Frage an Sabine Friedel von Levin P. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Friedel,
ich danke Ihnen für Ihre Antwort auf meine letzte Frage, warum es in Sachsen kein Gesetz gibt, das die Grundzüge der COVID19-Pandemie-Eindämmung regelt. Ihre Antwort, es gebe bereits ein Bundesgesetz, geht aus meiner Sicht etwas am Kern der Frage vorbei, daher noch einmal eine Nachfrage.
Zweck eines Sächsischen Corona-Schutz-Gesetzes soll es keineswegs sein, Dinge entgegengesetzt zum (Bundes-)Infektionsschutzgesetz zu regeln. Sondern das Landesgesetz soll die Grundzüge der Fragen regeln, die der Bundesgesetzgeber explizit an die Länder delegiert hat.
Ein Beispiel: Das Oberverwaltungsgericht Bautzen hat mit seinem Beschluss vom 4. März (Az. 3 B 26/21) die nächtliche Ausgangssperre und die Beschränkung der Freizügigkeit auf einen 15-Kilometer-Radius aufgehoben. Das heißt, die Staatsregierung hatte mit ihrer Verordnung in rechtswidriger Weise 4 Millionen Sachsen eingesperrt bzw. in ihrer Freizügigkeit begeschränkt, und das seit mindestens 10. Februar.
Zahlreiche Menschen haben wegen vermeintlicher Übertretungen der genannten Regelungen Bußgeldbescheide bekommen, zum Beispiel für Wanderungen am Fichtelberg, die bekanntlich nur minimal zum Infektionsgeschehen beitragen. Finden Sie es richtig, dass diese Menschen Strafe bezahlen mussten, nur weil sich nicht 60 Abgeordnete fanden, um ein Gesetz zu erlassen, das die Dinge korrekt regelt?
Dass Ihre Fraktion ein Landes-Corona-Gesetz ablehnt, hat Ihr Kollege Martin Dulig damit begründet, dass die Parlamentsbeteiligung zu lange dauern würde (https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/martin-dulig/fragen-antworten/518430). Hätte man allerdings die genannte Sachverständigeangehörung durchgefürt, hätte man vielleicht derartige Fehler vermeiden können. Glauben Sie wirklich, dass ein Kabinett aus 12 Personen die Bedürfnisse der Bevölkerung besser erfassen kann als ein Parlament mit 119 Abgeordneten? Die Pandemie wird andauern. Wann werden wir ein Corona-Schutz-Gesetz bekommen?
L. P. .
Sehr geehrter Herr Pohle,
haben Sie vielen Dank für Ihre Nachfrage. Sie schreiben, dass ein
solches sächsisches Corona-Schutz-Gesetz die Grundzüge jener Fragen
regeln soll, welche der Bundesgesetzgeber explizit an die Länder
delegiert hat.
Welche Fragen sind dies Ihrer Ansicht nach? Grundlage ist ja das
Infektionsschutzgesetz. Dort hat der Bundesgesetzgeber in § 28a
(https://www.gesetze-im-internet.de/ifsg/__28a.html) die Maßnahmen
aufgezählt, welche zum Zweck des Infektionsschutzes ergriffen werden
dürfen. Hier heißt es beispielsweise:
"1. Anordnung eines Abstandsgebots im öffentlichen Raum,
2. Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Maskenpflicht),
3. Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im
öffentlichen Raum,
4. Verpflichtung zur Erstellung und Anwendung von Hygienekonzepten für
Betriebe, Einrichtungen oder Angebote mit Publikumsverkehr,
5. Untersagung oder Beschränkung von Freizeitveranstaltungen und
ähnlichen Veranstaltungen,
6. Untersagung oder Beschränkung des Betriebs von Einrichtungen, die der
Freizeitgestaltung zuzurechnen sind,
7. Untersagung oder Beschränkung von Kulturveranstaltungen oder des
Betriebs von Kultureinrichtungen,
8. Untersagung oder Beschränkung von Sportveranstaltungen und der
Sportausübung,
..."
