Frage an Reinhard Bütikofer von Stefan K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Bütikofer,
für wie real halten Sie die Möglichkeit einer Invasion Taiwans durch die Volksrepublik China und wie sollten Deutschland und die EU darauf reagieren?
Für Ihre Antwort vielen Dank im Voraus.
Mit freundlichen Grüßen
S. K.
Sehr geehrter Herr Kugler,
seit einiger Zeit wird in Peking verstärkt mit einer Invasion Taiwans gedroht. Das ist Teil der immer aggressiveren Außenpolitik der Volksrepublik China. Es ist aber auch Ausdruck der Tatsache, dass die Vorstellung einer Wiedervereinigung mit dem Festland in Taiwan heute so unpopulär ist wie noch nie. Als vor über 30 Jahren für Hong Kong die Formel „Ein Land, zwei Systeme“ erfunden wurde, war der eigentliche Adressat Taiwan. In Hong Kong sollte, so wollte es damals Deng Xiaoping, demonstriert werden, dass es möglich sei, unter Pekinger Souveränität dauerhaft ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell zu leben. Pekings Übergriffe in den letzten zwei Jahren und die weitestgehende Beseitigung der Freiheiten Hong Kongs haben dieses Versprechen ad absurdum geführt. Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen hat ihren letzten Wahlkampf auch deswegen hochkant gewonnen, mit der größten Mehrheit, die es dort je gab, weil sie genau auf diese Erfahrung verwies und sich als Garantin für die Eigenständigkeit Taiwans präsentierte.
Dass die Volksrepublik China heute Taiwan ständig bedrängt, militärische Drohungen ausstößt und den Eindruck schaffen will, dass es nur noch darum gehe, wann die Invasion stattfinde, nicht ob, ist meines Erachtens aber noch kein Beleg dafür, dass man tatsächlich in allernächster Zeit mit einer solchen Aggression rechnen müsse. Das ist auch ein psychologisches Spiel. Den Taiwanesinnen und Taiwanesen soll bedeutet werden, dass sie sich unvermeidlich in das Schicksal ergeben müssten, demnächst unter der Knute der Kommunistischen Partei zu leben. So soll die Widerstandsfähigkeit der taiwanesischen Demokratie ausgehöhlt werden. Deshalb glaube ich, dass wir als Freunde der taiwanesischen Demokratie klare Zeichen der Solidarität setzen sollten. Ich bin nicht dafür, dass Taiwan sich unabhängig erklärt; das wäre eher krisenverschärfend. Ich bin für die Befestigung des Status quo, aber dazu müssen auch wir mehr Solidarität mit Taiwans Demokratie zeigen. Ich halte es für müßig, jetzt genau wissen zu wollen, wann vielleicht die Volksrepublik gegenüber Taiwan zuschlagen könnte. Ich unterstelle, dass man in Peking durchaus auch die Risiken eines solchen Vorgehens kalkuliert. Nun spielt Europa in jener Weltgegend militärisch keine Rolle und sollte das auch nicht anstreben. Aber wir können auf andere Weise China bedeuten, dass es sich auf große Risiken einließe, wenn es, wie das Xi Jinping zweifellos vorschwebt, irgendwann zwischen heute und 2035 tatsächlich versuchen sollte, die Insel militärisch einzunehmen.
Zur Frage, welche europäische oder auch deutsche Taiwan-Politik wir verfolgen sollten, habe ich im letzten September zusammen mit einigen Kolleginnen und Kollegen einen Artikel publiziert. Sie finden ihn unter folgendem Link: https://reinhardbuetikofer.eu/wp-content/uploads/2020/09/TaiwanOped-final-as-of-08092020-docx.pdf. Danke für Ihre Frage und ich hoffe, Sie können mit der Antwort etwas anfangen.
Mit freundlichen Grüßen
Reinhard Bütikofer