Frage an Rita Schwarzelühr-Sutter von Katja R. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Frau Schwarzelühr-Sutter,
werden Sie der Änderung des Infektionsschutzgesetzes zustimmen?
Obwohl es zahlreiche Bedenken dazu gibt * und die Indizdenzahl keine Aussagekraft besitzt, weil diese
1) durch den Meldeverzug verzerrt ist und
2) von der Testzahl abhängt und diese gerade durch die Selbststest massiv erhöht werden soll?
Trauen Sie den Menschen so wenig, das Sie der Meinung sind, das nur durch Verbote das "korrekte" Verhalten zu erreichen ist?
Ich bitte Sie als meine Vertreterin im Bundestag, diese Änderung nicht mitzutragen.
*https://www.youtube.com/watch?v=wVzKGt_eck0
Mit traurigen Grüssen
Katja Rauschenberg
Sehr geehrte Frau Rauschenberg,
vielen Dank für Ihre E-Mail zum Vierten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite erreicht. Gerne stelle ich Ihnen dar, warum ich den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen unterstütze. Eine Teilnahme an der namentlichen Abstimmung war mir nicht möglich, da ich mich in Quarantäne befand.
Zunächst ist es mir wichtig festzustellen, dass wir uns an einem kritischen Punkt befinden. Deutschland befindet sich in der dritten Welle der Corona-Pandemie. Noch immer stecken sich täglich mehrere tausend Bürgerinnen und Bürger aufgrund gefährlicher Varianten mit dem Virus an. Ärzte und Pflegekräfte klagen über Engpässe auf den Intensivstationen. Am vergangenen Sonntag haben wir in Deutschland der 80.000 Menschen gedacht, die dem Virus zum Opfer gefallen sind.
Trotz der von Bund und Ländern vereinbarten Maßnahmen stellen wir fest, dass die vorgesehene "Notbremse" ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 aufgrund unterschiedlicher Auslegung durch einzelne Länder und aufgrund erheblich abweichender Gerichtsentscheidungen in einzelnen Bundesländern nicht einheitlich konsequent umgesetzt wird. Uns läuft die Zeit davon. Jeder Tag kann Leben retten. Deshalb schreiben wir jetzt die Notbremse bundesrechtlich fest, damit die Regelungen im ganzen Bundesgebiet überschaubar, nachvollziehbar und für jeden einheitlich gelten. Wir brauchen Maßnahmen, die uns helfen, die Zahlen der Infektionen deutlich und schnell zu senken.
Um es ganz klar zu sagen: Mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes wird nicht unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und die verfassungsmäßige Gliederung des Staates in Bund und Länder aufgehoben. Sondern der Bundestag macht Gebrauch von seiner ausdrücklichen Gesetzgebungskompetenz als vom gesamten deutschen Volk gewählten Parlament. Die Corona-Schutzmaßnahmen gelten ausschließlich für den Zeitraum der Pandemie. Allein der Bundestag beschließt regelmäßig darüber, ob die epidemische Lage von nationaler Tragweite noch vorliegt. Die aktuelle Bundesnotbremse ist bis zum 30. Juni 2021 befristet.
Natürlich ist uns diese Entscheidung nicht leicht gefallen. Die Abwägung von Grundrechten auf der einen Seite, wie z.B. der Bewegungs- und der Gewerbefreiheit, mit der staatsrechtlichen Verpflichtung auf der anderen Seite, die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger zu schützen, ist in dieser Pandemie außergewöhnlich schwer.
Aus meiner Sicht ist die Änderung des Infektionsschutzgesetzes, die der Bundestag nun beschlossen hat, ein Kompromiss, der diese Spannungsfelder ausbalanciert. Rechtlich abgesichert wird sie zudem mithilfe der Möglichkeit einer vorbeugenden Feststellungsklage. Hiernach kann der einzelne Bürger vor dem Verwaltungsgericht auf Feststellung klagen, dass sich aus dem Gesetz (oder den jeweils angegriffenen Passagen) keine Rechte oder Pflichten für den Klagenden ergeben.