Damit hat der Bundesgesetzgeber also die Maßnahmen definiert. Weiter
heißt es dann im Absatz 2 des Paragraphen:
"Die Schutzmaßnahmen sollen unter Berücksichtigung des jeweiligen
Infektionsgeschehens regional bezogen auf die Ebene der Landkreise,
Bezirke oder kreisfreien Städte an den Schwellenwerten nach Maßgabe der
Sätze 4 bis 12 ausgerichtet werden, soweit Infektionsgeschehen innerhalb
eines Landes nicht regional übergreifend oder gleichgelagert sind."
Damit hat der Bund die räumliche Geltung der Maßnahmen definiert. Und
nun kommen noch die Schwellenwerte nach den Sätzen 4 bis 12, die sich im
gleichen Absatz finden:
"Bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je
100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind umfassende
Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des
Infektionsgeschehens erwarten lassen. Bei Überschreitung eines
Schwellenwertes von über 35 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner
innerhalb von sieben Tagen sind breit angelegte Schutzmaßnahmen zu
ergreifen, die eine schnelle Abschwächung des Infektionsgeschehens
erwarten lassen. ..."
Damit hat der Bundesgesetzgeber auch noch die Schwellenwerte definiert,
ab welcher die vom Bundesgesetzgeber definierten Maßnahmen in den vom
Bundesgesetzgeber definierten Orten angeordnet werden sollen.
Da der Bundesgesetzgeber bereits so vieles festgelegt hat, verbleibt die
Frage, was an die Länder delegiert wird. Selbst diese Frage hat der
Bundesgesetzgeber beantwortet, und zwar im § 32 des IfSG:
"Die Landesregierungen werden ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die
für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 maßgebend sind, auch durch
Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung
übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Die Landesregierungen können die
Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen."
Damit hat der Bund also klar definiert, was er an die Länder - genauer:
an die Landesregierungen - delegiert: Nämlich den Erlass entsprechender
Rechtsverordnungen.
Für mich bleibt also die Frage offen: Welche Grundfragen hat Ihrer
Auffassung nach der Bundesgesetzgeber an die Länder delegiert?
Sie sprechen die Entscheidung des OVG Bautzen zum 15-Kilometer-Radius
vom 4. März 2021 an. In der Presseveröffentlichung zur Entscheidung
heißt es (https://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/248207):
"Für die ausgangsbeschränkenden Regelungen der aktuellen
Corona-Schutz-Verordnung wurde jedoch, anders als etwa zur
Corona-Schutz-Verordnung vom 11. Dezember 2020, eine konkrete Begründung
nicht mitgeteilt. Damals wurden zur Begründung der Inzidenzwert von über
300 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen und
die damit einhergehende Gefahr einer Überlastung des Gesundheitswesens
sowie die konkrete Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung angeführt.
Diese Begründung lässt sich auf die derzeitige Situation nicht
übertragen und wurde vom Verordnungsgeber auch nicht übernommen. Weitere
Erwägungen des Verordnungsgebers zur Erforderlichkeit der Ausgangssperre
sind aber ebenfalls nicht ersichtlich."
Offenbar hat das Gericht die Ausgangssperre nicht per se als
rechtswidrig angesehen, sondern die in der konkreten Verordnung vom 15.
Februar 2021 erlassene Maßnahme - und zwar, weil der Verordnungsgeber
anders als im Dezember 2020 eine konkrete Begründung der Maßnahme nicht
vorgenommen hat.
Für die von Ihnen aufgeworfene Frage der Bußgeldbescheide für
Wanderungen am Fichtelberg bedeutet dies: Bußgeldbescheide, die ab
Erlass der angegriffenen Verordnung vom 15. Februar 2021 erteilt wurden,
sind gegenstandslos. Bußgeldbescheide, welche sich allerdings auf
vorhergehende Verordnungen stützen, haben Bestand, weil anders als bei
der Verordnung vom 15. Februar 2021 eine Rechtswidrigkeit der zugrunde
liegenden Norm nicht besteht.
Nach all meiner Erfahrung ist ein Parlament, in welchem sich, wie Sie es
formulieren, "60 Abgeordnete finden, um ein Gesetz zu erlassen, das die
Dinge korrekt regelt" auch nicht davor gefeit, Fehler zu machen oder
Entscheidungen zu treffen, welche später von Gerichten korrigiert werden.
