Portrait von Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
SPD
83 %
10 / 12 Fragen beantwortet
Frage von Mirko H. •

Frage an Sabine Bätzing-Lichtenthäler von Mirko H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Bätzing,

vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort. Gestatten Sie mir bitte noch eine Nachfrage. Dass Sie nicht jede einzelne Bundestagsdrucksache lesen können, steht für mich ausser Frage. Nur wenn Gesetzesvorlagen zur Beschlussfassung anstehen, denen Sie durch Ihre Stimmkraft zur Verabschiedung oder Ablehnung verhelfen, dann meinte ich bislang, als Wähler verlangen zu können, dass jeder zur Abstimmung befugte Abgeordnete auch weiß, worüber er oder sie konkret abstimmt.

Meine dreiteilige Frage lautet also: Haben Sie inzwischen die Gelegenheit gefunden, sich mit dem Vertrag von Lissabon und seiner weitreichenden Folgen auf unsere Staatlichkeit auseinanderzusetzen? Konnten Sie vor der Abstimmung zum Zustimmungsgesetz nicht erkennen, dass es sich hierbei um ein fundamentales Gesetz mit Völkerrechtsrang handelt, welches vollkommen andere Auswirkungen auf unsere Staatskonstitution ausübt als andere zur Abstimmung stehende Bundesgesetze? Wie beurteilen Sie die massgeblichen Begründungen der zahlreich gestellten Verfassungsbeschwerden (insbesondere der Ihres Koalitionskollegen Peter Gauweiler (CSU)) gegen die genannten Gesetzesbeschlüsse?

Vielen Dank für die Möglichkeit dieser Nachfragen und für Ihre Mühe einer erneuten Antwort.

Portrait von Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Heinke,

vielen Dank für Ihre Nachfrage.

Auch alle Gesetzgebungsvorhaben, die gerade zur Beschlussfassung anstehen, zu lesen und zu verstehen würde ich zeitlich nicht schaffen. Ich schätze mal, dass diese Woche etwa 6 Gesetzesänderungen und etwa 25 Anträge, die ja auch dazu verpflichten können, zu einem späteren Zeitpunkt ein Gesetz zu erlassen, auf der Tagesordnung stehen

Dennoch stimme ich Ihnen natürlich zu, dass es wichtigere und weniger wichtige Gesetzgebungsvorhaben gibt und der Vertrag zu Lissabon zu den wichtigeren gehört, da er über die Zukunft Deutschlands in und mit der EU entscheidet. Von Völkerrechtsrang zu sprechen, halte ich für falsch, da sich der Vertrag von Lissabon auf der Ebene des zwischenstaatlichen Vertragsrechtes abspielt und man dieses nicht in eine Wertigkeit zum Völkerrecht setzen kann. Zwar ist der Anspruch des Völkerrechtes grundsätzlich, für alle zu gelten, die Durchsetzbarkeit von Völkerrecht hängt aber von der Bereitschaft und Fähigkeit der Staatengemeinschaft hierzu ab. Insoweit ist Vertragsrecht anders zu bewerten, da es gegenseitige Recht und Verpflichtungen schafft.

Eine allgemeine Beurteilung des EU-Vertrages ohne Ihre konkreten Kritikpunkte würde wohl den Rahmen dieser Plattform sprengen. Die Grundsatzfrage ist wohl, ob man eine Europäische Union und ihre Entwicklung zu mehr europäischer Einheit grundsätzlich befürwortet oder ablehnt. Herr Gauweiler hat seine dementsprechende Entscheidung getroffen.

Ich denke demgegenüber, dass wir ohne Europa auf Dauer Schwierigkeiten haben werden, europäische und damit auch deutsche Interessen gegenüber amerikanischen, russischen und anderen Interessen geltend zu machen. Ich befürworte daher im Grundsatz weiterhin die EU.

Die Veränderungen, vor allem in der Mitgliederzahl machen eine Änderung aber unabdingbar. Das Prinzip des Konsenses lässt sich ab einer bestimmten Anzahl an Teilnehmern nicht mehr halten und muss durch Mehrheitsentscheidungen abgelöst werden.

Ich verstehe, dass man nicht alle Änderungen gut finden kann. Das ist schon deshalb so, weil es in dem Vertrag notgedrungen viele Kompromisse gibt. Auch hätte man sich unter demokratischen Gesichtspunkten weitere Änderungen, z.B. eine weitere Stärkung des EU-Parlamentes gewünscht. Ich finde es auch nicht richtig, wenn in Ministerrunden in der EU Beschlüsse gefasst werden, die im Anschluss im Inland als zwangsläufig, da von der EU kommend angesehen werden. Aber die Minister unterliegen wie die ganze Regierung der Kontrolle der nationalen Parlamente. Es ist deren Aufgabe, sicherzustellen, dass nicht gegen ihren Willen im Rat etwas beschlossen wird. Passiert das nicht, liegt kein Systemfehler, sondern eine schlechte Arbeit des Parlaments vor.

Die Stärkung des europäischen Parlaments wird sicherlich eine Aufgabe der nächsten Jahre sein.

Die Änderungen durch den Vertrag von Lissabon nur als negativ darzustellen, finde ich nicht richtig.

Gerade im Bereich von mehr Demokratie gibt es richtige und gute Veränderungen Als Beispiel seien genannt:

Das Begleitgesetz zur Ratifizierung des Vertrages von Lissabon, das dem Bundestag vorliegt, sieht eine Änderung von Artikel 23 Grundgesetz vor. Durch diese Verfassungsänderung werden die Rechte des Bundestages bei der Subsidiaritätskontrolle gestärkt. Mit einer Subsidiaritätsrüge kann die Regelungskompetenz der EU zu Beginn eines Gesetzgebungsprozesses kritisch überprüft werden. Die Frist für die Subsidiaritätsprüfung durch die nationalen Parlamente wird von sechs auf acht Wochen verlängert. Nach Abschluss eines Gesetzgebungsprozesses können nationale Parlamente gegen die Missachtung der Subsidiarität vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) klagen.

Der Vertrag von Lissabon schafft zudem erstmals die Möglichkeit eines europäischen Bürgerbegehrens. Dadurch wird die direkte Demokratie in der EU gestärkt.

Natürlich gibt es rückwärtsgewandten Widerstand gegen die Veränderungen, Veränderung geht immer auch ein bisschen mit Angst vor der Zukunft einher. Und natürlich ist man mit der ganzen europäischen Union einen neuen Weg gegangen. Etwas Ähnliches gab es zuvor in dieser Form noch nicht. Und dieses Neue führt dazu, dass es Widerstände, auch verfassungsrechtlicher Art, dagegen gibt. Wie immer, wenn man etwas noch nicht Dagewesenes an bestehendem Recht misst, weiß man vorher nicht genau, wie es ausgehen wird.

Ich glaube aber, dass es nicht möglich ist, wieder zu einer Bundesrepublik der 50er Jahre zurück zu kehren, auch wenn dort vielleicht vieles einfacher war, als heutzutage. Wir aber müssen Lösungen für das hier und heute finden. Dabei kommen wir um ein Europa nicht herum.

Mit freundlichen Grüßen

Sabine Bätzing, MdB

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
SPD