Das entscheidende Kriterium bleibt dabei die 7-Tage-Inzidenz. Steigende Inzidenzwerte haben bislang immer zu einer steigenden Anzahl an COVID-19-Patientinnen und -Patienten auf den Intensivstationen geführt. Auch die Rechtsprechung hat bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der ergriffenen Schutzmaßnahmen regelmäßig auch auf den Inzidenzwert Bezug genommen.
Zu den wichtigsten Regelungen des Gesetzes zählen aus meiner Sicht:
- Ab einer Inzidenz von 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen gilt eine nächtliche Ausgangbeschränkung zwischen 22 Uhr und 5 Uhr, mit Ausnahme des Zeitraums von 22 bis 24 Uhr für körperliche Bewegung
- "Test, click and meet" wird im Einzelhandel im Inzidenzbereich von 100 bis 150 erlaubt
- Die Pflicht für Arbeitgeber, ihren Beschäftigen Corona-Tests anzubieten, sofern kein Homeoffice möglich ist, wird auf zwei Mal pro Woche erhöht
- Schulen gehen im Inzidenzbereich von 100-165 in den Wechselunterricht und müssen ab einer Inzidenz von 165 in den Distanzunterricht
Das Infektionsschutzgesetz beinhaltet zudem folgende Punkte zugunsten der Familien:
- Kinder können in Gruppen bis zu 5 Kindern gemeinsam mit einem getesteten Trainer im Freien Sport treiben
- Ein zwei Milliarden Euro schweres Corona-Hilfspaket für Kinder und Jugendliche, um Lernrückstände aufzuholen und die soziale Arbeit in Bildungseinrichtungen zu fördern
- Die Erhöhung des Rechtsanspruchs auf Kinderkrankentagegeld von 20 auf 30 Tage pro Kind, für Alleinerziehende 60 statt 40 Tage
Außerdem wird die Bundesregierung mit Zustimmung von Bundestag und Bundesrat Ausnahmen für geimpfte Personen auf Basis des gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes verbindlich regeln.
Mir ist bewusst, dass weil wir in einer Grenzregion leben, aktuell viele Menschen auf die am 14. April beschlossenen Lockerungen in der Schweiz schauen. Gemessen an ihren eigenen fünf Richtwerten für Öffnungsschritte erfüllte die Schweiz gestern nur zwei Kriterien, nämlich bei der Auslastung der Intensivbetten mit Covid-19-Patienten und beim 7-Tages-Schnitt der Todesfälle. Der Schweizer Bundesrat gibt selbst an, dass die aktuelle epidemiologische Situation weiterhin fragil ist und sich in den letzten Wochen weiter verschlechtert hat. Aus meiner Sicht zeigen die Lockerungen daher vor allem, dass die Schweizer Regierung einer Stimmung in der Bevölkerung nachgibt, die wir hierzulande auch verspüren.
Ich kann dieses Verlangen sehr gut nachvollziehen. Aber ich bin der Meinung, dass wir in Deutschland mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes den richtigen, wenn auch schwierigen Weg gehen. Für die SPD-Bundestagfraktion steht fest, dass angesichts der weiteren Einschränkungen die Hilfsprogramme insbesondere für Familien, Beschäftigte, Betriebe (u.a. Gastronomie und Tourismus) und Kultureinrichtungen ergänzt und bis mindestens zum Jahresende verlängert werden müssen.
Wir haben auch aufgrund neuer Lieferzusagen große Aussichten, die Pandemie im Sommer hinter uns zu lassen, wenn Millionen Bürgerinnen und Bürger geimpft sind. Aber wir müssen verhindern, dass sich dieser Zeitpunkt weiter verzögert, weil jetzt die Infektionszahlen noch einmal hochgehen. Deshalb bitte ich noch einmal um Ihr Vertrauen und Ihre Durchhaltekraft, damit wir gut durch die dritte Welle kommen und uns gemeinsam eine sichere Öffnungsperspektive geben können.
Mit freundlichen Grüßen nach Bad Säckingen
Rita Schwarzelühr-Sutter, MdB