Frage an Reinhard Bütikofer von Arno P. bezüglich Europapolitik und Europäische Union
Werter Herr Bütikofer,
sie haben mir neulich
geantwortet, daß der Lissabon-Vertrag keine Aufrüstung der einzelnen Mitgliedsstaaten vorsieht. Es stellt sich mir die Frage: Kennen sie den Lissabon-Vertrag nicht? Der EU-Reformvertrag verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten zur Aufrüstung. In Art. 28 c heißt es hierzu unmissverständlich: „Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.“ In der Europäischen Sicherheitsstrategie von 2003 wird ergänzend ausgeführt, dass hierzu auch die Erhöhung der Militärausgaben notwendig sei.
Es wird eine "Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung (Europäische Verteidigungsagentur)" eingerichtet (Art. 28 a) - d.h. Rüstungsforschung und Rüstungsproduktion, Beschaffung und Waffenexport sollen europaweit koordiniert werden. Was anders als der Aufbau eines militärisch-industriellen Komplexes ist das?
Deshalb noch mal meine Frage: Wenn die GRÜNEN immer noch eine Friedenspartei sein wollen, warum stimmen sie dann dem Lissabon-Vertrag zu und lehnen ihn nicht ab?
Sehr geehrter Herr Pfaffenberger,
es ist ja eine ein ganz klein bisschen tendenzioese Frage, die Sie mir stellen: "Wenn die GRÜNEN immer noch eine Friedenspartei sein wollen...".
Ich denke: eigentlich wollen Sie nicht fragen, sondern mit mir streiten. Das ist auch OK, aber dann bekommt die Sache eben auch von meiner Seite den Charakter eines Disputs.
Also nehmen Sie mal den Argumentationsstrang mit der Ruestungsagentur. Sind Sie der Meinung, die Mitgliedsstaaten der EU muessten und koennten in absehbarer Zeit ganz ohne Militaer auskommen? Wenn ja, haetten Sie sich meines Erachtens aus der Realitaet verabschiedet. Dann waere die Debatte schon aus. Wenn nein, dann folgt die naechste Frage: Soll jegliche Modernisierung militaerischer Faehigkeiten ausgeschlossen werden? Das waere meines Erachtens verantwortungslos, weil es auch dazu fuehrte, dass das Leben von Soldaten, die etwa im Rahmen von UN-Beschluessen eingesetzt werden, nicht so gut geschuetzt wuerden, wie das moeglich ist. Also braucht man Beschaffung. Man kann sie begrenzen, sicherlich, aber nicht einfach vernachlaessigen. Wenn man nun militaerisches Geraet beschafft, will man dann moeglichst viel Geld dafuer ausgeben oder moeglichst wenig? Sofern Sie argumentativ bisher noch bei mir sind, wuerden wir wohl beide hier sagen: moeglichst wenig. Ist es aber unter diesem Gesichtspunkt nicht gescheiter, die Beschaffung staerker zu koordinieren als ineffizient mit den Steuermitteln umzugehen? Ich finde schon, dass das eigentlich auch eindeutig zu beantworten ist. Und wenn dann eine Europaeische Verteidigungsagentur das ermoeglicht - ist sie damit schon eine "Aufruestungsagentur", wie die Polemik das so gerne nennt? Und foerdert das einen militaerisch-industriellen Komplex wirklich, wenn der Ruestungsindustrie eine europaeische Agentur gegenueber steht und nicht nur einzelne Laender, von denen die meisten nicht mit einem sehr langen Loeffel essen? Oder schaffen wir die europaeische Ruestungsindustrie gleich ab und kaufen anschliessend den uebrigen Bedarf in den USA oder Russland?
Ich will das Thema jetzt nicht hier argumentativ noch weiter auffaechern. Meine Haltung aber wird Ihnen sicher deutlich. Wer die EU sicherheitspolitisch integrieren will - und das erwartet die grosse Mehrheit der Buergerinnen und Buerger, wie Eurostat-Umfragen zeigen -, der kann nicht einfach am Militaer vorbei schauen, sondern muss sich der Muehe unterziehen zu unterscheiden: Wann und wann nicht? Wie und wie nicht? Wo und wo nicht? Daraus ergeben sich fuer eine Politik, die dem Frieden verpflichtet ist, Probleme, keine Frage, die nicht einfach sind. Ein grosses Problem aus meiner Sicht: Wie man trotzdem die Ruestungsexporte verringert. Aber wer, statt sich den Problemen praktisch zustellen, einfach Parolen schwingt, ist vielleicht schneller mit der Sache fertig. Aber er bewegt damit - was eigentlich?
Mit freundlichen Gruessen
Reinhard Buetikofer