstoffe/FAQ_Uebersicht.html;jsessionid=5C570DA79AABD2237AD7BD77992F9F8C.internet111?nn=2370434

Wie hoch waren Wocheninzidenzen bei früheren SARI-Wellen?

Es gibt keine SARI-Wellen. Wir sprechen von Grippe-Wellen und jetzt Corona-Wellen. SARI ist die Definition eines Krankheitsbildes und kann durch unterschiedliche Erreger ausgelöst werden. Auf der Webseite von Eurostat finden Sie Hinweise zu der Übersterblichkeit in den letzten Jahren, sowohl durch Influenza, als auch durch Covid19 hervorgerufen.

https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Weekly_death_statistics&stable#Number_of_deaths_higher_than_in_previous_years

Wieviele Jahre braucht es um bei den Coronainzidenzen eine Bevölkerung zu infizieren?

Das ist eine schwierige Frage. Man hat in Schweden und auch in Großbritannien versucht, den Weg der Herdenimmunität zu gehen. Allerdings waren die Konsequenzen für das Gesundheitssystem und die Betroffenen sehr ernst. Einen wirklichen Schutz hat es nicht gegeben. Die Hoffnung ist, dass durch die Impfung schwere Verläufe (so gut wie) ausgeschlossen werden und dass auch die Mutationen durch Anpassung des Impfstoffes wirksam bekämpft werden können. So ähnlich wie es ja seit vielen Jahren auch bei den Influenzainfektionen geschieht.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Härte der Maßnahmen und weniger SARI-Zahlen?

Es gibt keine SARI-Zahlen (SARI ist eine Definition), sondern im Fall von Covid19 eine hohe Anzahl von Betroffenen und Todesfällen, vor allem in der ersten Welle (Bergamo, New York, Großbritannien, Spanien). Das hat zu verschiedenen Maßnahmen geführt, dabei haben unterschiedliche Länder unterschiedliche Wege beschritten. Es gibt keinen Königsweg. In einer Pandemie die durch Aerosole in der Luft übertragen wird, bedeuten Masken, Abstandsregeln, Händewaschen, Lüften in Innenräumen, Reduzierung der Kontakte eine Abbremsung des Verlaufs. Damit soll (und wird) eine Überlastung des Gesundheitssystems verhindert. Und das Gesundheitssystem versorgt nicht nur Erkrankte mit Covid19, sondern weiterhin Unfallopfer, Krebskranke, Herzkranke, u.v.m., die auch, zumindest zeitweilig, auf eine intensivmedizinische Betreuung angewiesen sind.
Zudem schützt die Impfung nur zu 90-95% vor einer Ansteckung, aber sehr gut vor einem schweren Verlauf. Diese Situation und das weiterbestehen von hochansteckenden Covid19-Mutationen, die im Gegensatz zu den Grippewellen nicht auslaufen, führen zu anderen Maßnahmen als in bisherigen Grippesituationen.

Die Härte der Maßnahmen resultiert auch aus einer hohen Übersterblichkeit, die für 2020 bei 42.182 Corona-Toten liegt und für 2021 bei etwa 70.000. (Gesamtzahl bisher 115.051) Das übertrifft die Zahlen selbst der vergessenen Grippe-Pandemie von 1968, die im Winter 1969/70 Deutschland traf und wahrscheinlich etwa 40.000 Todesfälle forderte.

Kennen sie Gesamtsterblichkeit/Hospitalisierung der Ungeimpften und Geimpften?

Es gibt bisher kein klares Zahlenmaterial zu dieser Frage. Die Impfung bietet einen hohen, aber keinen 100% Schutz vor einem schweren Verlauf mit Krankenhausaufenthalt oder sogar intensivmedizinischer Versorgung. Zu der Gruppe der Geimpften gehören eben auch viele ältere, chronisch kranke, immungeschwächte Menschen, bei denen die Impfung insgesamt schwächer wirkt. Deshalb befinden sich auch geimpfte Personen mit Covid19 in intensivmedizinischer Behandlung, festzuhalten ist aber: Die Impfung wirkt und schützt auch deutlich vor schweren Verläufen.  https://www1.wdr.de/nachrichten/corona-geimpfte-ungeimpfte-intensivstationen-100.html

Fast zwei Drittel Ungeimpfte auf Intensivstationen

Unterm Strich kam bei der Auswertung der Daten der Intensivpatienten heraus, dass fast zwei Drittel (62 Prozent, 5.521 Fälle) von ihnen nicht geimpft waren. Mehr als ein Viertel (28,4 Prozent, 2.535 Fälle) hatte einen vollständigen Impfschutz, davon waren 5,8 Prozent (520 Fälle) geboostert. Rund 9,6 Prozent (856 Fälle) wiesen einen unvollständigen Immunschutz auf, waren also genesen ohne Impfung oder teilimmunisiert.

Das hört sich erstmal nach einer nicht so guten Quote für die Geimpften an. Allerdings muss man hier unbedingt berücksichtigen, dass die nicht Geimpften nur noch einen Anteil von etwa 28% der Bevölkerung ausmachen. Aus dieser Gruppe kommen zwei Drittel der Intensivpatienten mit Covid19! Damit ist das Risiko als nicht Geimpfte/r schwer an Covid19 zu erkranken deutlich höher, als es auf den ersten Blick aussieht und dieses Ergebnis zeigt auch deutlich den Vorteil durch Impfung.

Es freut mich, wenn ich Ihnen mit den Antworten helfen konnte.

Mit freundlichen Grüßen

Sabine Grützmacher

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