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Reinhard Bütikofer
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Frage von Maren J. •

Warum gibt es auf dem Arbeitsmarkt keine feste Behindertenquote, gleich der Frauenquote?

Ich bin nicht die einzige in Deutschland mit diesem Problem

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau J.,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Da ich in unserer Fraktion für die Außen- und Handelspolitischen Themen verantwortlich bin, habe ich zu Ihrer Frage Erkundigungen bei meiner Kollegin aus der Grünen Fraktion, Katrin Langensiepen eingeholt:

Quoten sind herausfordernde Instrumente zur Steuerung gewünschter gesellschaftlicher Normen. Unsere Grüne Fraktion im Europäischen Parlament hat mit umfangreicher Unterstützung, u.a. von Fachorganisation für Menschen mit Behinderungen 2021, einen Bericht dem Europäischen Parlament vorgelegt, der die Mitgliedsstaaten auffordert, verpflichtende Diversitätsquoten einzuführen. (Art. 7, https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2021-0014_DE.html). Dabei soll die Kommission mögliche Vertragsverletzungsverfahren (Art.4, ebd.) einleiten, wenn die Mitgliedsstaaten diesen und anderen Verpflichtungen aus der UN-BRK, EU-Charta für Menschenrechte u.a. nicht nachkommen.

Der Bericht wurde mit überwältigender Mehrheit im EP angenommen. Nun hat das EP leider nur mittelbare Durchsetzungskompetenzen gegenüber den Mitgliedsstaaten und es passiert leider auch in den Politiken für Menschen mit Behinderungen viel zu wenig und viel zu langsam. Das ist sehr bedauerlich und wir arbeiten unermüdlich jeden Tag daran, den Druck auf die Regierungen zu erhöhen, endlich auch im Feld der Diversität und eben auch für Menschen mit Behinderungen das Menschenrecht Gleichberechtigung und andere durchzusetzen.

Das Beispiel Deutschland macht hier die ganze Kontroverse exemplarisch sehr sichtbar. Wie Sie sicher wissen, gibt es nach dem §154 SGB IX eine "Behindertenquote" Diese ist anders konstituiert als die aktuelle Frauenquote in Aufsichtsräten deutscher Großunternehmen. Unternehmen mit mehr als 20 Arbeitsplätzen müssen 5% ihrer Angestellten für Menschen mit Behinderungen bereitstellen (im Wissen, dass in D knapp 10% Menschen mit Schwerbehinderungen leben, EU weit im Schnitt 24%). Ansonsten wird eine aus unserer Sicht sehr geringe Ausgleichsabgabe fällig. Selbst die Ausgleichsabgabe kennt wiederum eine Menge Schlupflöcher. Zum Beispiel können Unternehmen durch Aufträge an Werkstätten für Menschen mit Behinderungen ihre Ausgleichsabgabe verringern oder die Bereitstellung eines sog. Außenarbeitsplatzes für eine Werkstatt in die 5% einrechnen. Aus unserer Sicht sind das riesige Löcher im System, die dringend reformiert werden müssen. Kurzfristig rauf mit den Summen für die Ausgleichsabgaben, mittelfristig breites Netz an Beratungsstrukturen für alle Unternehmen (KMU, Großunternehmen) zum Anreiz des Aufbaus inklusiver Arbeitsplätze, langfristig tiefgreifende Reformen des "dritten" Beschäftigten*arbeitsmarktes, so dass dieser vollständig in ein inklusives Wirtschaftssystem aufgeht.

Eine Diversitätsquote für Aufsichtsräte, vergleichend zur Frauenquote, kann hier für diesen Weg interessant sein. An der oben kurz dargestellten Sachlage erkennen Sie jedoch auch die komplexe Herausforderung. Ein großes Thema in unserer Arbeit ist die notwendige Mehrheitsbeschaffung. Allein die Durchsetzung der UN-BRK, die in D und in der EU längst geltende Rechtsnorm ist, scheitert an der notwendigen Rückendeckung durch die handelnden Akteur*innen in Parlamenten, Ministerien, Unternehmen und Gesellschaft.

Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie sich vor Ort dafür stark machen. Gerne nehmen wir die Anregung für eine entsprechende Quote in Aufsichtsräten mit in unsere weiteren Gespräche und Verhandlungen-

Weitere Hinweise zum Thema:

https://www.katrin-langensiepen.eu/de/topic/2.behindertenpolitik.html

https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2021-0014_DE.html

https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=1137&langId=de

https://www.consilium.europa.eu/de/infographics/disability-eu-facts-figures/

Mit freundlichen Grüßen
Reinhard Bütikofer