Sind wir eine Kriegspartei geworden, weil wir Waffen an die Ukraine liefern?
Sehr geehrter Herr Lucassen,
die aktuelle Kriegssituation ist äußerst besorgniserregend. Viele Standpunkte der Politik kann ich als Laie hierzu nicht genau einordnen. Da Sie der Sprecher Ihrer Partei im Verteidigungsausschuss sind - Bitte erläutern Sie, warum wir keine Kriegspartei sind, obwohl wir die Ukraine mit Waffen und anderen Mitteln unterstützen?
Als Russland die Separatisten auf deren Bitte hin unterstützt hat, wurde Russland von der damaligen Bundesregierung und anderen Stellen durchaus als Kriegspartei eingestuft. Wo genau liegt der Unterschied hierbei?
Sehr geehrter Herr W.,
völkerrechtlich sind Waffenlieferungen an einen Staat, der sich gegen einen Aggressor verteidigt, zulässig und machen den die Waffen liefernden Staat nicht zur Kriegspartei. Grundlagen sind hier der Kriegsächtungspakt von 1928, sowie die Charta der Vereinten Nationen von 1945 und die Genfer Konventionen von 1949. Demnach kann sich ein Aggressor, der Artikel 4 Absatz 2 der UN-Charta (Gewaltverzicht außer zur Verteidigung) verletzt, nicht auf das Neutralitätsgebot für Drittstaaten berufen. Die UN-Vollversammlung hat am 1. März 2022 mit überwältigender Mehrheit (141 Ja-Stimmen bei 5 Ablehnungen und 35 Enthaltungen) die Aggression der Russischen Föderation verurteilt und damit die Völkerrechtswidrigkeit des Überfalls auf die Ukraine festgestellt. Wer den Verteidiger ohne den Einsatz eigener Streitkräfte unterstützt, etwa durch Waffenlieferungen, wird völkerrechtlich so eindeutig NICHT zur Kriegspartei.
Die russische Unterstützung der Separatisten im Donbass durch Russland lässt sich damit nicht vergleichen. Sie erfolgte erwiesenermaßen nicht nur durch Waffenlieferungen oder finanzielle Unterstützung, sondern auch durch den Einsatz regulärer russischer Streitkräfte. Außerdem sind die annektierte Krim und die sogenannten Volksrepubliken völkerrechtlich weiterhin Teil der Ukraine und damit eine innenpolitische Angelegenheit. Die Russische Föderation hat hier eindeutig gegen das Nicht-Einmischungsgebot in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staats nach Artikel 2 der UN-Charta verstoßen.
Letztendlich zeigt das Verhalten Wladimir Putins jedoch, dass er sich nicht durch das Völkerrecht gebunden fühlt. Somit ist es auch eine Frage der subjektiven Einschätzung der russischen Führung, ob sie Waffen liefernde Staaten als Kriegspartei einstuft, oder nicht.
Freundliche Grüße
Rüdiger Lucassen