Dass mein Kollege Martin Dulig die Ablehnung eines
Landes-Corona-Gesetzes mit anderen Argumenten begründet als ich sie
Ihnen vorgetragen habe, zeigt, dass es mehrere Gründe gibt, die gegen
ein solches Gesetz sprechen. Sie sprechen das Argument der langen Dauer
des Verfahrens an. Dieses Argument teile ich ausdrücklich und will dies
am Beispiel des Zeitablaufes bei der aktuellen Corona-Schutzverordnung
verdeutlichen:
Die vorhergehende Sächsische Corona-Schutzverordnung galt bis zum Ablauf
des 7. März 2021. Rechtzeitig vorher - damit noch eine Veröffentlichung
und eine wenigstens minimale Vorbereitungsfrist für die Bevölkerung
gegeben werden konnte - rechtzeitig vor dem Ablauf also war daher die
neue Corona-Schutzverordnung zu beschließen. Dafür wurde am 5. März 2021
eine Kabinettssitzung anberaumt. Nur zwei Tage vorher, am 3. März 2021
fand die inzwischen fest institutionalisierte Konferenz der
Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder mit der
Bundeskanzlerin statt. Am späten Abend wurden die hier getroffenen
gemeinsamen Beschlüsse veröffentlicht. Es blieben also keine 48 Stunden,
um die auf der Bundesebene getroffenen Beschlüsse in eine sächsische
Rechtslage umzusetzen.
Keine Ausnahmeregelung, keine Eilbedürftigkeit, kein anderes Instrument
hätte es dem Parlament ermöglicht, innerhalb von 48 Stunden auf
rechtmäßigem Wege eine verbindliche Entscheidung zu treffen. Denn die
sowohl zum Schutz der Rechte der einzelnen Abgeordneten als auch von
parlamentarischer Minderheiten geltenden Vorschriften zur Ladung von
Sitzungen und Übermittlung von Unterlagen können nicht auf so einen
kleinen Zeitraum zusammengeschrumpft werden, ohne dass dies wiederum
rechtswidrig und damit vor Gericht ohne Bestand wäre.
Um das Parlament dennoch wenigstens beratend angemessen an der
Entscheidungsfindung zu beteiligen, haben die Ausschüsse für Soziales
und Gesundheit, für Schule und Bildung sowie für Verfassung und Recht am
4. März 2021 eine gemeinsame Sondersitzung zur Beratung der geplanten
Corona-Schutzverordnung abgehalten. Diese Art von Parlamentsbeteiligung
führen wir seit Ende des letzten Jahres regelmäßig durch.
Aus all den augeführten Gründen wäre es für die SPD-Fraktion allenfalls
denkbar, ein Corona-Landes-Gesetz zu verabschieden, in welchem
festgelegt wird, dass der Sächsische Landtag eine geltende
Corona-Schutz-Verordnung aufheben kann (was er auch ohne ein solches
Gesetz könnte), nicht jedoch eines, welches die Erlasskompetenz für eine
neue Verordnung grundsätzlich auf den Landtag überträgt.
Da ein Gesetz mit dem oben benannten Regelungsinhalt eher symbolischer
Natur wäre, hat meine Fraktion kein vitales Interesse an der
Verabschiedung eines solchen Gesetzes. Wir stellen uns jedoch diesem
Vorhaben auch nicht entgegen. Es ist in der aktuellen Koalition und
Situation deshalb an der CDU und den Grünen, sich zu dieser Frage zu
einigen. Eine solche Einigung steht zum jetzigen Zeitpunkt noch aus.
Um deshalb Ihre abschließende Frage, wann Sachsen ein solches Gesetz
bekommen wird, zu beantworten: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Diese
Frage müssen Sie meinen Kollegen aus den Fraktionen der CDU und von
Bündnis90/Die Grünen stellen. Von mir aus kann die Verabschiedung eines
solchen Gesetzes erfolgen. Nach den Fristen der Geschäftsordnung wäre
das nach einer Ausschussbefassung und dem Verzicht auf eine
Sacheverständigenanhörung frühestens in der Plenarsitzung im Mai möglich.
Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort unsere Perspektive zumindest
nachvollziehbar gemacht zu haben.
Freundliche Grüße
Sabine Friedel