Werden Sie dem Antrag 20/4886 der CDU/CSU Fraktion zum Thema ME/CFS zustimmen? Falls nicht: Warum?
Sehr geehrter Herr Wagener, ich gehöre zu den mindestens 500.000 an ME/CFS erkrankten Menschen in Deutschland. Der zum Thema ME/CFS gestellte Antrag 20/4886 wurde, wie Sie sicher wissen, am 19.01.2023 im Bundestag diskutiert. Alle Fraktionen waren sich einig, dass dringend etwas passieren muss, um den Erkrankten zu helfen.
Ich würde gern wissen, ob Sie persönlich dem Antrag zustimmen werden? Und falls nicht: Warum? Über eine kurze Rückmeldung würde ich mich freuen. Vielen Dank und freundliche Grüße
Daniela F.
Sehr geehrte Frau F.,
herzlichen Dank für Ihre Anfrage, die mich am 06.05.2023 erreichte. Mich erreichen viele Schreiben von Menschen mit einer ME/CFS-Erkrankung oder deren Angehörigen, die ihre gesundheitliche Verfassung sehr ausführlich schildern sowie ihren Unmut über die unzureichende Versorgungslage äußern. Wir wissen um die großen Einschnitte im Leben sowie die schwierige Lage, in der die ME/CFS-erkrankten Patient*innen und ihre Angehörigen durch ihre Einschränkungen im Alltag und z.T. den dauerhaften Pflegebedarf sind. Zudem ist uns bewusst, dass Sie im Gesundheitssystem vielfach auf Unverständnis treffen, dass Fehldiagnosen gestellt werden oder einzelne Ärzte*innen für Diagnosen teilweise viel privates Geld verlangen, wenn Betroffene bei Ärzte*innen mit Kassenzulassung teilweise über lange Zeiträume keine Termine erhalten.
Sie können sich gewiss sein, dass wir all diese frustrierenden Probleme sehr ernst nehmen und die Thematik nicht erst seit dem CDU/CSU-Antrag einen wichtigen Platz auf der politischen Agenda der Ampel-Fraktionen und insbesondere der Grünen einnimmt. Bereits zu Oppositionszeiten haben wir Grüne uns für die Verbesserung der Versorgungssituation von ME/CFS-Erkrankten eingesetzt (siehe Drucksache 19/12204 vom 7. August 2019, https://dserver.bundestag.de/btd/19/122/1912204.pdf?fbclid=IwAR0wrCUhCpAX8Ilf6k9RfCtPt8CeP2IfkAF67HYDezcb7cMPkjmpzRq6fko). Nicht zuletzt hat ME/CFS als eines von ganz wenigen Krankheitsbildern erstmals auch explizit Eingang in unseren Koalitionsvertrag gefunden. Dementsprechend haben wir als Ampel-Koalition das Thema auch in vielen Debatten eingebracht.
Im Koalitionsvertrag haben wir uns auf die Verbesserung der Forschung und der Versorgung verständigt. Auch wenn es keinen Gesetzestext oder Koalitionsantrag gibt, der den Namen „ME/CFS“ trägt, so haben wir als Ampel doch seit Beginn der Legislatur eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um die Forschung und Versorgung gezielt zu verbessern:
Zur Forschungsförderung sind Haushaltsmittel in Höhe von 22,5 Millionen Euro für 2022 und 2023 bewilligt und werden bereits bewirtschaftet. Im Vergleich zu anderen Forschungsfeldern gibt es eine hohe Bewilligungsquote von Forschungsanträgen. Dazu gehört beispielweise eine klinische Studie an der Charité Berlin, in deren Rahmen aktuell die Wirksamkeit von vier Gruppen von bereits bekannten Medikamenten für die Behandlung von Patient*innen mit Long-Covid und Chronischem Fatigue Syndrom erforscht wird. Dies ist sehr wichtig, um potenzielle Behandlungsmöglichkeiten auf verschiedene Wirkstoffe auszuweiten. Gleichzeitig gibt es auch Mittel für eine geplante Studie in Erlangen mit dem Medikament BC 007, das bislang in einigen wenigen Heilversuchen bei Long-Covid-Patient*innen erfolgreich getestet wurde. Dass die Uni Erlangen und der Hersteller des Medikaments bisher allerdings keinen Vertrag zur Zusammenarbeit abschließen konnten, weil sie sich über Vertragsdetails nicht einig werden, bedauern wir sehr. Jedoch ist es erfreulich, dass laut den Angaben von Frau Prof. Scheibenboden ein Forschungsnetzwerk sich aufbaut und damit die von der Ampel eingeführte Forschungsförderung Wirkung entfaltet.
Ein ganz zentrales Anliegen von uns Grünen ist es, gemeinsam mit den Ampel-Partner*innen die Versorgungssituation durch Spezialambulanzen zu verbessern, damit mehr Menschen schneller eine Diagnose bekommen aufgrund derer sie adäquat behandelt werden können. Dazu wurde nun der Gemeinsame Bundesausschuss, der die inhaltlichen Vorgaben der gesundheitlichen Versorgung macht, per Gesetz beauftragt. Er soll bis Ende dieses Jahres eine Richtlinie für die interdisziplinäre und standardisierte Diagnostik von Long-Covid und ähnliche Krankheitsbildern wie etwa ME/CFS erarbeiten. Gleichzeitig wird dadurch festgelegt, wie den Versicherten ein zeitnaher Zugang zu einem multimodalen Therapieangebot gesichert werden muss. Außerdem wurde eine Telefonhotline für Betroffene eingerichtet, um den Betroffenen einen ersten Anlaufpunkt zu geben und sie über bereits bestehende Versorgungsangebote adäquat zu informieren und zu beraten.
Dies alles sind sehr wichtige Maßnahmen, die ihre Wirkung teilweise erst mit der Zeit zeigen werden. Denn die Erforschung des Krankheitsbildes und insbesondere die Entwicklung von Medikamenten und Therapiemethoden brauchen eine gewisse Zeit, um zuverlässige Ergebnisse zu liefern. Und auch als Politik können wir leider immer nur verschiedene Stellschrauben in Gesetzesvorhaben, in Haushaltsberatungen oder in unserer Öffentlichkeitsarbeit drehen, aber keine Heilung versprechen.
Schaufenster-Anträge mit Appellen und Forderungen an Gremien, auf die wir keinen Einfluss haben, bringen uns nicht voran – zielführende fraktionsübergreifende konstruktive Zusammenarbeit aber schon. Die Ampelfraktionen sind weiterhin in engem Austausch, um gemeinsam auszuloten, welche weiteren zielführenden Maßnahmen notwendig sind, damit die Hilfen gezielt bei den Betroffenen ankommen.
Mit freundlichen Grüßen und trotz aller Schwierigkeiten den besten Wünschen für Ihre Gesundheit
Robin Wagener