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Reinhard Bütikofer
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Frage von Helmut W. •

Frage an Reinhard Bütikofer von Helmut W. bezüglich Recht

Eine Frage, die ich an alle alle Parteien stelle betrifft Flüchtlingspolitik:
(da Sie von den berliner Grünen im EU-Parlament die meisten Antworten gebe, stelle ich sie Ihnen, sie können die Frage auch gerne weiterreichen)

Im Zusammenhang mit den aktuellen Ereignissen in Libyen und den Flüchtlingsströmen bin ich auf FRONTEX gestoßen. Diese Agentur scheint ein rechtsfreier Raum zu sein, der sich nicht vom EU-Parlament kontrollieren lässt, siehe z.B.
http://www.swr.de/report/-/id=233454/nid=233454/did=5304004/in8nri/index.html
http://www.focus.de/politik/ausland/eu-halbe-million-illegale-einwanderer-in-europa_aid_369046.html
http://www.unitedagainstracism.org/pdfs/listofdeaths.pdf

Meine Fragen dazu:

Welche Schritte hat das EU-Parlament unternommen, um diese Vorwürfe aufzuklären?

Was wurde oder wird unternommen, um die abseitige Rechtsauffassung zu korrigieren, ein Ausschluss von Asylverfahren (d.h. zwang zur Umkehr ohne Einzelfallprüfung) in internationalen Gewässern sei zulässig?

Wie schätzen sie die derzeitige Lage ein, was das (un)rechtsstaatliche Verhalten an den Außengrenzen der Festung Europas betrifft?

MFG
Helmut Weidner-Kim

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Weidner-Kim,

so oft wie in den letzten Monaten war die europäische Agentur für die Außengrenzen, Frontex noch nie in den Nachrichten: Im Rahmen der Operation Hermes ist sie gerade im Mittelmeer unterwegs, im November letzten Jahres hatte die schnelle Eingreiftruppe von Frontex, RABIT (Rapid Border Intervention Teams) genannt, ihren ersten Einsatz, nachdem Griechenland um Hilfe gebeten hatte. Seit ihrer Gründung 2005 ist die Agentur Frontex stark gewachsen: Das Budget ist von anfangs 6,3 Millionen Euro auf 87 Millionen erhöht worden und auch das Personal wurde stetig aufgestockt. Gleichzeitig wurde sowohl bei dem Einsatz in Griechenland als auch bereits bei Einsätzen davor häufig von Menschenrechtsverletzungen berichtet, wie im Juni 2009, als ein Boot aus internationalen Gewässern kommend mit 75 MigrantInnen an Bord an das libysche Militär übergeben wurde.

Ein großes Problem im Zusammenhang mit der Agentur ist, dass es keine klaren Verantwortlichkeiten gibt. Der Grenzschutz unterliegt zwar den einzelnen Mitgliedstaaten, als unabhängige Agentur wird Frontex dazu benutzt, als "Abwehrschirm" aufzutreten, um die Grenzsicherheit aufrechtzuerhalten. Durch einen großen Autonomisierungsgrad gegenüber den Mitgliedstaaten, kann die Agentur zum Beispiel einzelne Aktionen, wie Sammelrückführungsflüge durchführen. Gleichzeitig obliegt das Verfolgen von bei Frontex-Einsätzen gemeldeten Menschenrechtsverletzungen nicht der Agentur selbst, sondern dem verantwortlichen Mitgliedstaat. Durch diese Verflechtung ist es sehr schwer, einklagbare Verantwortlichkeiten zuzuweisen, da gerade wenn Probleme auftauchen, sowohl Frontex als auch die Mitgliedstaaten jegliche Verantwortung von sich weisen.

Allein diese Vorraussetzungen begründen schwere Zweifel daran, dass die Struktur der Agentur Frontex mit konsequenter Menschenrechtspolitik vereinbar ist. Aus diesem Grund ist ein funktionierendes und haltbares Mandat für die Europäische Grenzschutzagentur unabdingbar. Das Europäische Parlament verhandelt derzeit über die Erneuerung des Frontex-Mandates. Leider bietet die Vorlage der Kommission kaum Spielraum für grundsätzliche Änderungen, und die Mehrheit der Europaabgeordneten hat sich in den bisherigen Verhandlungen leider dagegen ausgesprochen, eine klare und eindeutige Regelung für die Verantwortlichkeiten von Frontex und den Mitgliedstaaten zu schaffen.

Aber die Position des Europäischen Parlaments beinhaltet, dass die Menschenrechte einen nicht zu übersehenden Platz im neuen Mandat einnehmen. Dazu gehört auch, dass die Einsatzkräfte in Bezug auf Menschenrechte geschult werden und die Einsätze mit Blick auf die Einhaltung der Menschenrechte evaluiert werden - und dass Einsätze abgebrochen werden, wenn Menschenrechtsverletzungen begangen wurden.

Leider konnten wir nicht durchsetzen, dass das Europäische Parlament in Zukunft besser über Einsätze von Frontex informiert und bei Verhandlungen zwischen der Agentur und einem Drittstaat vor dem Abschluss einer Vereinbarung konsultiert werden muss. Es ist auf jeden Fall unbedingt notwendig, die Kontrolle von Frontex zu erhöhen, und das Europäische Parlament sollte, als demokratische gewählte Volksvertretung einen wichtigen Platz bei dieser Kontrolle einnehmen.

