Frage an Sabine Fohler von Lars B. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte frau fohler,
In den letzten tagen und wochen ist mit sicherheit viel über das projekt stuttgart 21 gesprochen worden. Doch zurzeit kann ich mir aufgrund der vielen anscheinenden fakten von gegner und befürwortern keine eindeutige meinung bilden. Da sie zwar als spd-abgeordnete das projekt generell unterstützen, aber im gegensatz zu vielen ihrerer cdu-kollegen eine befangenheit nicht vermute, möchte ich ihnen eine meiner zentralen fragen zu dem genannten thema stellen:
Die neubaustrecke gen ulm soll laut unterlagen (z.b. stern) nicht für den güterverkehr geeignet sein. Inwiefern wäre dann eine profitable nutzung dessen sowie dem neuen bahnhof gewährleistet?
Mfg
Gez. Lars blankenhorn
Sehr geehrter Herr Blankenhorn,
ich danke Ihnen für Ihre Mail bzgl. Nutzung der Neubaustrecke durch den Güterverkehr und der Frage nach der Wirtschaftlichkeit. Leider komme ich erst jetzt dazu, Ihnen ausführlich zu antworten, weil ich in der letzten Woche viele Termine hatte und viel unterwegs war.
Zunächst ist es - glaube ich - wichtig, nochmals deutlich zu machen, dass wir zwar in einem landschaftlich sehr schönen und reizvollen, aber topographisch in Bezug auf Verkehrsprojekte auch sehr anspruchsvollen Bundesland wohnen. Die Stuttgarter Kessellage und die Überwindung der schwäbischen Alb sind dabei die Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Für den Güterverkehr heißt das, dass weder die Neubaustrecke noch die bisherige Strecke über das Filstal eine Güterverkehrshauptachse sind bzw. sein werden, da beide Streckenführungen nun mal den Höhenunterschied zwischen Stuttgart und Ulm überwinden und den Albaufstieg bewältigen müssen. Oder anders gesagt: es war nie vorgesehen, den "schweren" und damit langsamen Güterverkehr über die Neubaustrecke zu führen, weil es dadurch zum einen zu Behinderungen beim Personenschnellverkehr kommen würde und zum anderen die Steigungen der Neubautrasse für den schweren Güterverkehr nicht geeignet ist.
Bei den Planungen hat sich die Trassierung der Neubaustrecke an den europäischen Vorgaben für Hochgeschwindigkeitsstrecken und ist damit für den Güterverkehr „mit modernen Hochleistungsgüterzügen“ geeignet. Die Strecke ist nicht zu steil für diese Art von leichten Güterverkehr, sie entspricht den „Interoperabilitätsrichtlinien“ für Hochgeschwindigkeitsstrecken, auf denen auch Güterverkehr unterwegs sein kann. Geplant sind täglich 40 solcher Züge auf der Neubaustrecke ab Wendlingen über die so genannte Güterzuganbindung von der Neckartalbahn über Wendlingen auf die Neubaustrecke. Geringere Steigungen würden bei der Trassierung u.a. zu weit längeren Tunnelabschnitten und zu veränderten Trassierungen führen und damit u.a. entsprechend höhere Kosten verursachen. Die Nutzung der Strecke für diese schnellen und leichten Güterzüge ist also möglich und bietet sich z.B. zu den Nachtzeiten an, in denen der ICE-Fernverkehr nicht oder nur wenig unterwegs ist. Allerdings handelt es sich dabei, wie gesagt, um sogenannte "leichte" Güterzüge, die dann auch entsprechend schnell fahren können, damit sie nicht den Schnellverkehr auf der neuen Strecke behindern.
Zur Volkswirtschaftlichkeit des Gesamtprojekts kann ich Sie auf folgendes Gutachten, das als Fazit eine positive volkswirtschaftliche Bilanz des gesamten Verkehrsprojekts zieht, verweisen:
http://www.das-neue-herz-europas.de/de-DE/download/200904_BW_Volkswirtschaftliche_Bewertung.pdf
Da aus betriebswirtschaftlichen Gründen die exakte Berechnung der Wirtschaftlichkeit der Neubaustrecke seitens der Bahn nicht öffentlich gemacht wird, bleibt nur das Ergebnis, dass sowohl Bahn als auch Bundesregierung von der Wirtschaftlichkeit der Neubaustrecke überzeugt sind. Derart wird im Übrigen bei allen (Fernverkehrs-)Schienenverkehrsprojekten verfahren.
Als Hinweis sei hier noch erwähnt, dass auch die Neubaustrecke Stuttgart-Mannheim damals u.a. Fragen zur Wirtschaftlichkeit aufgeworfen hat. In der Zwischenzeit steht die Nützlichkeit dieser Strecke (als Verbindung der beiden BW-Metropolregionen) nicht nur außer Frage - sie wird als Vorzeigestrecke im Fernverkehr gehandelt.
Zusammenfassend: die Wirtschaftlichkeit des Gesamtprojekts (s. Gutachten 2009) wird positiv beantwortet - dazu gehört auch wesentlich die Integration der Neubaustrecke in das Projekt - gerade auch mit der Vorgabe, keinen langsamen, schweren Güterverkehr auf einer Schnellfahrtrasse fahren zu lassen, sondern für diesen Güterverkehr andere Wege zu benutzen.
Zugleich muss mit Blick auf das Gutachten betont werden, dass in diesen Berechnungen der Nutzen für die Umwelt: v.a. Verlagerung von PKW-Verkehr auf die Schiene volkswirtschaftlich nicht berücksichtigt ist.
Aber gerade das ist für mich ein ganz wichtiger Aspekt, denn natürlich müssen wir uns die Frage stellen, wie wir Mobilität zukünftig organisiert wollen und ob wir nicht auch aus Gründen der Umweltverträglichkeit die Verlagerung von Verkehr auf die Schiene befördern möchten. Deswegen wird aus meiner Sicht die reine Reduzierung des Schienenverkehrs auf seine Wirtschaftsbedeutung der Sache nicht gerecht. Es müssen in diese Betrachtungen die Auswirkungen von Streckenführungen für Umwelt und Menschen mit einbezogen werden.
Und wenn man sich die diskutierten Alternativstrecken (z.Bsp. Ertüchtigung der bisherigen Trasse durch das Filstal) ansieht, so sind diese nur mit erheblichen Belastungen (z.Bsp. Lärm) für Menschen und Umwelt zu realisieren, weil es sich hier eben um sehr eng besiedelte Gebiete handelt.
Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weitergeholfen zu haben und grüße Sie herzlich
Ihre Sabine Fohler