Frage an Reinhard Bütikofer von Nils G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Bütikofer,
zuerst einmal vielen Dank dafür, dass Sie der Europaabgeordnete mit den meisten beantworteten Fragen auf abgeordnetenwatch.de sind; ich finde es gut, dass dieser Kommunikationsweg offen steht.
Ich habe eine Frage zum ACTA-Abkommen, das ja, soweit ich informiert bin, in der ersten Hälfte dieses Jahres vom EU-Parlament abgesegnet werden muss. Wie steht die europäische Fraktion der Grünen dazu, und wie stehen speziell Sie dazu? Stimmt es, dass in der letzten Fassung des Abkommens auf die Einführung von Netzsperren verzichtet werden soll, mit Sicht auf die zahlreichen Proteste?
Abschließend würde mich noch interessieren, ob es schon ein Datum für die geplante Abstimmung gibt.
Herzliche Grüße,
Nils Geisemeyer
Sehr geehrter Herr Geisemeyer,
ich möchte mich für Ihre Nachricht vom 09.01.2011 bedanken.
Die europäische Fraktion der Grünen steht dem angestrebten Anti -Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) aus mehreren Gründen äußert kritisch gegenüber.
Wir Grüne stehen für eine Politik im Rahmen bestehender internationaler Organisationen. Wir sind dagegen eine neue Institution zur Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte, wie es das ACTA Abkommen vorsieht, zu schaffen. Vielmehr werben wir dafür eine Einigung unter der bereits bestehenden Weltorganisation für geistiges Eigentum (World Intellectual Property Organisation - WIPO) zu finden.
Aus unserer Sicht viel bedenklicher ist allerdings, dass über das ACTA Abkommen abgestimmt werden soll, ohne das eine Folgenabschätzung vorliegt. Das bedeutet, dass bis jetzt unklar ist inwieweit zum Beispiel Grundrechte durch das ACTA Abkommen eingeschränkt werden und welche Auswirkungen es für die Bürger hat. Gerade die häufige Verwendung schwammiger Ausdrücke wie "dürfen" oder "können" im bisherigen Text lassen Spielraum für Interpretationen und sollen nach bisheriger Ansicht komplett dem zu schaffenden ACTA Sekretariat überlassen werden. Welche Auswirkungen dies auf die geltende Rechtslage in den Vertragsstaaten gerade bei den umschriebenen Strafmaßnahmen gegen individuelle RechteverletzerInnen hat, blieb bislang komplett unbeleuchtet.
Wir Grüne haben daher zusammen mit den Linken, Sozialdemokraten und Liberalen im November 2010 eine Resolution mit Änderungsvorschlägen und dem Auftrag einer Durchführung einer Folgenabschätzung in das EU-Parlament eingebracht. Obwohl wir uns wiederum in nächtlichen Sitzungen mit den vier Fraktionen (und damit mit der Mehrheit im EU-Parlament) geeinigt hatten, waren etliche Sozialdemokraten und Liberale bei der Abstimmung am übernächsten Tag abgesprungen und machten damit den Weg frei für die Entschließung der Konservativen, mit deren Annahme zuvor niemand gerechnet hatte. Angesichts der klaren Mehrheit waren keine Änderungsanträge an den konservativen Resolutionsentwurf gestellt worden. Damit fordert das Parlament http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2010-0432+0+DOC+XML+V0//DE nun vor dem Abschluss der Verhandlungen keinerlei verpflichtende Folgenabschätzung oder gar rechtliche Bewertung ein. Inhaltliche Veränderungen soll es danach - wenn überhaupt - nur noch im Bereich der Herkunftskennzeichnung bei Produkten geben. Lediglich die Feststellung, dass das ACTA Sekretariat den Handelsvertrag nicht auf eigene Faust ändern darf, ist eine gute, wenn auch redundante Anforderung an das Abkommen. Damit ist die Chance, ACTA in der vorliegenden Form zu verhindern, massiv gesunken. Nach dem Abschluss der Verhandlungen Ende November wird das Europaparlament im diesem Jahr zur Zustimmung gebeten. Sollte es keine massive öffentliche Wahrnehmung zum Regelungsinhalt und der Art und Weise geben, wie dieses Abkommen von einer "Koalition der Willigen" gegen die berechtigten Zweifel von Entwicklungs- und Schwellenländern und BürgerrechtlerInnen an der Öffentlichkeit vorbei verhandelt wurde, dann wird ACTA wohl verabschiedet. Die Folgen dieses Abkommens werden wir dann in den folgenden Jahren beobachten dürfen.
Zu Ihrer Frage, ob es stimmt, dass in der letzten Fassung des Abkommens auf die Einführung von Netzsperren verzichtet werden soll. Ja das stimmt tatsächlich so. Jedoch soll stattdessen den Internet Providern und Rechte Inhabern die Möglichkeit eingeräumt werden über Sperren selbst zu entscheiden. Dadurch gäbe es keine rechtlichen Richtlinien und auch keine Klagemöglichkeit gegen die Sperrungen von Inhalten. Letztendlich könnten Internet Provider und Rechte Inhaber somit willkürlich die Sperrung von Inhalten beschließen.
Ein Datum für die Abstimmung über das ACTA Abkommen steht noch nicht fest. Wir erwarten aber, dass im April das Zustimmungsverfahren von der EU Kommission an die Präsidentschaft des Europaparlaments geleitet wird. Das Parlament könnte dann noch vor dem Sommer abstimmen.
Danke für Ihr Interesse an unserer Arbeit. Ich hoffe, Ihre Frage damit beantwortet zu haben. Sollten Sie weitere Informationen benötigen, stehe ich Ihnen gerne jederzeit zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Reinhard Bütikofer