Um die Frage nach der Vereinbarkeit der Agentur Frontex mit den Menschenrechten bejahen zu können, ist in jedem Falle mehr notwendig, als das neue Mandat bieten kann. Die Agentur braucht detaillierte und verpflichtende Leitlinien, die mit Hilfe von gesetzlichen Mitteln durchgesetzt werden und deren Erfüllung durch demokratische Kontrolle überwacht wird. Alles andere bleibt halbherzig.

Die Grünen im Europäischen Parlament fordern daher weiterhin folgendes:

- Klare Verteilung der Verantwortlichkeiten zwischen Mitgliedstaaten und Frontex in Anlehnung an die wachsende Rolle, die der Agentur zukommt.

- Ausdrücklicher Hinweis darauf, dass bei den Fronetx koordinierten Einsätzen mit den EU-Richtlinien im Bereich Asyl und dabei insbesondere den Richtlinien 2003/9/EG und 2005/85/EG sowie dem Grundsatz der Nichtzurückweisung im Einklar stehen. Diese Richtlinie gelten auch für Einsätze auf See, wo auch immer sie stattfinden sowie während des Einsatzes von BeamtInnen unter der Kontrolle von Frontex und für die von ihr abgestellten VerbindungsbeamtInnen.

- Ausdrücklicher Hinweis darauf, dass bei den von Frontex koordinierten Aktionen und oder bei den Aktionen außerhalb des EU-Gebietes, bei denen BeamtInnen unter der Kontrolle von Frontex eingesetzt werden, das Recht auf Verlassen jedes Landes, inklusive des eigenen, nicht verletzt wird.

- Einrichtungen von unabhängigen Überwachungsverfahren während der durch Frontex koordinierten Aktionen (gemeinsame Aktionen, Sammelrückführungen, Entsendungen von VerbindungsbeamtInnen), inklusive der Veröffentlichung und regelmäßige Versendung an das Europäische Parlament der abschließenden Prüf- und Weiterverfolgungsberichte.

- Bereitstellung von ausreichendem Personal für Kontrollzwecke bei den gemeinsamen Rückführungsaktionen, damit die Kontrolle in jeder Aktionsphase stattfinden kann. Dies beinhaltet auch Orte, an denen die Ausgewiesenen festgehalten werden, Flugzeuge und den Zeitpunkt der eventuellen Übergabe von Ausgewiesenen an die Behörden des Rückführungslandes.

- Rechtsverbindlichkeit des Verhaltenskodexes für die Rückführungsaktionen.

- Informierung des Europäischen Parlaments über die Entscheidung Frontex´ bezüglich der von ihr koordinierten Aktionen und Pilotprojekte.

- Obligatorische Konsultierung des Europäischen Parlaments vor jeglicher Verhandlungseröffnung zwischen Frontex und einem Drittstaat bzw. den Behörden dieses Staates sowie Informierung über sämtliche Vereinbarungen Frontex´ vor ihrem Abschluss.

Bisher konnten einige Verbesserungsvorschläge durchgesetzt werden: So wurde im LIBE-Ausschuss, in dem meine Kollegin Ska Keller sich mit Frontex auseinandersetzt, einige Vorschläge angenommen und werden momentan mit dem Rat der EU verhandelt:

Es wird ein Verhaltenskodex für alle Frontex-Aktionen etabliert, bei dem sichergestellt wird, dass Grundrechte respektiert werden und dass die Identifizierung der Personen auf angemessene Weise durchgeführt wird.

Zudem soll ein Beratungsgremium für Menschenrechte eingeführt werden, welches sämtliche Informationen und Untersuchungen zu Einsätzen anfordern kann. Das Beratungsgremium setzt sich zusammen aus Experten des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, der Europäischen Agentur für Grundrechte, der Behörde des Hohen Flüchtlingskommentar der Vereinten Nationen und anderen Organisationen. Dieses Gremium verfasst einen jährlichen Bericht der Frontex-Aktionen mit Fokus auf europäischen und internationalen Menschenrechten. Außerdem haben wir uns dafür eingesetzt, dass es Standards für die Ausbildung auch bei den Verbindungsbeamten im Einsatz in den Mitgliedstaaten festgelegt werden und ein Monitoring System für sogenannte "forced-returns", also wenn Migranten nicht freiwillig in ihre Heimatländer zurückkehren, sondern durch Frontex und die Verbindungsbeamtinnen zwangsweise zurückgebracht wurden. Jedes Jahr soll dazu ein Monitoring report entstehen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass Drittstaaten keine Jurisdiktion über die Migranten haben dürfen.

Detaillierter Informationen zu diesem Thema können Sie in der kostenfrei erhältlichen Studie über die europäische Agentur an den Außengrenzen im Hinblick auf die Neufassung ihres Mandats "Ist die Agentur Frontex mit den Menschenrechten vereinbar?" der grünen Europaabgeordneten Barbara Lochbihler, Ulrike Lunacek, Hélène Flautre und Ska Keller lesen. Bitten wenden Sie sich an das Büro von Frau Keller ( franziska.keller@europarl.europa.eu ), wenn Sie eine Druckausgabe der Studie erhalten möchten.

Mit freundlichen Grüßen

Reinhard Bütikofer